Grey Gardens

Grey Gardens

(„Grey Gardens“ directed by Michael Sucsy, 2009)

„It’s an artistic smash!“

Ich weigere mich, den deutschen Verleihtitel für dieses Fernseh-Drama von HBO zu benutzen. Die exzentrischen Cousinen der First Lady ist als Titel nicht nur viel zu lang, sondern vermag auch die süffisante Doppeldeutigkeit des Originalnamens nicht zu transportieren. Grey Gardens ist nämlich nicht nur der Name des Gebietes, in dem die exzentrischen Cousinen der First Lady hausen, sondern auch eine treffliche Beschreibung des grauen, vertrockneten und trostlosen Gartens der zwei Frauen, die in ihrem eigenen Müll leben und sich nicht im Mindesten daran stören.

Der Fall der Edie und Edith Bouvier hat in den 70er Jahren in den Vereinigten Staaten für allerhand Aufsehen gesorgt – nicht zuletzt durch die tatkräftige Unterstützung der Klatschpresse, welche die Lebensumstände der Mutter und Tochter wochenlang gnadenlos in der Öffentlichkeit breittrat, bis schließlich nicht nur ihre Cousine Jackie O., die Witwe des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy, ihren Verwandten einen Besuch abstattete, sondern auch zwei ambitionierte Filmemacher das Anwesen besuchten, um eine Dokumentation über die zwei Frauen zu drehen, die letztlich unter dem Titel „Grey Gardens“ in die Filmgeschichte eingehen sollte. Der HBO-Fernsehfilm aus dem Jahr 2009 versucht, sowohl die Lebensgeschichte der Damen nachzuzeichnen, gleichzeitig aber auch, eine Schilderung der Entstehung der Dokumentation zu liefern. Dieses ehrgeizige und nicht unkomplizierte Konzept geht – und das ist das Beste an diesem unterhaltsamen Werk – zumindest teilweise auf und erweist sich in den stärksten Momenten als außerordentlich intelligent durchgeführt.

Alles beginnt wie eine fast normale Familiengeschichte: Little Edie (Drew Barrymore) ist die Tochter von Edith (Jessica Lange) und Phelan Beale (Ken Howard), die mit den Bouviers verwandt sind. Die kleine Jaqueline Bouvier (Jeanne Tripplehorn) ist noch ein kleines Mädchen, die allerdings bald zur First Lady des Landes werden soll. Davon ahnt im Film freilich niemand etwas, es ist auch kein Film über die vom Glück verwöhnte Jackie O., die lediglich als Randfigur zu bewundern ist, sondern über ihre exzentrischen Cousinen, die als schwarze Schafe der gesamten Familie abgestempelt werden.

In den 30er Jahren ist die Welt der Beales jedoch noch in Ordnung. Die Eltern sind glücklich verheiratet und die – nicht mehr ganz so kleine – Edie träumt davon, Sängerin und Schauspielerin zu werden, während ihr Vater versucht, einen geeigneten Mann für sie zu finden, den sie heiraten kann, um ihren Eltern nicht mehr länger auf der Tasche zu liegen. Der Plan des Heiratens steht jedoch für Edie im Kontrast zu ihrem Wunsch, eine Gesangskarriere zu starten und Michael Sucsy, der auch am Drehbuch mitschrieb, macht schnell deutlich, wie ähnlich sich Mutter und Tochter sind, auch wenn sie es nie zugeben würden. Im Prinzip ist Edie nichts weiter als eine junge Edith, die in der Mitte ihres Lebens und als verheiratete Frau noch immer davon träumt, auf großen Bühnen zu stehen und die Zuschauer mit ihrem Gesang zu bezaubern. Als sich die Eltern trennen, folgt Edie ihrem Vater nach New York, wo sie einen verheirateten Politiker kennen lernt, mit dem sie sich eine gemeinsame Zukunft erhofft, bis er ihr klar macht, dass beide außer einer gemeinsamen Nacht nichts verbindet. Er verlässt sie. Edie ist am Boden zerstört. Sie kehrt zu ihrer Mutter zurück, die nun ganz alleine in Grey Gardens wohnt und langsam zu verwahrlosen beginnt, weil sie die Welt um sich herum immer mehr vergisst…

Grey Gardens erweist sich in seiner Erzählweise anfangs als sprunghaft. Und das ist sie auch zurecht, in dem Sucsy vom liebevoll gestalteten Setting der 30er- in die 70er-Jahre wechselt und geschickt die vorher geschilderten Handlungen der Bouvier-Verwandten von ihnen selber im Zuge der in den 70er Jahre entstandenen Dokumentation kommentieren lässt. Diese Aussagen dienen letztendlich – wie sollte es auch anders sein – als Rechtfertigung für Taten, die von Außenstehenden vielleicht als nur schwer nachvollziehbar empfunden werden dürften. Zumindest denken sie das. Dabei sind sie den menschlichen Bedürfnissen und Träumen, die überall anzutreffen sind, gar nicht so fern, als das sie sich dafür rechtfertigen müssten.

Die schwierige Beziehung zwischen der Mutter und der Tochter erweist sich als unvermeidbar, denn beide sind sich zu ähnlich, als dass sie in ewiger Harmonie miteinander leben könnten. Beide müssen auf schmerzhafte Weise erkennen, dass sie von der Kunst allein – und erst Recht nicht von ihren Träumen über die Kunst – leben können und dadurch in ein Muster gezwungen werden, in dem sie sich nicht wohlfühlen. Beide versuchen auch immer wieder – die Mutter ausgeprägter als die Tochter – den jeweils anderen von der Erfüllung seiner Wünsche abzuhalten, da diese im krassen Gegensatz zu ihren eigenen Interessen stehen. Die Erzählung der zwei Lebensgeschichten, die eigentlich nur eine ist, wird dabei mit der Zeit immer stringenter, immer seltener unterbrochen und die Filmemacher der Dokumentation geraten in den Hintergrund. Vielleicht hätte der stete Wechsel im Laufe der Zeit auch gestört. Doch mit der Entscheidung, das anfängliche Konzept zu glätten, erweist sich Grey Gardens als wenig entscheidungsfreudig.

Das zentrale Thema des Films ist die Unabhängigkeit. Die kann allerdings von keiner der Frauen erreicht werden, weil beide sich selbst und dem anderen das Leben vermasselt haben. Das müssen sie ganz am Ende, in weise Selbsteinsicht erkennen. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbsterfüllung resultiert in traurige Momente der Einsamkeit, in denen vor allem Edie mit sich ringen muss. Der Film nimmt sich nur wenig Zeit für Edies Trauer. Nur kurz sieht man sie leiden, nur selten bricht sie aus sich aus, nur selten zeigt man den Kampf einer Frau mit sich selbst, die sich selbst spüren und verwirklichen will. Zusammen mit der Sprunghaftigkeit der Erzählstruktur ist dies das einzige Manko dieses stillen Dramas, das von den beiden großartigen Hauptdarstellerinnen getragen wird. Sie tragen es bis zum Ende. Ihre Schultern sind stark genug.



(Anzeige)

8
von 10