Im Rosengarten
Szenenbild aus Leis Bagdachs "Im Rosengarten" (© Neufilm)

Leis Bagdach [Interview]

© Neufilm Square

Leis Bagdach hat sich bisher vor allem als Dramatiker und Drehbuchautor einen Namen gemacht. In seinem Spielfilmdebüt Im Rosengarten unternimmt er eine winterliche Deutschlandreise, die ihn durch ein unwirtliches, durch Fremdenfeindlichkeit geprägtes Land führt. Erzählt wird die Geschichte des Berliner Rappers Yak (Kostja Ullmann), der auf dem Höhepunkt seines Ruhms ausgebrannt ist und von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Er bekommt einen Telefonanruf, dass sein syrischer Vater (Husam Chadat), den er seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hat, in einem Kölner Krankenhaus mit dem Tod ringt. Auf diese Weise erfährt Yak, dass er sich um seine 15-jährige Halbschwester Latifa (Safinaz Sattar) kümmern muss, die aus Syrien fliehen musste und weder Deutsch noch Englisch kann. Der Musiker fühlt sich damit überfordert und versucht, Latifa zu Freunden oder Verwandten abzuschieben. Die äußere Reise ist dabei – wie so oft – auch ein Weg nach innen. Zum Kinostart am 11. Dezember 2025 sprachen wir mit Leis Bagdach über biografische Hintergründe, Heino und filmische Träume.

Sie schreiben im Regiekommentar, dass Sie die ersten Notizen zum Film bereits vor über 20 Jahren verfasst haben. Wie kam es dann dazu, dass daraus ein konkretes Projekt, nämlich ihr Debütfilm als Regisseur wurde?

Das hat weniger inhaltliche als vielmehr biografische Gründe. Ich bin ja schon einige Jahre Filmemacher, bisher aber hauptsächlich als Drehbuchautor. Dabei gab es immer Stoffe, die mir am Herzen lagen, und es war mir für nicht ausschlaggebend, in welcher Position ich an der Umsetzung beteiligt bin. Das Projekt Im Rosengarten basiert auf einer Wunschvorstellung aus meinen Kindheitstagen. Wir reisten früher regelmäßig nach Syrien, wo die Familie meines Vaters lebt: eine komplett andere Welt, die kaum etwas mit meinem hiesigen Leben zu tun hatte. Ich habe immer davon geträumt, dass mal umgekehrt jemand aus Syrien zu mir kommt, dem ich dann meine Welt zeigen kann. Das war die Grundidee.

Wie ging es von da aus weiter?

Nach Beginn des Syrienkriegs wurde mir schnell klar, dass ich das jetzt nicht mehr so erzählen kann, wie ich das ursprünglich wollte. Hinzu kam, dass ich seit 2009 nicht mehr nach Syrien fahren konnte und das Land, das ich so gut kannte, praktisch verschwunden war. Das war wie ein Todesfall. Wenn meine Protagonist*innen im Film in einem Geflüchtetenheim landen, dann soll das weniger ein realistisches Heim in Deutschland erzählen, sondern eher eine verlorene Welt, die es auch in Syrien so nicht mehr gibt. Dieses Gefühl des Verlusts war auch Motor für den Neustart des Projekts. 2020 hatte ich ein erstes Treatment fertig, stellte es während der „Corona-Berlinale“ Stefanie Groß vom SWR vor. Ich war ja noch nie als Regisseur an einem Film beteiligt – nicht mal an einem Kurzfilm – aber hatte von Anfang an gesagt, dass ich diesen Stoff selbst inszenieren will. Das war glücklicherweise weder für sie noch für meine Produzenten jemals ein Thema.

Wenn man Ihren Lebenslauf liest, entdeckt man Parallelen zum Protagonisten des Films, dem Rapper Yak. Beide haben eine deutsche Mutter und einen syrischen Vater. Welche eigenen Erfahrungen sind in die fiktive Geschichte eingeflossen?

