Basierend auf dem Romanklassiker von Mary Shelley erzählt Frankenstein die Geschichte von Victor Frankenstein (Oscar Isaac), der besessen davon ist, den Tod zu besiegen. Also startet er eine Reihe von wissenschaftlichen Experimenten. Dabei gelingt es ihm tatsächlich, aus Leichenteilen einen lebenden Menschen (Jacob Elordi) zu machen. Doch der Triumph wandelt sich in ein Desaster, als die Kreatur ein Eigenleben entwickelt. Anlässlich des Starts auf Netflix am 7. November 2025 unterhalten wir uns mit Felix Kammerer, der in dem Film Frankensteins Bruder William spielt. Im Interview spricht er über seine Beziehung zum Roman, was wir von unseren Eltern mitnehmen und wie er ein Monster definieren würde.
Was hat dich an Frankenstein gereizt? Warum wolltest du in dem Film mitspielen?
Zunächst einmal, dass Guillermo del Toro Regie führt. Noch bevor ich wusste, worum es eigentlich geht, war für mich klar, dass ich mitmache. Guillermo hat eine Regie-Handschrift, die ich immer ganz faszinierend fand, seitdem ich das erste Mal Pans Labyrinth gesehen habe. Er ist sein eigenes Genre. Man sieht schon durch die Kameraführung und die Farbgebung, aber auch die Art der Erzählung sehr schnell, dass es ein Film von ihm ist. Als ich dann noch gehört habe, dass es Frankenstein ist, war die Entscheidung klar. Der Roman ist der Prototyp von Monstererzählungen. So viele Geschichten um Ungeheuer basieren auf dieser Geschichte. Das ist fast so, als würdest du an den Kern dieses Geschichtentyps rankommen, eine Rückkehr an die Ursprünge. Und dann eben noch mit dem Meister der Monster. Das ist eine Kombination, die kann man sich nur wünschen.
Der Roman ist inzwischen über zweihundert Jahre alt. Und doch geht er nicht weg, man sieht seine Einflüsse überall. Was macht ihn so aktuell, dass wir nicht davon lassen können?
Ich glaube, das sind einfach die Themen, die darin stecken. Sie sind so universell. Du hast die großen Themen wie Elternschaft. Wie gehen wir mit unseren Kindern um? Wie gehen unsere Kinder mit uns um? Was wollen wir weitergeben? Was wollen wir nicht weitergeben und kommt doch wieder? Das Thema hat mich selbst schwer beschäftigt, weil meine Freundin während der Dreharbeiten gerade schwanger war. Wir wussten also, dass wir bald selbst in dieser Situation sein würden, von der dieser Film erzählt, von der diese Geschichte erzählt. Da geht es eben auch um die Frage, was für Eltern man sein möchte. Das fand ich sehr interessant gerade auch im Hinblick auf Mary Shelley, die sehr autobiografisch geschrieben hat, mit ihren eigenen Kindern und den Tragödien in ihrer Familie. Die Kinder, die gestorben sind. Die Kinder, die überlebt haben. Der Wunsch nach Kindern. Sie hat all das verpackt in eine Monstergeschichte. Sie blickt in die klarsten Kerne des Menschseins und beschreibt dies über Monster. Das ist ein hochinteressanter Zugang.
Wir kennen im Groben alle die Geschichte des Romans. Spielte er bei der Vorbereitung für den Film da noch eine Rolle? Hast du ihn nochmal gelesen?
Ich habe ihn tatsächlich nochmal gelesen. Als ich ihn das erste Mal während meines Studiums gelesen habe, so vor acht Jahren, fand ich ihn ganz schlimm. Ich mochte ihn überhaupt nicht und habe auch nicht verstanden, worum es geht. Die Aufarbeitung über Briefe und Rückblenden fand ich verwirrend. Deswegen dachte ich: Ich muss ihn nochmal lesen, weil ich das Buch, das wir hier verfilmen, schon mögen sollte. Beim erneuten Lesen war ich dann auch hin und weg und habe mich in den Stoff verliebt. Dennoch fand ich es hilfreich, den Roman irgendwann beiseitezulegen und nur noch mit dem Drehbuch zu arbeiten, weil wir nun einmal das Drehbuch verfilmen, nicht den Roman. Und Guillermo hat die unterschiedlichsten Teile und Motive der unterschiedlichsten Frankenstein-Bearbeitungen eingebaut, etwa Frankensteins Braut oder die Comics. Daher war es sinnvoller, mit dem Drehbuch zu arbeiten.
Dann kommen wir auf deine Figur zu sprechen: Wie würdest du sie beschreiben? Wer ist William Frankenstein?
