
Es lief schon einmal besser im Leben von Ingrid. Das Geld ist knapp bei der alleinerziehenden Mutter, weshalb sie irgendwann aus ihrer Wohnung geworfen wird. Es hilft nichts, sie muss mit ihrer 12-jährigen Tochter Olivia und deren jüngeren Bruder Tim umziehen und landet in einer heruntergekommenen Gegend. Ingrid rutscht dabei noch tiefer in die Krise, verliert allen Mut und riskiert dadurch, dass ihre Kinder weggenommen werden. Olivia ist dadurch auf einmal gezwungen, die Rolle der Mutter einzunehmen und sich um Tim zu kümmern. Um diesem Hoffnung zu geben, gibt sie vor, dass ihr Leben nur ein Film ist, bei dem am Ende alles gut ausgehen wird. Dabei hat auch sie Angst und fühlt sich, als würde die Erde beben und sie verschlucken …
Animationsfilm mit schweren Themen
Animationsfilme stehen gerade hierzulande immer mal wieder im Ruf, nicht mehr zu sein als anspruchslose Kinderunterhaltung. Das ist natürlich völlig falsch, wie zahlreiche für Erwachsene produzierte Werke beweisen, die künstlerische Ambitionen haben. Aber auch die Titel, die tatsächlich eine jüngere Zielgruppe anvisieren sollen, können mehr sein als knallbunte Bespaßung. Letztes Jahr bewiesen das beispielsweise Living Large über einen Jungen, der mit seinem Gewicht hadert, sowie Savages, das sich mit ökologischen Themen auseinandersetzte. Beide Werke liefen auf zahlreichen Festivals, waren zudem für diverse Preise im Rennen. Gut möglich, dass dieses Jahr Olivia and the Invisible Earthquake ein ähnliches Schicksal haben wird, verdient hätte es der Film zumindest.
So befasst sich die Adaption des 2017 veröffentlichten Romans La pel·lícula de la vida der katalanischen Autorin Maité Carranza mit einer Reihe recht schwerer Themen. Das offensichtlichste ist natürlich das der Armut, wenn die Familie aus ihrer Wohnung geworfen wird. Auch später spricht Olivia and the Invisible Earthquake immer mal wieder davon, wenn es in der neuen Wohngegend nicht besser aussieht. Wir lernen dort noch andere kennen, die nichts haben. Verbunden wird dieser gesellschaftliche Aspekt mit einigen persönlichen Problemen. Wenn die Mutter in eine Depression rutscht und ihre gerade einmal zwölfjährige Tochter ihren Platz einnehmen muss, obwohl sie selbst mit großen Ängsten zu kämpfen hat, dann mutet der Film seinem Publikum schon einiges zu. Er tut dies aber einfühlsam, mit Fantasie und teilweise auch Humor.
Ein lebensbejahendes Plädoyer für mehr Miteinander
Überhaupt ist die europäische Coproduktion kein reines schweres Sozialdrama. Stattdessen betont diese den Zusammenhalt zwischen Menschen und die Bedeutung einer Gemeinschaft. Das fängt bei der Familie an, später kommt die Nachbarschaft hinzu. Die rührendsten Momente in Olivia and the Invisible Earthquake sind die, wenn die unterschiedlichsten Leute zusammenkommen und füreinander da sind. Sie mögen kein Geld haben, keine wirkliche Perspektive oder Unterstützung vom Staat. Aber sie haben einander, helfen sich, versuchen es zumindest, so gut es eben geht. Der Film ist daher schon auch ein Plädoyer dafür, anderen Menschen beizustehen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, was in einer Zeit sinkender Solidarität keine Selbstverständlichkeit ist.
Umgesetzt ist diese lebensbejahende Geschichte mit einer schönen Stop-Motion-Optik. Zwar ist diese nicht ganz so detailverliebt, wie man es von einigen darauf spezialisierten Studios kennt. Am Ende ist das hier auch eine eher kleinere Produktion, die es finanziell nicht mit den Schwergewichten aufnehmen kann. Der Animationsfilm, der im Wettbewerb des Annecy Festivals 2025 lief, ist aber charmant, hat einige nette Settings. Gerade auch die titelgebenden Szenen, in denen die Erdbeben auftreten, hinterlassen Eindruck. Regisseurin Irene Iborra Rizo hat mit ihrem Langfilmdebüt Olivia and the Invisible Earthquake ein sehenswertes Familiendrama zusammengestellt, das neugierig macht auf weitere Werke und dem man eine reguläre Veröffentlichung wünschen würde.
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