
Aya (Fatma Sfar) lebt mit Ende Zwanzig noch bei ihren Eltern in Tozeur in Tunesien. Ihr Studium hat sie abgebrochen und arbeitet in einem Hotel, wo sie tagtäglich Urlaubsgäste anlächeln und Zimmer reinigen muss. Ginge es nach ihren Eltern, würde sie bald einen älteren, wohlhabenden Mann heiraten – eine Vorstellung, die ihr jedoch zuwider ist. Eines Tages gerät sie in einen Unfall und wird anschließend fälschlicherweise für tot gehalten. Statt diesen Irrtum aufzuklären, macht sie sich mit einer großen Summe Bargeld auf nach Tunis, um dort ein neues Leben zu beginnen. Sie zieht in eine WG, lernt neue Leute kennen und es gelingt ihr, für eine Weile ihre alte Identität hinter sich zu lassen. Doch ihr neues Leben bleibt natürlich nicht lange sorgenfrei. Nach einem Vorfall in einem Club erregt sie als Zeugin das Interesse der Polizei. Als identitätslose Frau ohne Papiere möchte sie derartige Aufmerksamkeit aber vermeiden. Sie versucht, sich aus den Ermittlungen herauszuwinden. Doch schließlich holt sie auch die Vergangenheit ein.
Stark gespieltes Thrillerdrama
Der tunesische Regisseur und Drehbuchautor Mehdi M. Barsaoui legt hier nach dem weltweit beachteten Drama A Son seinen zweiten Langfilm vor und widmet sich darin einer Fantasie, der wohl jeder und jede schon einmal nachgehangen haben dürfte: Was wäre, wenn man plötzlich ein ganz neues Leben anfangen könnte? Wäre man auf einmal von den Sorgen des bisherigen Alltags befreit, könnte unbeschwert leben und bisher unerfüllte Träume Realität werden lassen? Aus solchen Tagträumen erwachen die meisten von uns nach kürzester Zeit wieder. Aya ist jedoch entschlossen, ihre neue Realität so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, auch wenn dies ein großes Maß an Verdrängung und einige Lügengeschichten erfordert.
Schauspielerisch ist der Film extrem stark und lebt vor allem von Hauptdarstellerin Fatma Sfar, die die gesamte Bandbreite von Ayas Gefühlen erlebbar macht – von Sehnsucht, Unsicherheit und Angst bis hin zur Freude an der Entdeckung eines neuen Lebens. Die Mischung aus Erleichterung angesichts der vor ihr liegenden Möglichkeiten und der gleichzeitigen ständigen Anspannung, entdeckt zu werden, zieht einen immer tiefer in die Geschichte hinein. Zusätzlich mischen sich noch Thriller-Elemente in die Handlung. Angesichts der polizeilichen Ermittlungen ist es nur eine Frage der Zeit, bis Ayas wahre Identität irgendwann entdeckt wird. Schließlich kann sie nicht für den Rest ihres Lebens auf der Flucht sein. Das Katz- und Maus-Spiel, bei dem sie sich immer wieder erfolgreich den Fragen der Polizei entzieht, setzt der Film unterhaltsam um.
Spannend mit ernsten Themen
Gerade der Wechsel der Gefühle und Stimmungen macht den Film dabei so spannend und bisweilen nervenaufreibend. Während Aya einerseits neue Freundschaften schließt und ein neues Leben für sich entdeckt, kann sie dennoch nie alles von sich preisgeben und muss ständig auf der Hut sein. Ohne den Spannungsfaden abreißen zu lassen, behandelt Aïcha Themen wie Vergebung, Polizeigewalt, von Männern ausgenutzt zu werden oder Risse im Verhältnis zu den eigenen Eltern. Einen wichtigen Grund dafür, warum Aya ihr altes Leben so gehasst hat, erfährt man erst spät im Film. Auch der Titel erklärt sich erst ganz am Ende in einer Szene, die allerdings keine große Überraschung darstellt. Bis dahin erlebt man hier ein gekonnt inszeniertes, mitunter nervenaufreibendes Drama, das eine unwahrscheinliche Situation durchspielt.
OT: „Aicha“
Land: Frankreich, Italien, Katar, Saudi-Arabien, Tunesien
Jahr: 2024
Regie: Mehdi M. Barsaoui
Drehbuch: Mehdi M. Barsaoui
Musik: Amine Bouhafa
Kamera: Antoine Héberlé
Besetzung: Fatma Sfar, Nidhal Saadi, Yasmine Dimassi, Hela Ayed
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