Zikaden
© Judith Kaufmann / Lupa Film

Zikaden

Zikaden
„Zikaden“ // Deutschland-Start: 19. Juni 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Nachdem ihr Vater einen Schlaganfall erlitten hat, kümmert sich seine Tochter Isabell (Nina Hoss) um ihn und ihre Mutter. Neben der Anstellung eines Pflegers gehört zu ihren Pflichten das Landhaus ihrer Eltern, was nun leer steht, ihr Vater aber nicht verkaufen will. Als wäre dies nicht schon genug, gerät auch Isabells Ehe mit dem Architekten Philipp (Vincent Macaigne) in Gefahr. Die Doppelbelastung wird Isabell allmählich zu viel, als sie eines Tages Anja (Saskia Rosendahl) kennenlernt. Die junge Frau pendelt von einem Job zum nächsten, ohne irgendwo lange zu bleiben. Da sie sich um ihre kleine Tochter kümmern muss, sucht sie verzweifelt nach einer festen Stelle und bietet Isabell schließlich an, bei ihren Eltern auszuhelfen für ein paar Tage die Woche. Aus der Zufallsbegegnung wird schnell mehr und Isabell sieht sich mit Entscheidungen konfrontiert, deren Folgen sie jetzt auf einmal wieder einholen.

Spiegelbild der Gesellschaft

Für Regisseurin und Drehbuchautorin Ina Weisse ist die Familie ein Spiegelbild der Gesellschaft. In ihren vorherigen Arbeiten Der Architekt und Das Vorspiel behandelte sie unterschiedliche Familienkonstellationen und -konflikte. Als Institution, die traditionell für Sicherheit und Geborgenheit steht, ist die Familie stets bedroht von sehr unterschiedlichen Faktoren, vom  Leistungsdenken wie in Das Vorspiel oder der Verlust von Heimat und Werten wie in Der Architekt. In Zikaden, der im Februar 2025 auf der Berlinale seine Premiere feierte, finden wir diese Themen wieder, doch zugleich das Konzept einer Normalität, die für die beiden Protagonistinnen aufgehoben ist. Weisse beschäftigt sich in Zikaden mit dem Fehlen der Sicherheit in der heutigen Zeit und inwiefern es ein Neudenken des Konzepts Familie bedarf, damit dieser Umstand aufgefangen werden kann.

Zikaden an sich haben sehr viele Bedeutungen. Sie können als Symbol für Kunst und Musik angesehen werden, doch ebenso für Unsterblichkeit und Wiedergeburt. Bezogen auf Weisses Film stehen sie sicherlich auch für die Idylle des Sommerhauses von Isabells Familie, die wir durch die Farben sowie die Bilder erahnen können. Auch später im Film blitzt diese Erinnerung immer auf. Hier hat sich jemand ein Zuhause nach einem eigenen Ideal geschaffen, weshalb es dem Vater ganz unmöglich ist, seiner Tochter zuzustimmen, als sie einen Verkauf erwähnt. Zu Beginn fährt ein Pfleger Isabells Vater durch den prächtigen Obstgarten und reicht dem vom Schlaganfall gezeichneten Mann einen Apfel, den dieser ablehnt mit der Erklärung, dieser wäre unreif. Weisses Filme gehen subtil vor, verlassen sich auf Andeutungen oder Vermutungen statt auf konkrete Ansagen. Das einstige Familienidyll ist nicht mehr, nur noch eine Erinnerung für die einen und eine Last für die anderen, besonders für Isabell. Später wird sich die Möglichkeit ergeben, dieses Idyll neu zu denken und zu gestalten, doch es bleibt ein Symbol für eine Zeit, mit der man abschließen sollte. Isabell und Anja sind zwei Menschen, die zwischen diesen beiden Positionen stehen, der Idylle und der Familie von einst und dem Finden einer eigenen Definition auf der anderen Seite.

Die Grenzen zum Anderen

Ina Weisses Filme erzählen von Menschen, bei denen man schnell dabei ist, sich ein Urteil über sie zu bilden. Anja ist eine Frau, die versucht, ihr Leben zu ordnen, auch für ihre Tochter, doch dabei immer wieder scheitert und auf diesen Aspekt reduziert wird, zumindest von den Behörden. Isabell obliegt einem solchen Irrtum, doch muss schnell erkennen, dass sie sich getäuscht hat. Die Männer im Film, beispielsweise Anjas Boss, gespielt von Thorsten Merten, ist jemand, über den man sich ebenso schnell ein Urteil bildet, der aber genauso an seiner Einsamkeit zu knabbern hat. In den Hauptrollen sind Nina Hoss und Saskia Rosendahl sehr überzeugend, als Figuren, die versuchen, die Kontrolle zu bewahren, obwohl diese schon längst nicht mehr vorhanden ist. Besonders gelungen sind abermals die subtilen Momente, zum Beispiel, wenn die beiden Frauen sich emotional annähern oder über die Probleme sprechen, die ihnen auf der Seele liegen. Judith Kaufmanns Bilder betonen, wie schon Das Vorspiel, das Schauspiel, die Schönheit der Landschaft und der Architektur, doch genauso die Suche nach Halt und Sicherheit bei den Charakteren des Filmes.



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Zikaden
fazit
„Zikaden“ ist ein subtiles Drama über den Wegfall von Sicherheiten und die Suche nach einem neuen Halt im Leben. Ina Weisse erzählt von dem sehr aktuellen Bedürfnis, nach einer neuen Sicherheit zu suchen, einer neuen Familie oder einer neuen Heimat. Die Bilder und ihre beiden Hauptdarstellerinnen sind dabei überzeugende Aspekte eines insgesamt sehr gelungenen Filmes, der sicherlich noch nachwirken wird beim Zuschauer.
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