Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache Mayor, Shepherd, Widow, Dragon
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Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache

„Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache“ // Deutschland-Start: 9. März 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Auch wenn es durch die Corona-Pandemie eine kurze Gegenbewegung gab und die Leute wieder das Bedürfnis nach Natur hatten, grundsätzlich ist die Marschrichtung seit Jahren bereits dieselbe: Immer mehr Menschen drängen sich in die Städte. Das hat nicht nur dazu geführt, dass dort der Wohnraum knapp geworden ist und die Leute zu überhöhten Preisen unter widrigen Bedingungen leben – sofern sie überhaupt etwas finden. Es bedeutet auch, dass ganze Landstriche langsam aussterben. Wer kann, die Jungen, die Starken, verlässt die Provinz, um im Urbanen den Träumen nachzujagen. Zurück bleiben die Alten, die nicht mehr weg können oder wollen, die vielleicht schon zu verwurzelt sind, um noch einmal alles hinter sich zu lassen. Von einem solchen Ort erzählt uns Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache, wenn wir hier einem kleinen Bergdorf einen Besuch abstatten.

Teil des dörflichen Alltags

Pirin heißt dieses und wurde einige Jahre zuvor zufällig von Eliza Petkova bei einer Wanderung entdeckt. Sie verliebte sich so sehr in den Ort, dass sie dort ihren ersten Langspielfilm Zhaleika drehte. Während des zweimonatigen Beisammenseins lernte sie die Menschen kennen, die dort noch immer wohnen, und begann sich zunehmend für diese zu interessieren. Und so kehrte sie später noch einmal nach Pirin zurück, um das Dorf selbst in den Mittelpunkt eines Films zu rücken. Dabei ist Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache von dieser Nähe geprägt, welche sich offensichtlich in der Zeit aufgebaut hat. Die Männer und Frauen lassen sie an ihrem Alltag teilhaben, erzählen von ihren Wünschen und Träumen, von Enttäuschungen und Sorgen. Manchmal erzählen sie auch nichts.

Dabei bleibt Petkova immer auf Distanz. Es gibt keine Interviewszenen. Es wird auch nichts inszeniert, sei es durch Musik oder andere Stilmittel. Wichtiger war es der Regisseurin, wirklich den Ort und die Menschen festzuhalten – und mit ihnen einen Teil ländlicher Kultur, der zu verschwinden droht. Der Drache in dem Titel bezieht sich auf eine alte Legende, der zufolge das Wesen junge Frauen entführt. Sollte etwas an dieser Legende dran sein, hat der Drache ganze Arbeit geleistet. Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache zeigt und sein Dorf, in dem vor allem ältere Menschen leben. Die wenigen, die noch unter dem Rentenalter sind, finden keine Partner und Partnerinnen mehr. Zwar ist der Bürgermeister, einer der Alleinstehenden im heiratsfähigen Alter, per Facebook fündig geworden. Das bringt ihm aber relativ wenig, wenn die Frau ganz woanders lebt und ihre Zukunft sicherlich nicht in Pirin findet.

Ein Schatz im Nebel

Dafür spielt die Vergangenheit in dem Ort eine große Rolle. So teilen die Menschen ihre lokalen Rituale mit der Kamera, was dem Dokumentarfilm etwas Folkloristisches mitgibt. Es werden aber auch persönliche Vergangenheiten angesprochen, die Trauer um Verstorbene beispielsweise. Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache bleibt auch dann nah an den Figuren, ohne dass es dabei gleich voyeuristisch würde. Petkova arbeitet hier mit einer Zurückhaltung, die man sich bei vielen True Crime Dokus wünschen würde, welche das Leid der Leute regelrecht ausschlachten – aktuell siehe Im Namen Gottes: Heiliger Verrat. Hier ist es ein Teil von vielem, wenn sich traurige und schöne Momente abwechseln. Wenn der Alltag und besondere Momente Hand in Hand gehen.

Zuweilen hat dies auch etwas sehr Poetisches, gemäß dem ungewöhnlichen Titel. Es ist auch wundervoll bebildert, wenn Petkova und Kamerafrau Constanze Schmitt immer wieder den Blick schweifen lassen. In stimmungsvollen Bildern halten sie das Leben in den Bergen fest, zeigen die einfachen Häuser oder die naturbelassenen Landschaften. Das ist bezaubernd, manchmal auch leicht märchenhaft, wenn sich ein Nebel über diese abgelegene Welt legt – ohne je zu einem dieser Fernweh-Kitsch-Safaris zu werden. Dafür ist in Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache das Gefühl von Vergänglichkeit auch zu groß. Die Ahnung, dass wir dabei sind, wie etwas vor unseren Augen unwiderruflich verlorengeht, das so nebensächlich und unbedeutend erscheint, und doch ein kleiner Schatz ist, der es wert wäre, von einem Drachen bewacht zu werden.

Credits

OT: „Mayor, Shepherd, Widow, Dragon“
Land: Deutschland, Bulgarien
Jahr: 2021
Regie: Eliza Petkova
Drehbuch: Eliza Petkova
Kamera: Constanze Schmitt

Bilder

Trailer

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Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache
fazit
„Bürgermeister, Schäfer, Witwe, Drache“ nimmt uns mit in ein kleines Bergdorf, in dem die Bevölkerung langsam ausstirbt. Ruhig und mit gutem Blick für Details stellt uns der Dokumentarfilm die Leute vor, die auf verlorenem Posten ausharren und doch noch immer von einem besseren Leben träumen.
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