
Die brave Mimi (Louiza Aura) und die wilde Billie (Gio Ventura) kennen sich nicht, hegen aber denselben Traum: Sie wollen mit ihrer Musik Geld verdienen und nehmen deshalb im Jahr 2005 an einer Castingshow teil. Während Mimi aus der Fernsehsendung als Siegerin hervorgeht, geht Billie als Sängerin einer queeren Punkrockband ihren eigenen Weg. Inzwischen sind die zwei jungen Frauen privat ein Paar, was sie jedoch in der Öffentlichkeit verheimlichen, weil es Mimis Management so will. Als ihre Beziehung an der Heimlichtuerei zerbricht, schreibt Billie einen Song darüber, der zum Hit wird. Jahre später sitzt Mimi selbst in der Jury einer Castingshow und wird unfreiwillig von Billie geoutet, was in der medialen Öffentlichkeit einen mittelschweren Skandal auslöst.
Queerer Rohrkrepierer
Man muss nicht erst Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Dialektik der Aufklärung (1944) zur Hand nehmen, um die Künstlichkeit populärer Musik und die dahinterstehende Kulturindustrie auszumachen. Ein Blick auf die Plattencover, die Musikvideos und die Songtexte genügt. Viel glatte und glänzende Oberfläche, kaum soziale Subversion, sondern Affirmation lässt sich darin finden. Ein Produkt für die Massen, das möglichst gewinnbringend an den Fan gebracht werden soll. Ecken, Kanten oder gar Brüche stören nur, schließlich wird in erster Linie ein Image verkauft; wird nicht nur die Musik, sondern auch die Person dahinter zu einer Ware. Doch wehe, wenn dieses makellose öffentliche Bild Risse bekommt! All das nimmt der Debütfilm von Alexis Langlois (Terror, Sisters!) völlig überzogen auf die Schippe. Und brockt sich dadurch ein gewaltiges Problem ein.
Dass Langlois die Künstlichkeit der Musikbranche samt all ihrer Begleiterscheinungen satirisch überspitzt, ist von vornherein klar. Noch bevor die erste Person auf der Leinwand erscheint, bekommen wir eine Collage aus funkelnden Schmuckstücken, herabregnenden Diamanten, glänzenden Compact Discs und kaleidoskopischen Popstar-Bildchen zu sehen. Alles ist eine Spur bunter und glitzernder als üblich und die Musik spielt evozierend melodramatisch dazu, bevor klirrend eine nicht sichtbare Scheibe zer- und uns der französische Popstar Bilal Hassani in der Rolle als Influencer:in Steevy Shady anspringt. Shady ist schrill, laut und nervtötend und eine Erscheinung aus der Zukunft. Denn Langlois blickt in einer Rahmenhandlung aus dem Jahr 2055 ein halbes Jahrhundert zurück. Schon diese kurze Eingangssequenz enthält das große Manko von Drama Queens in nuce: Alexis Langlois imitiert die Oberflächenreize der Popkultur mit all ihren Spiegelungen zwar adäquat, dringt dabei aber kein bisschen in die Tiefe, weil sein Film nicht reflektiert.
Viel Künstlichkeit …
Langlois, 1989 im französischen Le Havre geboren, ist mit der Musik der 1990er- und 2000er-Jahre aufgewachsen. Dass Drama Queens auf internationale und französische Popstars wie Britney Spears, Ophélie Winter und Lorie anspielt und die Figur Billie von Rebeka Warrior inspiriert ist, verwundert also nicht. In einem Interview gibt Langlois als filmische Vorbilder unter anderem All that Jazz (1979) von Bob Fosse, Golden Eighties (1986) von Chantal Akerman und die Werke von Jacques Demy und Vincente Minnelli an. Und wer weiß, wenn sich Langlois von den genannten Vorbildern in puncto Narration, Inszenierung und Choreografie etwas mehr abgeschaut hätte, vielleicht wäre dann mehr als nur eine trashige Fingerübung aus Drama Queens geworden.
Das von Langlois gemeinsam mit Carlotta Coco und Thomas Colineau verfasste Drehbuch erzählt eine queere, aber auch völlig formelhafte, langatmige und letzten Endes langweilige Liebesgeschichte, die zudem wenig originell die Handlung aus A Star Is Born (1937) und seinen unzähligen Remakes paraphrasiert. In den Hauptrollen sind Louiza Aura und Gio Ventura sichtlich bemüht, ihren flachen Figuren Tiefe zu verleihen, wozu ihnen zum einen aber das schauspielerische Talent fehlt. Zum anderen entpuppt sich das permanente Anspielen gegen billige Kulissen, schlechtes Make-up und aufgesetzte Dialoge als Kampf gegen Windmühlen. Egal wie viel Blut oder Tränen auch fließen, wir nehmen den beiden ihre Gefühle nicht ab. Bezeichnenderweise ist es gerade die ausgestellte Künstlichkeit der Popwelt, die dazu führt, dass wir uns mit keiner der zwei Hauptfiguren identifizieren, weil auch sie vollkommen artifiziell und nicht wie echte Menschen wirken.
… und Möchtegern-Camp
Überzeugend sind einzig allein die Songs, die unter anderem von der bereits erwähnten Rebeka Warrior und der Band Yelle komponiert wurden. Ein Lied wie „Pas touche !“ (auf Deutsch etwa: „Hände weg!“) hätte durchaus Hit-Potenzial. Leider gilt der Songtitel auch für den Film. In einer Welt, in der die Rechte queerer Menschen eher beschnitten als ausgeweitet werden, ist jeder Film über eine queere Liebesbeziehung begrüßenswert und wenn man so will, auch subversiv. Allerdings hält sich Drama Queens für subversiver, als er ist. Was vor allem daran liegt, dass der Film seine (vermeintlichen) Regelbrüche in jeder Szene vor sich herträgt, dabei mit der Brechstange einen auf campy macht und ungeniert auf den kommenden Kultstatus schielt. Doch Filme, die auf Teufel komm raus Kult sein wollen, avancieren in den seltensten Fällen dazu. Und man muss nicht erst Susan Sontags Notes on Camp (1964) zur Hand nehmen, um zu erkennen, dass „guter“ Camp nie absichtsvoll, sondern stets aus einer gewissen Naivität heraus unfreiwillig entsteht. Doch dafür ist Drama Queens schlicht und ergreifend zu berechnend.
OT: „Les reines du drame“
Land: Frankreich, Belgien
Jahr: 2024
Regie: Alexis Langlois
Drehbuch: Alexis Langlois, Carlotta Coco, Thomas Colineau
Musik: Pierre Desprats
Kamera: Marine Atlan
Besetzung: Louiza Aura, Gio Ventura, Bilal Hassani, Nana Benamer, Alma Jodorowsky, Asia Argento
Cannes 2024
Filmfest Hamburg 2024
Zurich Film Festival 2024
Französische Filmtage Tübingen Stuttgart 2024
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