Above and Below
© déjà vu Filmverleih

Above and Below

(„Above and Below“ directed by Nicolas Steiner, 2015)

Above and Below
„Above and Below“ läuft ab 25. Februar im Kino

Dokumentarfilme, so will es die Konvention, sind dafür da, komplexe Themen einfach aufzubereiten, ohne sie zu verändern – weder positiv noch negativ –, sie als das zu zeigen, was sie sind. Dem gebürtigen Schweizer Nicolas Steiner waren bei seiner Abschlussarbeit Konventionen aber offensichtlich nicht allzu wichtig. Denn schon zu Beginn bricht er mit einer eigentlich entscheidenden: Er verrät nicht, was er eigentlich zeigt. Ein Mann verbrennt Ameisen, ein Pärchen schleicht durch Tunnel, eine Gruppe von Menschen laufen in Raumanzügen durch eine Wüste. Wer sie sind, wissen wir nicht, auch nicht wo sie sind, was sie miteinander gemeinsam haben. Above and Below ist ein Film des Erlebens, nicht des Erklärens.

Und zu erleben gibt es hier einiges, so wie auch die Protagonisten einiges zuvor erlebt haben. Rick und Cindy beispielsweise haben sich schon lange von der Gesellschaft verabschiedet, hausen als Obdachlose in dem Tunnelsystem unter Las Vegas, wo sie sich ein bemerkenswertes Alternativleben aufgebaut haben. Dort, wo sie niemand sieht, dort wo niemand hin will. „Hol mich doch“, rief Rick einmal zu Polizisten, nachdem er in eine Röhre geklettert war, um so den Hütern von Recht und Ordnung zu entgehen. Die hatten daran jedoch kein Interesse, überließen den Mann seinem Schicksal, kamen auch nie wieder.

Die beiden anderen Geschichten erzählen ähnliche Geschichten von Menschen, die sich freiwillig der Gesellschaft entzogen haben und nun an ungewöhnlichen Orten hausen. Dave lebt alleine in einem verlassenen Militärbunker mitten im staubigen Nirgendwo, ohne Arbeit, ohne Familie, ohne andere Menschen. April hat zumindest noch Leute um sich: Der Rest der Crew, der sich in der Steinwüste Utahs auf eine Marsmission vorbereitet, die – das ist eigentlich allen bewusst – so nicht kommen wird. Ein Leben auf der Erde, eines darunter, eines darüber, wenn auch fingiert, keines so, wie man es kennt. Das sind die gemeinsamen Nenner von Steiner, die sich aber erst nach und nach herauskristallisieren.

Gleiches gilt für die Protagonisten. Es wäre ein leichtes, sie als Spinner abzutun, als Paradiesvögel, als lebensunfähige Ausgestoßene. Aber das sind sie nicht. Steiner lässt sie sprechen, über sich, über die Welt, legt so allmählich Persönlichkeiten frei, die tatsächlich eine ganze Menge zu sagen haben, vielleicht gerade weil sie nicht im Alltag daheim sind. Dabei lebt besonders die Geschichte von Rick und Cindy von dem starken Kontrast: Oben, da ist die Glitzerwelt von Las Vegas, in die sich die beiden aber oft nur nachts wagen, entweder um an Automaten ihr Glück zu versuchen oder auch um sich aus den Abfalleimern dieser Welt das zu nehmen, was keiner mehr haben mag. April wiederum nimmt den fiktiven Mars zum Anlass, um das Treiben auf der Erde zu kommentieren, ein bisschen verschämt vielleicht, aber doch mit einer brutalen Ehrlichkeit. So wie sie alle hier bemerkenswert offen und vertraut mit Steiner sprechen.

Es sind aber nicht nur die ungewöhnlichen Orte und die nachdenklich stimmenden Inhalte, welche die drei Stränge nach einer anfänglichen Konfusion zusammenhalten, sondern auch deren Inszenierung. Inszenierung und Dokumentarfilm? Auch das ist ein kleiner Widerspruch in dem meist eher puristisch angelegten Bereich, der ja eben um Authentizität bemüht ist. Dass das hier anders ist, verrät schon der Blink auf die üblichen Musik-Download-Shops, wo sich die vom Künstlerkollektiv Paradox Paradise für den Film komponierten Stücke kaufen lassen. Und die sind tatsächlich mehr als seichte Hintergrundbeschallung: Der experimentell-elektrisierende Soundtrack bildet zusammen mit den teils wunderbaren ober- wie unterirdischen Aufnahmen die Grundlage für einen auch audiovisuell faszinierenden Trip an die Randgebiete der menschlichen Gesellschaft. Und spätestens, wenn Steiner in kleinen Momenten die drei Geschichten durch gemeinsame Elemente zusammenführt, darunter betörend schöne Aufnahmen von Tischtennisbällen, dann überschreitet Above and Below endgültig die Grenze vom wiedergebenden Dokumentarfilm zum eigenständigen Kunstwerk. Das wird manche Zuschauer sicher irritieren, ebenso die anfängliche Undurchdringlichkeit. Man muss sich daher schon drauf einlassen können auf dieses formal wie inhaltlich ungewöhnliche Debüt, wird dafür aber mit einem Film entlohnt, der einen so bald nicht wieder verlässt.



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Drei Ebenen, drei Standorte, drei Schicksale. Zusammengehalten werden diese durch die ungewöhnlichen Szenarios und die interessanten Einblicke, aber auch die kunstvolle Inszenierung. Der Einstieg ist etwas verwirrend, das Drumherum für manche sicher auch nicht puristisch genug. Dafür entlohnt „Above and Below“ mit einem faszinierenden Trip an den Rand der Gesellschaft.