Viktor Jakovleski, June Ellys Mach, Nikias Chryssos, Aaron Altaras und Clemens Schick (v.l.) bei der Premiere von "Rave One" beim Filmfest München 2025 (© Ronny Heine / Filmfest München)

Nikias Chryssos / Viktor Jakovleski [Interview]

Regisseur Nikias Chryssos (© Viktor Richardsson)

In Rave On (Kinostart: 31. Juli 2025) lernen wir Kosmo (Aaron Altaras) kennen, der immer davon träumte, einmal als DJ ganz groß rauszukommen, dabei aber scheiterte. Ganz davon lassen kann er aber noch immer nicht. Als er erfährt, dass die Rave-Legende Troy Porter (Hieroglyphic Being) in einem Club auflegen wird, setzt er alles dran, um diesem eine Platte in die Hand zu drücken und auf diese Weise vielleicht doch noch seinen Traum wahrzumachen. Klingt einfach und stellt sich doch als ziemlich schwierig heraus, da der Kampf durch den Club zu einer Odyssee wird, auf der er sich erst selbst finden muss. Wir haben die beiden Regisseure und Drehbuchautoren Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski bei der Weltpremiere auf dem Filmfest München 2025 getroffen. Im Interview sprechen wir über die Entstehung des Films, künstlerische Krisen und die Frage, wem eigentlich Kunst gehört.

Könnt ihr uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Rave On erzählen? Wie ist es dazu gekommen, dass ihr beide diesen Film gemacht habt?

Viktor Jakovleski: Ich liebe Kollaborationen generell. Und Nikias und mich verbindet eine lange 20-jährige Freundschaft, die durch unsere gemeinsame Liebe zum Film und zur elektronischen Musik geprägt ist. Die Idee zum Film ist tatsächlich im Club entstanden, als ich mich fragte: Lässt sich das Club-Erlebnis auf der Leinwand abbilden und für das Publikum nachempfindbar machen? Diese Idee schwirrte viele Jahre in meinem Kopf herum. Ich habe mir beim Raven über die Jahre viele Notizen und Ideen runtergeschrieben. Irgendwann habe ich Nikias beim Raven von der Idee erzählt und ab dem Moment haben wir dann gemeinsam einen Versuch gestartet, das Ganze in eine filmische Form zu bringen, zunächst als Treatment, danach in Drehbuchform.

Nikias Chryssos: Als Viktor auf mich zugekommen ist, war das noch gar nicht als gemeinsames Regieprojekt gemacht. Es ging zunächst nur darum, ihm zu helfen, einen Schritt mit dem Text weiterzukommen, die Idee, gemeinsam Regie zu führen, kam spät. Ich fand erstmal die Idee interessant, gemeinsam einen Stoff zu entwickeln, mit dem uns beide so viel verbindet. Mit der Zeit hat es mich immer mehr getriggert, in diese Welt einzutauchen. Ich interessiere mich selbst schon lange für elektronische Musik, auch die Produktion von elektronischer Musik. Wir erzählen ja die Geschichte von jemanden, der selbst Musik macht, und wollten beides haben: das Spektakel, das Immersive, bei dem man sich audiovisuell richtig auf diese Reise einlassen kann, aber auch das Persönliche, wenn der Protagonist in eine Krise rutscht.

Viktor Jakovleski: Der Film hatte für uns von Anfang an einen ergebnisoffenen Experiment-Charakter, da wir wirklich nicht wussten, ob sich dieses Erlebnis überhaupt abbilden bzw. einfangen lässt. Das war das Spannende: zu schauen, ob es funktioniert.

Und wie sah dieses Experiment nach dem anfänglichen Ping-Pong bei euch aus? Habt ihr beim Dreh immer alles gemeinsam gedreht und drüber geschaut oder euch irgendwie aufgeteilt?

Viktor Jakovleski: Vor dem Dreh haben wir lange darüber gesprochen und uns aufeinander eingestimmt. Wie kann das funktionieren? Wie können wir effizienter werden als Team? An erster Stelle stand dabei für uns, dass unsere Freundschaft intakt bleiben muss. Eine Zusammenarbeit kann sehr kompliziert werden, v.a. wenn das Stresslevel steigt. Da kann ganz viel schiefgehen. Da können Freundschaften auseinandergehen. Das wollten wir auf jeden Fall vermeiden. Und das hat im Endeffekt sehr gut funktioniert. Wir hatten einen extrem tighten Drehplan mit nur zwölf Drehtagen, was extrem wenig ist für einen Spielfilm.

