
Die Literaturstudentin und angehende Junior-Professorin Agnes (Eva Victor) und ihre beste Freundin Lydie (Naomi Ackie) leben in einem kleinen Küstenort in Massachusetts einen beschaulichen Alltag. Das ändert sich allerdings schlagartig, als Agnes Opfer eines sexuellen Übergriffs ihres Professors Preston Decker (Louis Cancelmi) wird. Von diesem Zeitpunkt an sucht sie nach Wegen, um mit dem Trauma umzugehen und ein sexuell selbstbestimmtes Dasein zu führen, während sie weiter ihre Karriere als Lehrkraft verfolgt.
Subtil erzählt und nachhaltig erschütternd
Nicht ganz ohne Augenzwinkern handeln Filmmagazine Eva Victor derzeit als US-amerikanische Antwort auf Phoebe Waller-Bridge, obwohl der Vergleich alles andere als weit hergeholt ist. Betrachtete die Britin nämlich als Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin in zwei Staffeln Fleabag (2016–2019) heterosexuelle Beziehungen und cis-männliche Marotten aus einer durchgängig weiblichen Perspektive (ja, damals galt das noch als außergewöhnlich), widmet sich Victor als Hauptdarstellerin, Drehbuchautorin und Regisseurin nun dem gleichen Themenkomplex – diesmal jedoch mit einem dünneren Schutzschild aus Humor und deutlich mehr Schwere.
Denn auch wenn es in Sorry, Baby zynische und tragikomische Momente gibt, bleibt der Gesamteindruck der in achronologischen Kapiteln erzählten Geschichte eher belastend. Und das nicht etwa deswegen, weil der Missbrauch, wie etwa bei Gaspar Noés Irreversibel (2002), explizit gezeigt wird, sondern im Stillen, fast unbemerkt abläuft, so, wie es in der Realität oft geschieht: sichtbar nur für die, die ihn erleiden. Victor geht es nicht um irgendwelche Schockeffekte, sondern um die Darstellung von dem, was auf ein solches Ereignis folgt – Gelähmtheit, Leid, Panik und Unsicherheit. Und darum, uns Zuschauer geschickt durch die Zeitstruktur darauf vorzubereiten, dass etwas nicht stimmt, dass Agnes mit einer traumatischen Vergangenheit zu kämpfen hat. Wer ohne Vorwissen in den Film geht, wird bemerkt haben, wie intelligent die Szene des Übergriffs vorbereitet ist, indem das Unwohlsein schon weit davor geweckt wird.
Die Kraft authentischer Sprache
Zusätzlich spart die 31-Jährige ebenfalls nicht an bissiger Gesellschaftskritik, die darin besteht, akademische, juristische und medizinische Institutionen zu hinterfragen, die das Problem sexueller Übergriffe mit geringer Empathie zur Kenntnis nehmen oder gar nicht erst wahrhaben wollen. Ähnlich verhält es sich mit Agnes’ männlichen Studenten, die Lolita für ein viel zu skandalöses Buch halten, um sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen – während vergleichbare Missbrauchsbeziehungen und die ihnen zugrundeliegenden Machtgefälle in der Realität weitaus schlimmer aussehen können.
Was Sorry, Baby neben seiner schlichten, zugleich eindringlichen Inszenierung und seinem gesellschaftlichen Kommentar zu einem glaubwürdigen Einblick in persönliche Traumata macht, sind außerdem die durch Füllwörter, Verhaspelungen und verzögerte Satzanfänge sehr natürlich wirkenden Dialoge. Am Anfang wirken die Gespräche zwischen Agnes und Lydie „nur“ wie die ausführlichere Version des „Men“-Teetassen-Memes, das regelmäßig in Social-Media-Kommentaren auftaucht, sobald ein neuer, von Männern verursachter Vergewaltigungs- oder Gewaltskandal Schlagzeilen macht. Doch allerspätestens im titelgebenden, an ein unschuldigeres Lebewesen gerichteten Monolog bricht Victor mit diesem Sprachduktus zugunsten eines leidenschaftlichen Appells, der sich an uns alle richtet – unabhängig vom Geschlecht.
OT: „Sorry, Baby“
Land: USA
Jahr: 2025
Regie: Eva Victor
Drehbuch: Eva Victor
Musik: Lia Ouyang Rusli
Kamera: Mia Cioffi Henry
Besetzung: Eva Victor, Naomie Ackie, Lucas Hedges, Louis Cancelmi
Sundance 2025
Cannes 2025
Filmfest Hamburg 2025
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