Murder by the Book

Murder by the Book

(„Murder by the Book“ directed by Lawrence Gordon Clark, 1986)

Seit über 30 Jahren nun liegt „Curtain“ sicher verwahrt in einem Bankschließfach, jener Roman, mit dem Agatha Christie (Peggy Ashcroft) ihrer berühmten Romanfigur Hercule Poirot (Ian Holm) ein Ende bereiten wollte. Nun, auf Drängen ihrer Agenten, soll dieses Buch doch noch veröffentlicht werden. Aber da haben die Beteiligten die Rechnung ohne den Meisterdetektiv gemacht, der eines Nachts vor der Tür steht und seine Schöpferin des Mordes beschuldigt – Mord an Hercule Poirot!

Wer ein bisschen im Internet herumstöbert, auf der Suche nach Filmen von und über Agatha Christie, wird dabei immer wieder auf obskure Titel stoßen, von denen man selbst als Fan nie etwas gehört hat. Murder by the Book ist ein solcher: Es gibt keinen Wikipedia-Eintrag, keinen deutschen Titel, keine DVD-Veröffentlichung, nicht einmal ein Artwork, von vernünftigem Bildmaterial ganz zu schweigen – nur eine Hand voll Userreviews auf imdb und das YouTube-Video in voller Länge. Wer etwas für die britische Autorin und ihren exzentrischen Detektiv übrig hat, für den ist die TV-Produktion aber auch in dieser qualitativ schlechten Fassung ein Muss.

Dabei ist Murder by the Book weder Romanverfilmung noch eine biografische Pseudorekonstruktion à la Das Geheimnis der Agatha Christie, sondern ein sehr humorvoller Blick auf die Beziehung zwischen einer Künstlerin mit ihrem Kunstwerk. „That wretched little man“, sagt sie an einer Stelle. „He’s always been so much trouble. How is it Miss Marple has never upset me at all, not ever?“ Hercule Poirot, dem sie so viel ihres Ruhms zu verdanken hat, ein Segen und Fluch zugleich. Ein Garant für eine große Leserschaft, aber eben auch eine Last, da von ihr erwartet wurde, die Figur in all ihren Romanen unterzubringen, was die kreativen Möglichkeiten doch arg einschränkte und keinen Raum für Entwicklung ließ. Ein bisschen spekulieren durfte man deshalb auch – was der Film ja tut –, warum Christie Anfang der 40er „Curtain“ (auf Deutsch: „Der letzte Vorhang“) schrieb, ihn aber erst 1975 veröffentlichte.

Eine wirkliche Antwort bietet Murder by the Book natürlich nicht, belässt es bei Andeutungen. Die gibt es hier allgemein zuhauf: Andeutungen auf Christie, auf Poirot, frühere Verfilmungen, auf Miss Marple. Fans werden daran ihre helle Freude haben, der Rest angesichts der vielen Insiderjokes manchmal etwas außen vor gelassen. Aber auch ohne Vorkenntnisse wird man mit der schönen Ausstattung, der krimitypischen Musik und den wunderbaren Darstellungen der beiden Hauptfiguren ansprechend unterhalten, dazu kommen die witzigen Dialoge und Wortgefechte zwischen dem aufgeblasenen Detektiv und seiner genervten Schöpferin.

Sicher hätte man aus dem Konzept noch mehr herausholen können, gerade Anfang und Ende sind eher schwach. Aber auch der deutlich bessere Mittelteil, in dem es zu einem Psychoduell zwischen beiden kommt, erreicht nie seine potenzielle Intensität, wird aufgrund der Kürze recht früh wieder abgewürgt – der TV-Film ist gerade einmal 50 Minuten lang. Allein deshalb schon kann es Murder by the Book nicht mit den „echten“ Krimis um Hercule Poirot aufnehmen. Als kleine Kuriosität ist der erstaunlich clevere Meta-Film aber definitiv gelungen: Wer etwas mit dem Thema anfangen kann und irgendwann eine Stunde totschlagen muss, der sollte sich das Video einmal zu Gemüte führen.



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Ist es Mord, wenn ein Autor seine Figur sterben lässt? Aus dieser kuriosen Frage wird bei „Murder by the Book“ ein cleverer und unterhaltsamer Meta-Film über Agatha Christie und Hercule Poirot sowie die Beziehung zwischen Künstler und Kunstwerk allgemein. Die vielen Anspielungen werden Nichtfans jedoch überfordern, der Höhepunkt wird zudem etwas früh abgewürgt.
7
von 10