Nikias Chryssos: Wir hatten gleich am Anfang einen Drehtag mit zehn oder elf Drehbuchseiten, weil wir so lange Dialogszenen hatten.

Viktor Jakovleski: Daher mussten wir vorab ein Kamerakonzept finden, das uns ein zügiges Arbeiten erlaubt, aber auch stimmig ist mit der Grundidee des Films. Wir hatten das große Glück, dass wir in einem echten, funktionierenden Club drehen durften, in dem wir uns frei bewegen konnten. Wir waren dort in einer studioähnlichen Situation – nur dass der Ort komplett authentisch war. Das macht den Großteil der Authentizität des Films aus. Wir haben das Drehbuch an den Ort angepasst und geschaut, wie ihn bestmöglich nutzen und effizient durch unsere Drehtage durchkommen können. Das ging durch wenige und sehr kurze Umbauten sowie die Nutzung von Available Light. Nach den Takes haben Nikias und ich uns kurz zu zweit besprochen, bevor wir dann separat Feedback gegeben haben an die verschiedenen Departments.

Nikias Chryssos: Wir haben schnell festgestellt: Wenn wir beide unabhängig Feedback geben, dann kann es unter Umständen dazu führen, dass wir uns widersprechen. Da war es besser, wenn einer von uns die Ansage machte, um besser im Flow zu bleiben.

Hat es das dann schneller oder langsamer gemacht, dass ihr zu zweit wart?

Viktor Jakovleski: Viel schneller. Alleine hätte das wahrscheinlich keiner von uns so geschafft.

Nikias Chryssos: Man kann sich nicht erlauben, sich zu verzetteln. Bei einem solchen Schedule darf man gar nicht erst mit Perfektionismus anfangen.

Viktor Jakovleski: Aus Motiv- und Budgetgründen wäre das nicht gegangen, viel auszuprobieren und zu diskutieren. Als wir bei den echten Partys gedreht haben, galt das erst recht. Da gab es nun einmal die begrenzte Drehzeit. Du konntest auch nicht wirklich kommunizieren, sondern hast mitgenommen, was du bekommen hast. Dadurch hatte das aber eine ganz eigene Energie und diesen halb-dokumentarischen Charakter.

Ihr habt vorhin schon gesagt, dass der Protagonist in eine Krise gerät. Warum habt ihr eine solche Geschichte erzählen wollen? Ihr hättet auch einfach einen In-the-moment-Film drehen können.

Viktor Jakovleski: Wir beide können es sehr gut nachvollziehen, was es bedeutet, in einer Schaffenskrise zu sein. Ich weiß nicht, wie oft ich schon ans Aufhören gedacht habe, weil irgendwas nicht funktioniert, weil kein gutes Feedback kommt, weil irgendein Projekt dann doch nicht gemacht wird und eine Idee ins Nichts führt. So eine Frustration kann sich anstauen, bis du irgendwann keinen Bock mehr hast und denkst: Ich werde jetzt Schlosser, mache eine Ausbildung. Wir wussten daher: So eine Geschichte können wir erzählen. Ein Typ, der denkt, dass er mit der einen Platte noch einmal etwas reißen kann und alles auf eine Karte setzt. Dadurch entsteht automatisch ein existentialistisches Spannungsgefühl.

Nikias Chryssos: Und auch den Club als Ort zu zeigen, in dem er in seine Einzelteile zerlegt und anschließen wieder besser zusammengesetzt wird. Kosmo kämpft mit der existenziellen Frage, ob er überhaupt weiterhin Musik machen soll oder nicht vielleicht doch etwas komplett anderes. Schließlich hat sich die Welt weitergedreht und er fühlt sich außen vor. Man kann sich in dem Club wegballern. Gleichzeitig wird er zum Ort der Selbstfindung.

Und du kannst dich auch mit einer solchen Schaffenskrise identifizieren und der Frage, ob du aufhören solltest?

Nikias Chryssos: Auf jeden Fall. Wenn man ganz lange an Projekten arbeitet, aus denen dann doch nichts wird, das lässt einen schon zweifeln. Und auch die Projekte, die am Ende tatsächlich geklappt haben, waren zwischendurch oft an einem Punkt, an dem sie tot waren. Das kann sehr frustrierend sein. Der Bunker habe ich damals gemacht, weil ich ein anderes Projekt nicht finanziert bekommen habe.