Der Film ist alles andere als autobiografisch. Aber natürlich stecken einige meiner Lebenserfahrungen in der Geschichte. Ich hatte nie vor, einen Themenfilm über Rassismus und Identität zu drehen. Dass der „Rosengarten“ jetzt oft so gelesen wird, ist auch den aktuellen Diskursen geschuldet. Die Erfahrungen mit strukturellem Rassismus, die wohl jeder Mensch mit sichtbarer Migrationsgeschichte in unterschiedlichen Ausprägungen kennt, sind da natürlich mit eingeflossen. Es gab Testscreenings, wo hinterher gesagt wurde, das sei im Film zu dick aufgetragen – und die Deutschen kämen generell zu schlecht weg. Wer das sagt, tappt natürlich selbst in die Falle: denn mein Protagonist ist ja Deutscher, auch wenn er einen syrischen Vater hat.

Im Rosengarten ist ein Lied, das auch von Heino gesungen wird, in kitschiger Schlagermanier. Sie greifen den Text einerseits auf, geben ihm aber in einer zweiten Version eine andere Fortsetzung. Was hat es mit dieser Doppelung auf sich?

Das Lied gilt offiziell als „domaine public“, der Komponist als unbekannt. Dabei stammt es in Wirklichkeit aus der Feder des Vaters eines meiner besten Freunde. Der wurde an Heinos Erfolg aber nie beteiligt, taucht nirgends namentlich auf. Ich kenne das Lied seit Teenagertagen. Für meinen Freund habe ich es mal gecovert, aber nicht mit Ufftata und Marschmusik, sondern mit Gitarre und eher traurig-schwer. Das Rosengarten-Motiv ist weltweit verbreitet, gerade in der Volksmusik, nicht nur in Deutschland. Auch im vorderasiatischen Raum spielt die Rose eine wichtige Rolle. Mich hat es immer fasziniert, dass Lieder, die oft mit deutscher Heimat in Verbindung gebracht werden, in Wahrheit so universell sind. Es gibt Akkordeonstücke, von denen man nicht auf Anhieb sagen kann, ob sie nun aus Südamerika kommen oder aus dem tiefsten Bayern. In den drei, vier Sätzen des „Rosengarten“-Liedes wird eigentlich alles verhandelt, worum es geht – nicht nur in meinem Film.

Das Drehbuch ist komplex. Es verflicht viele Stränge, neben dem Heimat- und Identitätsthema auch die Fragen nach Familie, nach Freundschaft, nach drastischen biografischen Kehrtwenden und auch nach einem Vater-Sohn-Verhältnis, das überwiegend aus Fremdheit bestand und trotzdem prägend ist. Wie herausfordernd war es beim Schreiben, alle diese Fäden in der Hand zu behalten und die Geschichte trotzdem nicht zu überfrachten?

Wenn ich für andere Menschen schreibe, gehe ich relativ rational vor, mache mir im Vorfeld genaue Gedanken. Dieser Geschichte habe ich mich eher intuitiv genähert, dabei sind diese Fäden quasi wie von selbst entstanden. Sie haben Heimat als ein Einzelthema angesprochen. Tatsächlich gehört für mich aber alles zusammen. Heimat ist ein schwieriger Begriff, unter anderem, weil das Konzept andere ausschließt. Aber die Bestandteile von Heimat, wenn man das Politische mal weg lässt, umfassen alle die von Ihnen angesprochenen Handlungsstränge. Darin beinhaltet sind die Natur, die Gerüche, die Musik, die Menschen, denen man begegnet. Wenn man vor 300 Jahren im Schwarzwald aufgewachsen ist, hatte man nur einen kleinen Pool von Informationen, die einen geprägt haben. Bei Menschen wie mir, die über ihre Eltern schon zwei komplett unterschiedliche Herkünfte vereinen, ist dieser Pool viel größer. Trotzdem sind die elementaren Erinnerungen genau die gleichen. Sie sind nur weiter aufgefächert. Das ist es, was ich erzählen will.

Für Ihren Debütfilm konnten Sie eine ganze Reihe prominenter Schauspieler gewinnen, allen voran Kostja Ullmann als Yak. Wie haben Sie ihn von der Rolle überzeugt?

Ursprünglich suchte ich jemanden mit arabischem oder zumindest islamischem Background, der gleichzeitig gebürtiger Deutscher ist wie ich, dessen erste Sprache Deutsch ist. Bei meiner Recherche bin ich auf den Film 3 Türken & ein Baby gestoßen – da spielt Kostja einen Menschen mit türkischen Wurzeln, was mich sehr überrascht hat. Beim ihm denkt man erstmal nicht an einen Migrationshintergrund, weil er einen deutschen Nachnamen trägt. Aber auch er hat asiatische und deutsche Wurzeln. Meine Casterin Ulrike Müller hat das Drehbuch an seine Agentur geschickt. Er war begeistert, wir haben uns sofort getroffen und vereinbart, eine Probeszene zu drehen – die dann großartig wurde. Anschließend fragte ich ihn ein letztes Mal, ob er sich wirklich auf das Abenteuer „unterbezahlter Arthouse-Debütfilm“ einlassen wolle – und er wollte.

