
Das traditionelle Dorfleben steht vor dem Aus. In der bulgarischen Siedlung Pirin, nahe dem gleichnamigen Nationalpark bzw. Gebirge, verrichten die letzten übriggebliebenen, hochbetagten Bewohnenden weiterhin ihre Arbeit auf dem Feld, eine Handvoll abergläubischer Omis unter ihnen tratscht gerne auf der Straße, zuhause wird sich um die Tiere gekümmert. Diese Tiere sind in der Dokumentation (mit fiktivem Einschlag) von Eliza Petkova die Hauptcharaktere: Neugierig beobachten sie das gemächliche, teils tragikomische Treiben der älteren Menschen, die ihnen leider nicht immer wohlgesonnen sind. Heraus kommt dabei eine Feldstudie zur aussterbenden ländlichen Kultur sowie der Symbiose zwischen Mensch und (Nutz-)Tier.
Aberglaube und Herumstreunen in Pirin
Direkt in anfänglichen Close-Ups zeigen Teile von Tiergesichtern die sechs Stars von Silent Observers. Ziegennase, Eselsauge, Hundeschnauze, Pferdenüstern, Katzenöhrchen und Schafswolle werden nacheinander in einem bewusst verkleinerten, und damit fokussierten, Format präsentiert, begleitet von traditionellem Frauengesang, die Dorfszenerie getüncht in intensives Blau-Orange. Von vornherein experimentell, geben die ersten Minuten den ästhetischen Ton an, der in diesem Film bis zuletzt gehalten wird – meditativ, natürlich, mehr auf Stimmung bedacht als auf ein kohärentes Narrativ. Einen stringenten Faden bilden jedoch die bemerkbaren Persönlichkeiten der genannten Tiere, der Umgang der Dorfbewohnenden mit ihnen sowie die teils herzliche, teils beklemmende Atmosphäre in Pirin.
Folkloristischer Aberglaube, am meisten vorkommend in der Form des Vampirismus, ist unter den Bewohnerinnen verbreitet; ein im gehobenen Alter gestorbener Mann hinterlässt seine Witwe, über seinen aufgebahrten Leichnam springt direkt die schelmische schwarz-weiß gefleckte Katze, was bedeutet, dass er zu einem Vampir werden könnte. Die freche, zu einigem Schabernack aufgelegte Natur der Samtpfote lässt die Witwe vermuten, dass ihr Mann in diesem Tier reinkarniert sein könnte. Die Katze wird von der Kamera wohl am öftesten eingefangen, allein wie sie minutenlang im Freien herumlümmelt oder sich davonschleicht, um kleine Abenteuer zu erleben, wofür sie von der Besitzerin gerügt wird.
Poetischer Blick aus der Tierperspektive
Silent Observers – das sind nicht nur die Tiere, sondern durch ihre Augen auch die Zusehenden, denen diese magisch-realistische Dokumentation eine Studie des Schönen, Skurrilen, des Entspannten und des Alltäglichen bietet, aber gleichzeitig Fragen bezüglich des archaischen Umgangs mit domestizierten Tieren aufwirft. So liebevoll wie die Besitzenden ihre Begleiter und Unterstützer pflegen, so erbarmungslos sind deren Reaktionen, sobald die Tiere sich nicht so verhalten, wie sie es sich vorstellen, bzw. ihnen in die Quere kommen. Still und ohne zu großartig zu murren, rackern sich Pferd als auch Esel halb zu Tode, wobei sich der Esel sogar noch mitanhören darf, wie ein anderer Dorfbewohner von den dortigen Omas als „Esel“ beschimpft wird. Auch wenn die Darstellung dieser quasi toxischen Beziehung zwischen Mensch und Tier im Film selbst wertfrei erscheint, kann man nicht anders, als mit diesen treuen Seelen mitzufühlen, wenn ihnen etwas passiert. Dies sorgt für eine empathische, kritische Betrachtung des dörflichen Lebens.
Bereits in Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache benutzte Petkova das hügelige, heruntergekommene, aber malerisch gelegene Dorf Pirin als Kulisse für einen mythologisch angehauchten Mikrokosmos, den es bald nicht mehr geben wird. Neben dem meist idyllisch scheinenden Alltag schwebt ein Damoklesschwert über dieser Lebensweise, die in düsteren, einsamen Momenten und mithilfe einer von schrillen Tönen durchsetzten Soundkulisse ihre unheilvolle Zukunft offenbart. Das macht den Film zwar zu keinem Gute-Laune-Erlebnis, dafür zu einem sehr immersiven: Bis ins letzte Detail bietet Silent Observers die Gelegenheit, entschleunigt in die Geschichte und Atmosphäre der Ortschaft mitsamt ihren spärlich verteilten Lebewesen einzutauchen.
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