Viktor Jakovleski: Ich glaube, dass du dir in jedem kreativen Beruf irgendwann die Frage stellst: Bin ich gut genug? Hat das, was ich erschaffe, irgendeine Form von Wert? Will das jemand hören bzw. sehen?

Nikias Chryssos: Oder reite ich da ein totes Pferd? Wie lange soll ich es versuchen? Irgendwann will man womöglich raus aus einem prekären Leben und eine Form der Stabilität erreichen. Klar braucht man eine gewisse Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen, um es zu schaffen. Aber wenn man mit 60 in L.A. immer noch von einer Schauspielkarriere träumt und es keinerlei Perspektive dafür gibt, kann es auch schnell traurig werden. Man will ja auch nicht den Spaß an dem kreativen Schaffen verlieren.

Viktor Jakovleski: Bei Kosmo ist es so, dass er sich in eine Sackgasse manövriert hat, die er sich selbst geschaffen hat. Er muss aber erst die Platte verlieren und endlich mal wieder auf die Musik im Club hören und Spaß haben und tanzen, um sich zu befreien und vielleicht seine kreative Seele wiederzufinden.

Hattet ihr beide denn einen Plan B, falls ihr wirklich das Filmemachen aufgegeben hättet?

Viktor Jakovleski: Ich hatte nie wirklich einen Plan B. Ich habe einmal in einem Medienhaus gearbeitet. Das war das einzige Mal, dass ich etwas gemacht habe, das nichts mit Film zu tun hatte. Das ging ein halbes Jahr, danach konnte ich schon nicht mehr. Also bin ich zurück und habe an Rave On und KRANK Berlin gearbeitet.

Nikias Chryssos: Bei mir gab es auch keine Alternative. Der Bunker war zwar mal tot, aber es ging gleich danach doch wieder weiter. Wenn der Film wirklich gar nicht gekommen wäre, weiß ich nicht, was ich stattdessen gemacht hätte. Meine Tante macht Wein auf Santorini. Vielleicht hätte ich dann das Olivenöl gemacht.

Ihr habt schon davon gesprochen, dass man manchmal ausbrechen und etwas Neues versuchen muss. Glaubt ihr denn, dass es überhaupt den einen richtigen Weg gibt?

Nikias Chryssos: Nein. Schon der Glaube, dass es ihn gibt, ist gefährlich, weil man dann das Gefühl hast, das ganze Leben kontrollieren zu können. Wenn dann etwas nicht klappt, macht man sich existenziell davon abhängig. Was auch ganz gefährlich ist, wenn man anfängt, sich mit anderen zu vergleichen und wie die es gemacht haben. Das ist eine Anleitung zum Unglücklichsein. Man wird dann schnell verbittert. Man muss sein eigenes Glück finden und darf sich nicht von anderen abhängig machen.

Viktor Jakovleski: Ich glaube auch nicht, dass es diesen einen Weg gibt. Die größere Frage ist immer: Was will ich eigentlich wirklich? Und kann ich das so klar für mich definieren? Viele scheitern schon daran, dass sie nicht wissen, in welche Richtung sie wollen. Dann kommt schnell die Angst ins Spiel. Und die Angst ist die Visualisierung von dem, was man nicht will.

Regisseur Viktor Jakovleski (© Anastasia Coyto)

Dann kommen wir zur Musik in eurem Film. Ihr habt die ja nicht selbst geschrieben, sondern schreiben lassen. Habt ihr da konkrete Vorgaben gemacht, eben weil Musik so eine große Rolle in Rave On spielt?

Viktor Jakovleski: Die Musik ist natürlich essentiell in unserem Film. Unser guter Freund, Ed Davenport, der schon lange Techno produziert und in den größten Clubs der Welt auflegt, hat uns in der Schnittphase einen immens großen Ordner mit unveröffentlichter Musik bereitgestellt, die wir frei benutzen konnten. Unser Editor, Anselm Koneffke, der selber einmal Techno-DJ und -Produzent war, aber noch nie einen Spielfilm geschnitten hat, hat es dann geschafft, die Musik bestmöglich einzusetzen und dem Film so den Rhythmus zu geben.

