
Wer erst nach Start der Sichtung von Fritz Litzmann, mein Vater und ich einen Blick auf die Laufzeit wirft, darf sich von 144 Minuten erst einmal erschlagen fühlen. Sprechen jedoch zu Beginn Bastian Pastewka (Alles gelogen), Helge Schneider und Gerhard Polt nacheinander in die Kamera, dann darf wiederum mit wohl recht unterhaltsamen 144 Minuten gerechnet werden. Allerdings sind sie alle nach jeweils wenigen Sätzen wieder von der Bildfläche verschwunden und es dauert eine ganze Weile, bis sie sich erneut wieder blicken lassen. Selbst dann wirken sie beinahe eher wie Beiwerk, statt substanzieller Bestandteil der Dokumentation zu sein. Der Fairness halber darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass der Titel Fritz Litzmann, mein Vater und ich bereits ziemlich deutlich impliziert, dass hier drei andere Menschen im Mittelpunkt stehen. Noch genauer betrachtet handelt es sich dabei nur um zwei, aber dazu gleich mehr.
Auf den Spuren der eigenen Familie
Immer wieder richten Dokumentarfilmer die Kamera auf das eigene familiäre Umfeld. In König hört auf etwa begleitet Tilman König seinen Vater, einen ostdeutschen Pfarrer, bei dessen Abschied aus dem Berufsleben. In Vergiss mein nicht setzt sich David Sieveking mit der Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter auseinander und beleuchtet dabei nicht nur den Krankheitsverlauf, sondern auch das Familiengefüge. In Die toten Vögel sind oben geht Sönje Storm dem Leben und vor allem der Arbeit ihres Urgroßvaters auf den Grund. In Fritz Litzmann, mein Vater und ich nun zeichnet Regisseur Aljoscha Pause ein Portrait seines Vaters Rainer Pause – womit schon einmal zwei der drei Referenzen im Titel geklärt wären.
Fritz Litzmann nun aber ist niemand anderes als Rainer Pause. Genauer gesagt handelt es sich dabei um eine von ihm erdachte und über Jahrzehnte hinweg verkörperte Kunstfigur: ein grummeliger, bürgerlich-bräsiger Rheinländer, der in pointierten Kabarettnummern das Zeitgeschehen kommentiert, vornehmlich im von Pause 1987 in Bonn gegründeten Kabaretttheater Pantheon. Die Dokumentation folgt dabei nicht nur dem Künstler und seinem Alter Ego, sondern stellt ein persönliches „Vater-Sohn-Projekt“ dar, wie Rainer Pause es nennt, das mitunter zwischen Bewunderung und Reibung changiert.
Das schwierige Erbe
Einen berühmten Vater zu haben, bringt seine ganz eigenen Tücken mit sich, insbesondere wenn es sich dabei um einen Künstler handelt. Das Abgangszeugnis von Aljoscha Pause bescheinigt ihm nicht nur die schulischen (Fehl-)Leistungen, sondern lässt auch erahnen, wie verloren der Jugendliche aufgrund der Umstände gewesen sein muss: In den Fächern Deutsch, Italienisch, Musik, Geschichte, Erdkunde, Philosophie, Französisch, Mathematik, Biologie und Sport erhielt er jeweils ein „Ungenügend“.
Formal bedient sich der Regisseur den gängigen Erzählmitteln. Interviews mit talking heads – nicht zuletzt mit Rainer Pause selbst, zu dem der Sohn trotz bewegter Vergangenheit natürlich einen Zugang wie kein anderer hat – und Archivaufnahmen machen den Hauptteil der Dokumentation aus. Ab und zu wird ein kleiner animierter Clip eingeblendet, wenn von einem Ereignis kein tatsächlicher Videobeweis existiert. Trotz der eingangs erwähnten Laufzeit weist Fritz Litzmann, mein Vater und ich keine Längen auf. Manchmal mäandert die Dokumentation scheinbar willkürlich vor sich hin, der rote Faden des Narrativs bleibt jedoch stets erkennbar.
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