
In einer kleinen Stadt an der Küste im Sommer treffen sich Nagisa (Yuumi Kawai) und der schüchterne Natsuo (Mansaku Takada). Beide haben nicht viel übrig für den Strand, an dem sich die Menschen tummeln und suchen lieber abgeschiedene Orte auf, wie das örtliche Museum oder einen eher abgelegenen Teil der Küste. Dort sehen die beiden sich das erste Mal und beginnen sich über verschiedene Dinge zu unterhalten. Natsuo erzählt von den Verwandten, bei denen er zu Besuch ist, während Nagisa ihre Beobachtungen über den Sommer und die Menschen schildert.
Ebenfalls in einer kleinen Stadt – jedoch dieses Mal im Winter – treffen die Drehbuchautorin Lee (Shim Eun Kyung) und der Einsiedler Benzo (Shinichi Tsutsumi) aufeinander. Auf der Suche nach einem Hotel landet die junge Frau in seiner Pension, die abgeschieden vom eigentlichen Dorf liegt. Während sie nach Ideen für ihr neues Projekt sucht, wird sie neugierig, warum Benzo so zurückgezogen lebt und wo seine Familie ist, deren Spuren man im Haus noch deutlich sehen kann.
Über Zwischentöne
Durch seine Filme And Your Bird Can Sing (2018) und Small, Slow but Steady (2022) hat der japanische Regisseur Sho Miyake sich etabliert als einer der wichtigsten Filmemacher Japans. Dabei wirken seine Inszenierung sowie die Themen seiner Werke beinahe etwas aus der Zeit gefallen und stehen in Kontrast zu den jungen Protagonisten, die in seinen Geschichten vorkommen. In einer Zeit geprägt von Globalisierung und steigender Digitalisierung blickt er auf die Unsicheren und die Introvertierten. Miyakes Figuren sind dabei, sich einen Weg in der Welt zu definieren, jedoch scheinen die Grenzen bald erreicht zu sein, denn nicht alles lässt sich über Worte ausdrücken. In Two Seasons, Two Strangers, der aktuell auf dem Filmfest Hamburg zu sehen ist, verbindet er zwei Kurzgeschichten des Autors Yoshiharu Tsuge zu einer Story über die Zwischentöne in menschlichen Beziehungen sowie den Erzählungen, die uns als Gemeinschaft verbinden und Identität stiften.
In Sho Miyakes neuem Film dominieren zwei Elemente, das Wasser und das Eis. Während im ersten Teil die beiden Hauptfiguren immer wieder zurückfinden an den Strand und damit das Meer, betonen die Schnee- und Eismassen in der zweiten Geschichte die Isolation der Charaktere sowie ihren langsamen Prozess des Wieder-Anknüpfens an die Welt. Die Dialoge sind dabei fast schon banal, denn Miyake setzt auf „pure cinema“, wie er in Interviews zu Two Seasons, Two Strangers immer wieder hervorhebt. Die Weite des Meeres und das unergründliche Weiß des Schnees lassen keine langen Gespräche zu – das gemeinsame Schweigen genügt, um Kommunikation auf Augenhöhe entstehen zu lassen. Miyake hat seinen Inszenierungsstil immer weiter reduziert und geht bei Two Seasons, Two Strangers fast schon minimalistisch vor, ohne dabei jedoch die Poesie der Bilder und das Zwischenmenschliche zu ignorieren. Die Zwischentöne, um die es ihm geht, sind Leerstellen, in denen sich paradoxerweise genau das ausdrückt, was Worte nicht mehr greifen können.
Artefakte und Modelle
Sho Miyakes Figuren sind stets auf der Suche nach einem Ursprung, der ihnen vielleicht Antworten geben kann auf ihre eigenen Fragen. Der Gang durch ein Dorfmuseum, in dem die Verbundenheit der Bewohner zur Fischerei und damit zum Meer deutlich wird, oder eine alte Pension, deren Fotos und Wände von ihren ehemaligen Bewohnern zeugen. Nagisa sucht im Museum nach einer Form der Verbundenheit und Identität, während Lee ebenfalls auf der Suche nach einer Bleibe ist, in der sie Zuflucht findet vor einer Welt, in der scheinbar alles mit Worten erfassbar gemacht wird. Die Begegnung mit einem Professor, der ihren letzten Film als „sinnlich“ und „beinahe erotisch“ versteht, wirkt dabei fast schon wie eine ironische Anspielung auf so manche Lesart von Filmkritikern. Die Artefakte – die Pension, das Museum – sind Orte, an denen die Figuren zum Ursprung zurückkehren und wieder zu sich finden. Es sind Orte, an denen die Worte in ihre Schranken verwiesen werden, denn es benötigt keine noch so tiefgehende Beschreibung, um zu verstehen, was sie bedeuten.
Zu der poetischen Inszenierung passt die natürliche Herangehensweise der Schauspieler. Die aus Blue Hour und The Journalist bekannte Shim Eun Kyung spielt Lee als eine Autorin, der durch einen Trauerfall in ihrem Bekanntenkreis die Grenze ihrer Worte und damit ihrer Kunst bewusst werden. Kyungs natürliches und ausdrucksstarkes Spiel zeigt den Lernprozess ihrer Figur, während ihre Interaktionen mit dem ebenso grandiosen Shinichi Tsutsumi von subtilem Humor erfüllt sind.
OT: „Tabi to Hibi“
Land: Japan
Jahr: 2025
Regie: Sho Miyake
Drehbuch: Sho Miyake
Vorlage: Yoshiharu Tsuge
Musik: Hi’Spec
Kamera: Yuta Tsukinaga
Besetzung: Eun-kyung Shim, Yuumi Kawai, Mansaku Takada, Shiro Sano, Shinichi Tsutsumi
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