
Die beiden Freunde Carlobianchi (Sergio Romano) und Doriano (Pierpaolo Capovilla) – Mitte 50, mittellos und etwas abgehalftert – sind mal wieder des Nachts unterwegs. In und um Venedig herum und dabei, noch „einen letzten Absacker“ zu nehmen. Und noch einen letzten und noch einen letzten. Kontaktfreudig, wie sie sind, nehmen sie nach einem Zusammentreffen mit einer ebenfalls trinklaunigen Gruppe Studierender den schüchternen Architekturstudenten Guilio (Filippo Scotti) unter ihre Fittiche. Der will (als einziger) eigentlich nur nach Hause, nicht trinken, morgen Prüfung, genug Schlaf, nächstes Mal gern. Der Hartnäckigkeit der beiden Saufkumpanen entkommt er aber nicht, und im Laufe der Nacht können Carlobianchi und Dori ihn nicht nur zu einigen letzten Drinks überreden. Kleine Abenteuer führen zu einem Roadtrip durch Venetien bei Tag, währenddessen sich Giulio Geschichten aus vergangenen Zeiten anhört. Tatsächlich verändern diese seinen eigenen Lebensentwurf. Ein bisschen. Erstmal.
Nostalgie auf Italienisch
Wer am liebsten große Blockbuster im Kino sieht, der oder die hat diese leisen, unaufdringlichen italienischen Filme eventuell noch nicht kennengelernt. Ein bisschen verträumt, ein bisschen aus der Zeit gefallen, auf den ersten Blick unauffällig. Lässt man aber einen, zwei von ihnen auf sich wirken, ziehen sie einen schnell in ihren Bann. Woher der kommt, ist gar nicht so leicht zu beschreiben, denn eigentlich geht das Leben in ihnen einfach so seinen Lauf. Und das meist ein bisschen happy und ein bisschen sad zugleich. So auch in The Last One for the Road. Und manche mögen sagen, damit – und auch mit seinen in gedeckten Farben gehaltenen und ruhigen Szenen in ungekünstelten Szenerien – erinnert er an Filme von Rohrwacher oder Sorrentino.
Von Regisseur Francesco Sossai (Other Cannibals) ist hierzulande noch nicht viel bekannt, auch in Italien hat der 36-Jährige bisher eher unbekanntere Kurzfilme gemacht. The Last One for the Road hat nun im Mai 2025 Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes in der Kategorie Un Certain Regard gefeiert. Mit dabei der nicht mehr ganz unbekannte Filippo Scotti als Guilio, bekannt aus seinem letzten Film The Hand of God (Regie: Paolo Sorrentino), da aber noch wesentlich kindlicher. Sergio Romano und Pierpaolo Capovilla sind noch eher unbekannte Gesichter (als Schauspieler bzw. Musiker aber schon eingeführt), was zuträglich ist für die Ehrlichkeit des Films.
Auch im echten Leben nicht mehr Anfang 20, sind den beiden letzteren in The Last One for the Road die vergangenen Jahre unverkennbar ins Gesicht geschrieben. Große rote Nasen, porige Haut, faltige Augenpartien, etwas zu lange Haare oder zu ausgestellte Schnauzer. Dieses in den 80ern steckengebliebene Duo fällt in einem Film, der in den 2010er Jahren spielt, definitiv auf. In den nächtlichen Szenen, die in gemütlichen, holzigen Tönen gehalten sind, passen sie gut ins Bild. In den Passagen bei Tag, die häufig trist, grau und etwas karg daherkommen, sticht ihre nostalgische Lotterigkeit traurig heraus. Mit eindringlichen, fast hyperrealistischen Bildern (Kleidung, Einrichtung, verschwommene, blurry Autofahrten entlang nächtlicher Dorfstraßen), dem im Kopf bleibenden Einsatz von Gebäuden und Architektur als Stilmittel und einer passenden, weil unsauberen und lallenden, betrunken klingenden Musik kommt der Film dennoch nicht ganz an oben genannte ähnlich anmutende Filme heran.
Einer geht noch
Alkohol ist das bindende Element des Films. Vermeintlich. Carlobianchi und Doriano sind dauerhaft mindestens angesoffen – und auch in einer von drei nüchternen Szenen steht schon eine Flasche Hochprozentiges auf dem Veranda Tisch bereit. Wie realistisch es ist, dass diese beiden wasted Troublemaker es schaffen, den jungen, disziplinierten Giulio mitzuziehen, der zwischen den wankenden Haudegen gleich noch verkrampfter wirkt, spießiger, Stock im Ars**, sei dahingestellt. Die so entstehende Dynamik ist aber deutlich: Vertauschte Rollen, die abgehalfterten Mitt-50er verhalten sich so, wie der Jungspund es wohl sollte. Dieser wiederum muss sich von dem teils unangebrachten und ein wenig traurigen Verhalten inspirieren lassen, um die Leichtigkeit des Lebens an sich heranzulassen.
Das klappt auch, am Ende fährt er als ein etwas selbstbewussterer, positiver eingestellte junge Mann wieder zurück in sein echtes Leben. So kommt man nicht drum herum, Carlo und Dori als eine Art Mentor für ihn irgendwie zu akzeptieren und lieb zu haben, dennoch bleibt immer ein fades Gefühl zurück. Denn so geht es nun mal schon seit 20 Jahren und wird auch noch 20 weitere so gehen. Carlobianchis verkatertes „Ich trinke nie wieder“ glaubt hier niemand, auch nicht er selbst.
Liebevoll wie ein altes Ehepaar
Einiges funktioniert gut, manches weniger. Dass die beiden, die sich so dermaßen dem Fortschreiten der Zeit verwehren, dass nicht nur die aktuelle Nacht künstlich in die Länge gezogen wird, sondern auch die verstrichenen Jahrzehnte nicht akzeptiert werden wollen („Carlobianchi ist gegen Google Maps“ erklärt Dori beim Blick auf die Landkarte), gerade deshalb den Jungen dazu bringen, das Hier und Jetzt zu feiern, funktioniert. Die besondere Freundschaft der beiden funktioniert ebenfalls. Auf den ersten Blick wirken sie „nur“ wie Saufkumpanen, aber kleine Gesten oder auch Dinge, die gerade nicht passieren, zeugen von einer tieferen Verbundenheit.
Was nicht so gut funktioniert ist der fehlende Biss. The Last One for the Road ist etwas zu sehr genauso schlapp und schlurfig wie seine Protagonisten. Das ist zwar sicher beabsichtigt, dafür ist er dann aber doch ein bisschen zu gewollt unbesonders und es fehlt ein anderer Mitziehfaktor. Und der ist auch Guilio nicht. Trotz seiner Entwicklung, denn diese ist leider nicht ganz überzeugend. Auch die Quest, die das Duo infernale eigentlich hat, gerät immer wieder in Vergessenheit. Sodass man sich nach dem X-ten „Letzten“ schon mal denkt „vielleicht ist jetzt auch mal gut.“
OT: „Le cittá di pianura“
Land: Italien, Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Francesco Sossai
Drehbuch: Francesco Sossai, Adriano Candiago,
Musik: Marco Spigariol
Kamera: Massimiliano Kuveiller
Besetzung: Filippo Scotti, Sergio Romano, Pierpaolo Capovilla
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