Ina Weisse ist eine deutsche Schauspielerin und Regisseurin. Als Darstellerin kennt man Weisse aus zahlreichen TV- und Kinoproduktionne wie beispielsweise Torsten C. Fischers Katzenzungen, dem TV-Mehrteiler Die Patriarchin oder Martin Gypkens Romanadaption Nichts als Gespenster. Nach einer Reihe von Kurzfilmen drehte Ina Weisse mit Der Architekt ihren ersten Spielfilm, der beim Max Ophüls Filmfestival mit einem Preis in der Kategorie Bestes Drehbuch ausgezeichnet wurde. Darauf folgte die Dokumentation Die Neue Nationalgalerie und schließlich das Drama Das Vorspiel mit Nina Hoss, das auf vielen internationalen Filmfestivals zu sehen war.
Am 19. Juni 2025 startet mit Zikaden der neue Film von Ina Weisse in den deutschen Kinos. Erzählt wird darin die Geschichte zweier Frauen, gespielt von Nina Hoss und Saskia Rosendahl, die mit vielen Herausforderungen in ihrem Leben zu kämpfen haben und dabei mehr und mehr den Halt verlieren.
Im Interview spricht Ina Weisse über die Themen des Films, die Locations und die Rolle von Architektur in ihren Filmen.
Zikaden stehen unter anderem als Symbol für Unsterblichkeit oder Wiedergeburt. Was hat es mit dem Titel Ihres neuen Filmes auf sich?
Wenn Isabell (Nina Hoss) am Ende die Terrassentür öffnet, sind unter der Musik Zikaden zu hören, als Symbol für die Seele ihres verstorbenen Vaters. Aber Zikaden haben mich auch während der Bucharbeit und den Dreharbeiten begleitet. Man hört sie, aber man sieht sie nicht. Sie haben ein Geheimnis.
Die Bilder in Zikaden sind wunderschön und die Locations, speziell das Sommerhaus von Isabells Familie, sehr interessant. Können sie etwas zu den Locations in Zikaden sagen sowie zu deren Bedeutung?
Es ging darum, den Kontrast zwischen den beiden Welten zu zeigen, die unterschiedlichen Milieus, aus denen Isabell und Anja (Saskia Rosendahl) kommen. Anja hat wenig Geld und wäre froh, wenn sie sich eine eigene Wohnung leisten könnte. Das Zimmer, das sie mit ihrer Tochter bewohnt, ist klein und voll gestellt. Dagegen ist die Wohnung von Isabell und das Sommerhaus, das der Vater gebaut hat, von einer großen Klarheit, mit großen, freien Räumen. Isabell sagt an einer Stelle: Der Architekt wollte nur einen Rahmen geben, man muss selbst sehen, was man damit macht.
Man ist also zur Freiheit verurteilt.
Isabell hat in der Stadt eine leere Baulücke vererbt bekommen. Aber sie schafft es nicht, dort etwas zu bauen. Der Konflikt mit ihrem Vater, die Versagensängste, gibt sie vor Anja preis. Wenn sie dann zusammen in der großen, leeren Scheune der Eltern stehen, bemerkt Anja, dass man hier mehrere Wohnungen reinbauen könnte. Das Wohnen, diese soziale Frage, wird immer wieder verhandelt.
Nach Der Architekt spielt abermals Architektur eine besondere Rolle in einem Ihrer Filme. Was fasziniert Sie an daran?
Architektur bestimmt unser Leben. In was für Räumen wir aufwachsen, ob wir überhaupt Raum haben. Mein Großvater war Tischler, mein Vater Tischler und Architekt. Ich bin also mit Architektur groß geworden und auch mit der Erfahrung, dass, wenn man sich ein Gebäude, wie zum Beispiel die Neue Nationalgalerie, über Jahre immer wieder anschaut, die Proportionen betrachtet, sich eine eigene, intime Beziehung entwickeln kann. Ich habe dann über die neue Nationalgalerie auch einen Film gemacht. Über die Entstehungsgeschichte dieses Gebäudes. Judith Kaufmann hat dort auch die Kamera gemacht. Und Felix von Boehm hat ihn produziert.
In Ihren Filmen wird wenig erklärt und sehr viel nur angedeutet. Was ist Ihre Philosophie, wenn es um das filmische Erzählen geht?
Ich möchte die Imagination aktivieren und so den Zuschauenden die Freiheit lassen, die eigene Phantasie einzubringen. Entweder durch die dramatische Struktur, indem ich Fragen offenhalte, oder auch dadurch, dass ich manches nur durch die Tonebene erzähle, wie zum Beispiel das Ende des Vaters. Ich glaube, man kann viel voraussetzen. Man muss nicht alles erklären. Möglichkeiten sind oft auch interessanter als Gewissheiten.
Inwiefern ist Zikaden ein Film über das Fehlen von Sicherheit und Struktur in der heutigen Zeit?
Isabell ist in einem Zustand, in dem sich alles aufzulösen scheint. Ihre Arbeit, ihre Ehe, der nahe Tod der Eltern. Sie ist überarbeitet, angestrengt von ihren eigenen Ambitionen und auch hilflos. Im Grunde ist es die Beschreibung eines Zustands der Unsicherheit. In dieser Situation trifft sie auf Anja, die um ihre Existenz ringt und auch damit beschäftigt ist, sich um andere zu kümmern. Beide kämpfen um Selbstbestimmung, um ihren Platz. Letztlich um ihre Identität.
Neben den zwei großartigen Leistungen von Nina Hoss und Saskia Rosendahl fand ich Thorsten Mertens Rolle spannend. Wie kam es zu seiner Besetzung und welche Anweisung haben Sie ihm gegeben für die Figur?
Mit Thorsten Merten habe ich schon im meinem letzten Film zusammen gearbeitet und es war eine sehr schöne Erfahrung. Er hat einen hintergründigen Humor. Und es hilft natürlich bei der Arbeit, wenn man sich kennt. Ich habe die Rolle auf ihn zugeschrieben.
In unserem letzten Interview empfahlen Sie mir den Film Der nackte Mann auf dem Sportplatz, ein Film, in dem es um einen Bildhauer geht. Wäre das eine Kunstform für einen ihrer nächsten Spielfilme oder eine Dokumentation?
Das ist für mich einer die besten Defa-Filme überhaupt von Konrad Wolf. Es geht darin um die Rolle der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft. Die Suche nach Identität, treibt meine Figuren eigentlich immer um.
Vielen Dank für das Interview!
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