Nikias Chryssos: Das war das Grundgerüst und Ed konnte, nachdem er gesehen hat, was wir ausgesucht hatten, alles noch weiter verfeinern. Dazu haben wir auch ältere Stücke aus den 90ern lizensiert.

Viktor Jakovleski: Der letzte Track im Film ist zum Beispiel von CJ Bolland, einer belgischen Techno Legende. Anselm hat diesen Track in seinen alten DJ Zeiten immer als Closing Track gespielt. Daher setzte er ihn auch als Closing Track für den Film ein. Wir hatten dadurch eine schöne Mischung aus Dancefloor-Tracks und atmosphärischen Stücken, die teils auch von John Gürtler stammen, ein klassischer Filmkomponist. Die ganze Zeit nur Techno zu verwenden, hätte nicht funktioniert. Der Film brauchte genau diese Abwechslung. Die Musik hat quasi ihre eigene Dramaturgie.

Nikias Chryssos: Die Musik geht dabei natürlich auch ins Sounddesign über oder mischt sich darin hinein.

Kommen wir von der Musik zu einer philosophischen Frage, die ihr in dem Film selbst ansprecht: Gehört einem die Kunst, die man kreiert?

Nikias Chryssos: Nein. Der Künstler oder die Künstlerin hat zumindest keine Deutungshoheit über das Werk und kann allein bestimmen, was es bedeutet. Es wird ja gerade erst spannend, wenn die Kunst auf die Welt draußen trifft und es darum geht, wie sie aufgenommen wird. Das ging mir bei meinen Filmen auch so. Die Gespräche mit dem Publikum haben mir oft neue Aspekte meiner eigenen Arbeiten eröffnet.

Viktor Jakovleski: Bis zu einem gewissen Grad gehört einem die Kunst schon, weil du sie kreiert hast. Du hast also ein Urheberrecht. Aber wie Nikias schon sagt, du hast nicht die Deutungshoheit. Ganz oft bekommt Kunst erst durch die Partizipation von anderen eine Form. Durch das Feedback von außen und die Interpretation entsteht etwas ganz eigenes.

Nikias Chryssos: Bei einem Film ist es auch noch etwas anderes, weil so viele Leute zusammen an etwas arbeiten und ihren Anteil daran haben. Ob es Anselm, der Editor, ist oder auch der dokumentarische Anteil, das geht nicht auf uns allein zurück. Speziell in unserem Fall kommt noch hinzu, dass wir als Regieduo gearbeitet haben. Dadurch wurde ein Gruppenwerk draus.

Wenn Kunst ein bisschen das ist, was andere draus machen, denkt ihr schon im Vorfeld darüber nach, was andere davon halten könnten?

Viktor Jakovleski: Was sie davon halten, weniger. Das kannst du nicht vorhersagen oder kontrollieren. Und wenn du es versuchst, wirst du wahnsinnig. Das wichtigste für mich war, dass das Publikum durch den Film eine Club Erfahrung nacherleben kann. Jeder Gefühlszustand von Kosmo sollte vom Zuschauen nachgefühlt werden, so dass ein immersives Erlebnis entsteht.

Letzte Frage: Was sind eure nächsten Projekte?

Nikias Chryssos: Ich habe letztes Jahr noch einen Tennis-Horrrofilm gedreht, der nächstes Jahr in die Kinos kommt. Außerdem arbeite ich an einem Animationsfilm und einer Adaption des Romans Frühling der Barbaren von Jonas Lüscher, eine Satire, die in einem tunesischen Luxusresort spielt, in das der Finanzcrash einbricht.

Viktor Jakovleski: Bei mir gibt es noch ein altes Dokumentarfilmprojekt, bei dem ich schon seit Jahren am Schneiden bin und jetzt den neuen Elan bekommen habe. Da geht es um den Künstler Julius von Bismarck, mit dem ich eine abenteuerliche Expedition ins Catatumbo Delta in Venezuela gemacht habe. Des weiteren gibt es ein neues fiktionales Projekt, an dem ich mit einem Autor schreibe. Das  handelt von einem Berliner Feuerwehrmann, der in einer Art Amoklauf durch die Stadt zieht. Zuletzt gibt es ein halb-dokumentarisches, halb-fiktionales Tanzprojekt, das durch die Kollaboration zwischen einer großartigen Choreografin und eines legendären Technokünstlers entstehen soll, das ich filmisch einfangen möchte.

Vielen Dank für das Gespräch!



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