Außergewöhnlich ist auch die Leistung von Safinaz Sattar als Yaks 15-jährige Halbschwester Latifa. Wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden?

Über die Casterin Katharina Krischker, die für die jüngeren Rollen zuständig war. Safinaz hat jemenitische Wurzeln, erinnerte mich bei unserem ersten Treffen stark an meine syrische Cousine, die auch Vorlage für die Figur Latifa war. Insgesamt habe ich tatsächlich nur zwei Schauspielerinnen dafür gecastet. Safinaz hat mich einfach umgehauen, sie hat sich die Rolle gleich zu eigen gemacht, das war faszinierend. Sie spielt intuitiv und mit großer Wucht. Man könnte auch sagen, sie spielt eigentlich gar nicht, sondern wird für einen Moment selbst zu ihrer Figur.

Kommen wir noch zur Bildgestaltung. Vieles ist in realistischem Stil eingefangen, aber die Traum- und Fantasie-Ebene spielt eine mindestens ebenso große Rolle. Welches Konzept haben Sie mit ihrem Kameramann Andreas Bergmann besprochen?

Als Debütregisseur war ich sehr froh, mit Andreas Bergmann einen so erfahrenen Kameramann an meiner Seite zu haben. Die Traumszenen hatten wir zunächst in Schwarz-Weiß geplant und beim Drehen entsprechend das Licht gesetzt. Bei der Montage dann fiel mir und meiner Editorin Claudia Wolscht auf, dass man diese Ebene gar nicht so stark abtrennen sollte. Das gab uns die Freiheit, Erinnerungs- und Traumbilder harmonisch in die Handlung einfließen zu lassen. Film an sich basiert ja ohnehin auf Traum und Erinnerung.

Sie arbeiten auch als Drehbuchautor. Werden Sie weiterhin für andere arbeiten oder verfolgen Sie nun ausschließlich Ihre eigene Regiekarriere?

Es werden nach wie vor sehr viele Filme in Deutschland produziert, aber die hiesige Filmlandschaft ist aus meiner Wahrnehmung im Umbruch. Ich glaube, es war der Regisseur Hans-Christian Schmid, der vor einigen Jahren mal geschrieben hat: „Wer jetzt kein Arthouse hat, baut sich keines mehr“. Die jurybasierte, kulturelle Filmförderung, die jetzt bei der FFA angesiedelt ist, kann sich vor Anträgen kaum noch retten. Es ist ein unglaubliches Hauen und Stechen. Ich befürchte, dass es Projekte wie Im Rosengarten, die nicht sofort marketingmäßig in eine Schublade gesteckt werden können, immer schwerer haben werden.

Wie geht es also für Sie weiter?

Ich will es so formulieren: Ich werde definitiv weiterhin Filme machen – in welcher Funktion auch immer.

Zur Person
Leis Bagdach wird als Sohn einer deutschen Mutter und eines syrischen Vaters in Köln geboren. Nach dem Abitur studiert er an der Universität Leipzig Germanistik und Theaterwissenschaften. Im Rahmen seines Studiums belegt er Blockseminare für „Szenisches Schreiben“ bei Prof. Gottfried Fischborn (Literaturinstitut Leipzig), später bei Prof. Regine Kühn (HFF Potsdam). Ab 2000 lebt er als freier Autor und Produzent in Berlin. Hier verfasst er diverse Theaterstücke, die u.a. an der Züricher Gessnerallee, am Theater Freiburg sowie dem Ballhaus Ost und den Sophiensælen in Berlin uraufgeführt werden. Sein erstes abendfüllendes Drehbuch Fernes Land wird 2011 für das Kino verfilmt (Regie: Kanwal Sethi) und feiert auf dem Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken Premiere. Es folgen die Drehbücher zu Die Besucher, sowie Die Familie, beide unter der Regie von Constanze Knoche. Im Rosengarten, sein Debüt als Regisseur, feiert 2024 auf dem Filmfest München Premiere.



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