
Für Anne Schuchardt (Katharina Böhm) ist es an der Zeit, noch einmal von vorne anzufangen. Sie will nach Spanien, ein neues Zuhause hat sie dort bereits gefunden. Das setzt aber voraus, dass sie erst einmal ihr altes verkauft, um das notwendige Geld zu bekommen. Das bedeutet auch, sich mit ihrer Tochter Helen (Hanna Plaß) auszutauschen. Seit Jahren schon hatten die beiden keinen Kontakt mehr, seitdem Helens Bruder Lukas (Luke Matt Röntgen) gestorben ist. Der Junge war mit einer geistigen Behinderung geboren und brauchte deshalb immer viel Aufmerksamkeit, worunter die Schwester immer litt, da sie sich weniger geliebt und beachtet fühlte. Nachdem sie die letzten Jahre in den USA verbracht hat, ist sie zurück, zusammen mit ihrem Sohn Luke (Lennox Louis Seigerschmid), von dem Anne nichts wusste. Notgedrungen müssen sich die beiden bei diesem Wiedersehen auch damit auseinandersetzen, was damals vorgefallen ist …
Die schwierige Reise in die Vergangenheit
Eigentlich ist der Freitagabend im ZDF ja den diversen Krimiserien vorbehalten, die regelmäßig für Spitzenquoten sorgen. Und so dürften so manche beim Einschalten von Das gläserne Kind falsche Erwartungen haben, umso mehr, da Katharina Böhm die Hauptrolle spielt. Schließlich ist diese das Aushängeschild des Krimidauerbrenners Die Chefin, der dieses Jahr mit der bereits 15. Staffel die Primetime dominierte. Stattdessen darf die Schauspielerin sich hier mal an einer dramatischen Rolle versuchen und ihre Vielseitigkeit auf die Probe stellen. Tatsächlich ist der Film von tragischen Geschichten geprägt, wie man sie eher bei einem Herzkino-Beitrag am Sonntagabend vermuten würde. Da geht es um alte Familiengeschichten, um nicht verarztete Wunden, aber auch eine Wiederannäherung. Das ist hier ja schließlich ein Fernsehfilm.
Dabei lässt man sich ein wenig Zeit, bis das alles wirklich angesprochen wird. Man greift bei dem Film auf den beliebten Kniff zurück, bei einem Wendepunkt der Gegenwart einzusteigen, um dann noch einmal in die Vergangenheit zu reisen. Oder besser: um viele Male in die Vergangenheit zu reisen. Anstatt etwa chronologisch die Vorgeschichte nachzuzeichnen, werden aktuelle Diskussionen und Szenen zum Anlass, um inhaltlich dazu mehr oder weniger passende anzusprechen. Das können so unterschiedliche Momente sein wie ein Aufenthalt im Badezimmer oder das Servieren eines Kalten Hunds. So etwas kann schnell willkürlich werden, funktioniert in Das gläserne Kind aber ganz gut, da es der Sprunghaftigkeit des Gedächtnisses folgt. Schließlich dürften die meisten die Erfahrung gemacht haben, dass man manchmal plötzlich an etwas von früher zurückdenkt, ausgelöst durch banalste Momente.
Gutes Thema, plump aufgelöst
Der interessanteste Aspekt wird dabei durch den Titel vorweggenommen. Das gläserne Kind spricht davon, wie Geschwister von kranken Kindern von den Eltern kaum wahrgenommen werden. Es gelingt dem Film dann auch ganz gut, Verständnis für Helen zu wecken, ohne dabei einseitig die Mutter zu verdammen. Natürlich hat Letztere immer mal wieder Fehler begangen, hatte nicht das Feingefühl, um zu sehen, wie es ihrer Tochter ging. Anne wird aber nicht verurteilt, der Film macht schon klar, wie schwierig es für sie gewesen sein muss, sich um die beiden Kinder zu kümmern, ohne viel Hilfe, Familie und Beruf unter einen Hut bekommen zu müssen. Das ist schon unter gewöhnlichen Umständen nicht einfach. Dies bei einem Kind tun zu müssen, das sich nicht selbst versorgen kann und für sich eine Gefahr darstellt, da darf man überfordert sein.
Das Thema ist da schon gut, lädt zum Diskutieren ein, während es gleichzeitig emotional werden darf. Leider machte man es sich aber ziemlich einfach im Hinblick auf die Auflösung. Dass es irgendwann zu einer Annäherung kommt, ist zwar nicht schlimm, das passt schon irgendwie. Man nahm sich aber nicht die Zeit, um das auch wirklich zu entwickeln. Stattdessen griff man auf eine klischeehafte und plumpe dramatische Zuspitzung zurück, durch die das Happy End dann erzwungen wird. Das ist unbefriedigend, wird dem Ganzen so nicht gerecht. Am Ende reicht es so bei Das gläserne Kind trotz guter Absichten und Ansätze nur für Mittelmaß, da wäre doch mehr wünschenswert gewesen.
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