Flüstern des Meeres – Ocean Waves
Flüstern des Meeres (1993)

Flüstern des Meeres – Ocean Waves

(„Umi ga kikoeru“ directed by Tomomi Mochizuki, 1993)

Flüstern des Meeres – Ocean Waves„Studio Ghibli, sind das nicht die Zeichentrickfilme mit diesen komischen Fabelwesen?“ Jein. Die hierzulande bekanntesten Werke – Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland und Das wandelnde Schloss – spielen tatsächlich in fremden Welten oder lassen ihre Hauptfiguren zumindest eigenartigen Kreaturen begegnen. Doch während Hayao Miyzaki, Aushängeschild von Studio Ghibli und Verantwortlicher für die drei Titel oben, ein unbestreitbares Faible fürs Fantastische hat, hielten sich andere Regisseure dafür umso mehr an die Realität. Zeit, in unserem zehnten Teil des fortlaufenden Specials über das japanische Animationsstudio einen solchen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Als 1993 Flüstern des Meeres – Ocean Waves entstand, war er zwar nicht der erste völlig realistische Film von Studio Ghibli – diese Ehre gebührt Die letzten Glühwürmchen von 1988 – dafür betrat das Studio hier aber in anderer Hinsicht Neuland. Zum ersten Mal führte keiner der beiden Gründerväter von Ghibli (Miyazaki, Isao Takahata) Regie, sondern der Neuling Tomomi Mochizuki. Die Idee dahinter war, dass Nachwuchs herangebildet werden sollte, indem sie sich an kürzeren und billigeren Filmen fürs Fernsehen versuchen konnten. So ganz ging der Plan nicht auf, denn Flüstern des Meeres wurde am Ende deutlich teurer. So teuer, dass er bis heute Ghiblis einziger Fernsehfilm blieb.Flüstern des Meeres – Ocean Waves Szene 1

An der Qualität lag dies jedoch nicht, denn die war vergleichbar hoch wie bei den Kinofilmen. Wenn etwas die Herkunft des Films verrät, dann die mit 71 Minuten äußerst kurze Spielzeit. Ansonsten erinnert Flüstern des Meeres – Ocean Waves an die beiden anderen Ghibli-Werke Tränen der Erinnerung – Only Yesterday und Stimme des Herzens – Whisper of the Heart, auch wenn hier nicht das Stammpersonal am Werk war. Alle drei werfen einen nostalgischen Blick zurück auf die Schulzeit, erzählen von den Erfahrungen, die man in diesem Alter sammelt. Und damit natürlich auch von der großen Liebe.

Hier sind es die beiden Freunde Taku und Yukata, die sich in dasselbe Mädchen verlieren. Rikako heißt die Glückliche und ist 17 Jahre alt. Wobei, so richtig glücklich ist sie nicht darüber, in die Kleinstadt Kôchi umsiedeln zu müssen. Viel lieber wäre sie bei ihrem Vater in Tokio geblieben. Doch als sich ihre Eltern trennen und ihre Mutter beschließt, zu Verwandten zu ziehen, bleibt Rikako nichts Anderes übrig. Doch ihre Ablehnung, ihre Wut, ihre Verachtung für die Provinz, aus all dem macht sie keinen großen Hehl. Und so wird sie zwar schnell zu einer der Besten an ihrer neuen Schule, doch Freunde findet sie keine.

Nur Yukata steht zu ihr, nicht zuletzt wegen seiner romantischen Gefühle für sie. Die entwickelt auch Taku, stellt seine aber hintenan, um seinen Freund nicht zu verletzen. Als sich Rikako bei einem Schulausflug von Taku Geld leiht und die beiden später zusammen nach Tokio fliegen, endet das für alle Beteiligten in einem großen Desaster.Flüstern des Meeres – Ocean Waves Szene 2

Das Schöne an Flüstern des Meeres – Ocean Waves ist, wie authentisch und einfühlsam Mochizuki das verwirrte Innenleben der drei jungen Menschen beschreibt. Rational verhält sich hier keiner, denn erst mit der Zeit werden sich die Protagonisten über ihre eigenen Gefühle klar. Bis es soweit ist, wird aber kräftig geschmollt, auch geschrien und schon mal geohrfeigt. Denn eigentlich weiß keiner so recht, wie ihm geschieht. Und damit auch nicht, wie man sich verhalten soll.

Noch stärker als bei Stimme des Herzens wird die Verfilmung des Romans „Umi ga kikoeru“ („Ich kann das Meer hören“) von Saeko Himuro daher zu einer Coming-of-Age-Geschichte. In ihrem Buch schilderte die japanische Autorin die eine problematische Dreiecksbeziehung und kombinierte diese mit Hauptstadt-Provinz-Konflikten und dem Alltag einer Scheidungsfamilie, was vor zwanzig Jahren sicher nicht üblich war. Da auch die Zeichnungen wie bei Studio Ghibli üblich äußerst liebevoll sind und sehr gut das Flair einer japanischen Kleinstadt einfangen, sollten Zeichentrickfans den unbekanntesten aller Ghibli-Films unbedingt einmal eine Chance geben. Auf Blu-ray wird es den Geheimtipp zwar auf absehbare Zeit nicht geben – das ist bislang nicht einmal in Japan möglich –, dafür ist Deutschland eines der wenigen Länder, in dem der Fernsehfilm überhaupt verkauft wird. Und das ist hier sicherlich ein Glücksfall.



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Auch wenn der Film seinerzeit „nur“ fürs Fernsehen produziert wurde, steht Flüstern des Meeres – Ocean Waves vergleichbaren Ghibli-Filmen in nichts nach. Mit liebevollen Zeichnungen erzählt die Romanverfilmung einfühlsam und authentisch die Geschichte einer komplizierten Dreiecksbeziehung und den Schwierigkeiten beim Erwachsenwerden.
7
von 10