Der Fremde L'étranger
© Foz - Gaumont - France 2 Cinema Foto: Carole Bethuel

Der Fremde

„Der Fremde“ // Deutschland-Start: 1. Januar 2026 (Kino)

Inhalt / Kritik

Meursault (Benjamin Voisin) ist Anfang 30, als er von dem Tod seiner Mutter erfährt. So richtig nahe geht ihm der Verlust aber nicht. Zumindest zeigt er wenig Anteilnahme während der Beerdigung – zum Missfallen der anderen. Wichtiger ist ihm da schon seine frühere Kollegin Marie (Rebecca Marder), die er am nächsten Tag wiedersieht und mit der er eine Affäre beginnt. Doch es ist vor allem sein Nachbar Raymond (Pierre Lottin), der für Unruhe sorgt. Dieser legt sich immer wieder mit anderen an, schlägt auch schon mal seine Freundin, wenn sie es seiner Meinung nach verdient hat. Das führt zu Konflikten mit deren Bruder, die eines Tages eskalieren und Folgen für alle haben werden …

Respektvolle Adaption eines Klassikers

François Ozon ist nicht nur einer der fleißigsten Filmschaffenden des europäischen Arthouse-Kinos, wenn er fast jedes Jahr mit einem neuen Titel ankommt. Er gehört auch zu den vielseitigsten. So kam zuletzt Wenn der Herbst naht (2024) heraus, eine sonderbare Genremischung um zwei alte Freundinnen, die von ihrer Vergangenheit verfolgt werden und mit tragischen Ereignissen zu kämpfen haben. Davor veröffentlichte der französische Regisseur Mein fabelhaftes Verbrechen (2023) die Krimikomödie, die sich satirisch mit Ruhm und True-Crime-Besessenheit auseinandersetzte. Nun meldet sich Ozon mit Der Fremde zurück, eine Adaption des gleichnamigen Jahrhundertromans von Albert Camus. Dieser zählt nicht nur zu den Eckpfeilern des Existenzialismus, sondern auch den meistgelesenen französischen Romanen aller Zeiten.

Das ist natürlich ein schweres Erbe, welches er da antritt. Eines, bei dem man ganz besonders neugierig sein durfte, wie es Ozon angehen würde. Im Laufe der Zeit hat er immer wieder eine gewisse Respektlosigkeit bewiesen. Bei Camus ist der Respekt dann aber wohl doch zu groß. Wo Peter von Kant 2022 noch eine Hommage war, die mit Meta-Elementen arbeitete, da bleibt Der Fremde nahe an der Quelle. Es gibt keine Modernisierungen, weder beim Setting noch dem Inhalt. Auch bei der Besetzung ging er keine Risiken ein: Mit Voisin, Marder und Lottin wählte er für die Hauptrollen Schauspieler und Schauspielerinnen, mit denen er zuvor schon zusammengearbeitet hatte. Alles in Schwarzweißbilder zu packen, ist ebenfalls nichts Neues für ihn. Das hatte er 2016 schon in seinem gefeierten Drama Frantz so getan.

Eine ganz eigene Seherfahrung

Ebenso wie dort bleibt er in seinem neuesten Werk nah bei den Figuren, vor allem eben an dem Protagonisten Meursault, der in fast jeder Szene zu sehen ist. Doch während man bei dem früheren Film von Ozon den Menschen mit der Zeit näherkam und die Gefühle hinter der Kulisse nach und nach enthüllt wurden, da ist bei Der Fremde die Besonderheit eben die Distanz. Da gibt es keine Küchenpsychologie, die seine mangelnde Anteilnahme erklären soll. Und auch der Mord an dem Bruder wird nie so wirklich aufgeklärt. In einem seltenen Moment eines Erklärungswillens erwähnt Mersault die Sonne, so als wäre damit alles erhellt, was sich abgespielt hat. Für die anderen ist das aber allenfalls ein Zeichen fürr Verrücktheit. Und selbst zum Schluss, wenn der bislang so schweigsame Protagonist ausbricht und in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung schreit, wissen die Anwesenden nichts damit anzufangen.

Doch das bedeutet eben nicht, dass der Film nichtssagend ist. Es werden eine ganze Reihe von Themen verhandelt oder zumindest angesprochen. Ob es nun die Kolonisierung Algeriens durch Frankreich ist, gesellschaftliche Normen, Religion oder das Spannungsfeld eines inneren Empfindens und einer äußeren Darstellung, da ist eine Menge geboten, ohne dass Ozon definitive Antworten geben würde. Das Drama, das 2025 im Wettbewerb von Venedig Weltpremiere hatte, ist zudem audiovisuell ein Genuss. Es ist gerade der Kontrast zwischen der sehr sinnlichen Inszenierung und dem regungslosen Äußeren des Protagonisten, die Der Fremde zu einer ganz eigenen Seherfahrung machen. Hinzu kommt die fremdartige Musik und ein Ensemble, die ihren Anteil daran haben, dass das Werk zwar selbst fremd ist, dabei aber immer sehenswert ist.

Credits

OT: „L’étranger“
Land: Frankreich
Jahr: 2025
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, Philippe Piazzo
Vorlage: Albert Camus
Musik: Fatima Al Qadir
Kamera: Manu Dacosse
Besetzung: Benjamin Voisin, Rebecca Marder, Pierre Lottin

Bilder

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Der Fremde
fazit
Basierend auf dem existenziellen Romanklassiker erzählt „Der Fremde“ von einem jungen Mann, der keinerlei Emotionen zeigt, nicht einmal, als er einen Mord begeht. Der Film spielt mit dem Kontrast aus Sinnlichkeit und Gefühlslosigkeit. Dabei werden die unterschiedlichsten Themen gestreift, selbst wenn die Suche nach Antworten kein definitives Ergebnis nach sich zieht.
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