Im Original ist er fünf Jahre alt und nach zwei Sätzen tot. Als ich das Angebot bekommen habe, William zu spielen, war ich deshalb auch etwas verwirrt. Wie soll das aussehen? Für Guillermo hätte ich aber auch das akzeptiert: Macht mich per Computer zu einem fünfjährigen Jungen und nach zwei Sätzen bin ich weg vom Fenster. (lacht) Zum Glück hat Guillermo daraus aber eine fantastische Rolle geschrieben. Das ist ein so interessanter und vielschichtiger Charakter. Der junge William Frankenstein, der ein Gegenstück zu seinem Bruder ist: gut erzogen, liebevoll, er hat viele Freunde und soziale Kontakte, er ist sehr erfolgreich. Ganz anders als sein Bruder, der so messy ist mit seinen Leichenteilen im Keller. Die beiden stehen sich diametral gegenüber. Und doch steckt in beiden jeweils etwas vom anderen drin. Beide haben auch den Wunsch, mehr wie der Bruder zu sein: Victor will sein wie William, gleichzeitig will William sein wie Victor. Das fand ich sehr spannend und William ist mir wirklich ans Herz gewachsen während der acht Monate Dreharbeit.
Du hast schon den Wunsch der beiden Brüder angesprochen, wie der andere zu sein. Wie würdest du allgemein das Verhältnis der beiden beschreiben?
Es ist eigentlich ein ziemlich klassisches Verhältnis zwischen Brüdern, wie man es oft in Geschichten sieht. Da ist viel Neid, du hast den Bruderzwist. Aber es ist eben mehr als das, weil beide den Konflikt brauchen. Sie brauchen auch einander, um sich weiterzuhelfen. William braucht Victor, um überhaupt an den Punkt zu kommen, Victor das zu sagen, was Victor braucht, um selber weiterzukommen. Die Wahrheit über Victor kann nur William aussprechen. Elizabeth tut das zwar auch. Aber nur von William würde Victor diese Wahrheit annehmen. Bei allen anderen würde er das als Idiotie abtun. Dadurch brauchen die beiden Brüder sich enorm.
Beide haben eine tragische Kindheit erlebt, indem sie die Eltern früh verloren haben. Warum haben sie so unterschiedliche Schlüsse daraus gezogen?
Warum bin ich Schauspieler geworden und nicht Physiker? Warum interessiert mich Architektur, aber nicht Biochemie? Wir stellen uns immer die Frage, warum wir so werden, wie wir werden. Das ist auch so interessant an dem Buch, weil es genau diese Frage stellt. Woher kommen unsere Inspirationen? Unsere Interessen? Woher kommt das, was uns als Individuum ausmacht? Ich sehe das selbst bei meiner Tochter, die noch nicht einmal ein Jahr alt ist und bei der man jetzt schon erkennen kann, dass sie Interesse für manche Dinge hat und für manche Dinge nicht. Da frage ich mich dann: Woher hat sie das? Von mir hat sie das nicht, weil ich ihr das noch gar nicht sagen konnte. Sie hat sich das auch noch nicht abschauen können. Du bist dann immer überrascht, wie aus diesem kleinen Menschen etwas herauskommt, das du selbst gar nicht gesät hast. Und dann wird es unheimlich – aber auch wunderschön.
Hast du denn durch die Arbeit an Frankenstein etwas für deine neue Rolle als Vater oder ganz allgemein für dich gelernt?
Es ist eine ganz grundsätzliche Frage als Eltern, was man weitergeben möchte. Das ist eine Thematik, die wir alle in unserem Leben haben und auf die wir immer wieder stoßen. Du willst vielleicht verhindern, dass dein Kind etwas so macht wie du und am Ende kommt es doch genauso. Du musst lernen, manches zu akzeptieren, neue Wege zu finden. Die Frage ist dann: Wenn sich der eine Weg schließt und sich ein neuer öffnet, musst du entscheiden, ob du ihn gehen willst oder nicht. Du kannst manchmal nicht beeinflussen, was dir in deinem Leben geschieht. Aber du kannst beeinflussen, was du daraus machst. Das ist auch etwas, was ich aus dem Film für mich mitnehme.
Letzte Frage. Du hast mehrfach von Monstern gesprochen. Lange galt die Kreatur von Frankenstein als Monster. Mit der Zeit hat sich das aber gewandelt, oft wird jetzt Frankenstein selbst als Monster angesehen. Was macht für dich ein Monster aus?
Für mich ist ein Monster ein Wesen, das sich selbst nicht hinterfragt und die eigenen Beweggründe nicht erkennt. Ein Wesen, das nicht lernen möchte oder nicht lernen kann und vor allem nicht verstehen möchte. Dadurch ist für mich Victor das eigentliche Monster, weil er nicht verstehen möchte und nicht lernen möchte. Im Gegensatz zu seiner Schöpfung, seinem Kind, das lernen möchte, das weiterkommen möchte, verstehen möchte. Deswegen ist das Monster in Frankenstein die Figur, die am wenigsten ein Monster ist in dem ganzen Film.
Vielen Dank für das Interview!
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