Der Sternsteinhof
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Der Sternsteinhof

Der Sternsteinhof
„Der Sternsteinhof“ // Deutschland-Start: 19. März 1976 (Kino) // 10. Mai 2024 (DVD / Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Ende des 19. Jahrhunderts: Als Leni noch ein Kind ist, stirbt ihr Vater Sepp beim Abtransport gefällter Holzstämme auf spiegelglattem Grund. Ihre Mutter, die Zinshoferin (Agnes Fink), macht dafür die skrupellose Gewinnsucht von Sepps Arbeitgeber, dem Sternsteinhofbauer (Gustl Bayrhammer), verantwortlich. Jahre später ist aus Leni eine hübsche junge Frau (Katja Rupé) geworden. Ihr Nachbar Muckerl (Tilo Prückner), der seinen Lebensunterhalt mit dem Schnitzen von Heiligenfiguren verdient, hat ein Auge auf Leni geworfen. Von seinem bescheidenen Lohn kauft er Leni ein Festtagsgewand, damit sie ihn ins Wirtshaus und aufs Dorffest begleiten kann. Dort erregt sie nun auch die Aufmerksamkeit des Sohnes des Sternsteinhofbauern, Toni Stadlhofer (Peter Kern). Toni ist zwar nicht sonderlich attraktiv, aber immerhin der künftige Erbe des erfolgreichsten Großbauern des Ortes. Leni hat sich nach dem Tod ihres Vaters geschworen, gesellschaftlich aufzusteigen und einmal zu „denen da oben“ zu gehören. Dem Sternsteinhofbauer ist die Liaison zwischen Toni und Leni aber ein Dorn im Auge, weil er seinen Sohn mit der Tochter (Irm Hermann) eines anderen Großbauern verheiraten möchte.

Der Weg nach oben

Hans W. Geißendörfer (geboren 1941 in Augsburg) dürfte vielen mittlerweile insbesondere als Vater der Lindenstraße ein Begriff sein. Immerhin hat der Filmemacher und Produzent die Serie 1985 aus der Taufe gehoben, zeitweise bei der ersten deutschen Langzeit-Soap-Opera Regie geführt und im Laufe von 35 Jahren über 1700 Episoden der Kultserie produziert. Doch Geißendörfers Karriere begann bereits in den frühen 1970er Jahren, als er im Zuge des Neuen Deutschen Films mit Jonathan ein interessantes Regiedebüt realisierte, das lose an Bram Stokers Vampirroman Dracula angelehnt war. Der Regisseur gewann dafür den Nachwuchsregiepreis des Deutschen Filmpreises und zählte künftig zu einem der wichtigsten Vertreter der neuen Autorenfilmer, die sich von der Spießigkeit von Opas Nachkriegskino abzugrenzen versuchten. 1971 gründete Geißendörfer mit einigen Kollegen den Filmverleih „Filmverlag der Autoren“, bei dem einige der spannendsten Filme jener Zeit vertrieben wurden.

Nahezu im Jahresrhythmus inszenierte Geißendörfer in den frühen 1970er Jahren neue Filme, die stets für das Fernsehen entstanden. Im Jahr 1976 drehte er dann mit Sternsteinhof seinen zweiten Kinofilm, der von der Produzentenlegende Luggi Waldleitner und dessen Roxy-Film finanziert wurde. Waldleitner (1913-1998) gehörte zwar auch noch zur alten Generation der deutschen Filmszene (er hatte u.a. Das Mädchen Rosemarie und Conny und Peter machen Musik produziert), zeigte sich aber auch neuen Strömungen gegenüber aufgeschlossen und realisierte in den 1970er Jahren (neben etlichen Johannes-Mario-Simmel-Bestsellerverfilmungen) auch interessante Autorenfilme, wie Zbynek Brynychs Die Weibchen oder Einer von uns beiden von Wolfgang Petersen.

Frau zwischen zwei Männern

Sternsteinhof basiert auf dem gleichnamigen Roman von Ludwig Anzengruber (1839-1889), der erstmals 1884 erschienen war. Die Werke des realistischen Heimatdramatikers haben sich über Jahrzehnte hinweg großer Beliebtheit erfreut. Vor allem seine Werke Der Meineidbauer, Der Pfarrer von Kirchfeld und Der Schandfleck wurden gleich mehrfach adaptiert. Seit Herbert B. Fredersdorfs Verfilmung von Der Schandfleck im Jahr 1956 hatte es allerdings keine Anzengruber-Adaption mehr ins Kino geschafft, in den 1960er Jahren entstanden gleichwohl etliche Fernsehverfilmungen seiner Werke. Geißendörfer war es seinerzeit wohl wichtig, mit Sternsteinhof einen unverklärten Blick auf jene Zeit zu werfen, fernab der Heimatfilmidylle, die so typisch war für das Nachkriegskino in Westdeutschland.

Die Spannung erhält der Film in erster Linie durch das vertrackte Figurengeflecht und die damit einhergehende Dreierbeziehung. Katja Rupé spielt mit viel Sexappeal und weiblicher Stärke eine Frau, die sich nimmt, was sie will. Dass sie sich dadurch nicht immer moralisch einwandfrei verhält, verleiht der Verfilmung eine zusätzliche pikante Note. Hans W. Geißendörfer hat das ausgehende 19. Jahrhundert dabei sehr naturalistisch und überzeugend in Szene gesetzt, auch die eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen Frank Brühnes sind überaus leinwandtauglich. Aufgrund der herausragenden Besetzung bleibt man gut zwei Stunden gebannt an den dramatischen Entwicklungen dran, die im Vergleich zur Romanvorlage noch einmal zusätzlich verschärft und auch zeitlich etwas weiter ins 20. Jahrhundert verlagert wurden. Eines der Highlights des Films ist die authentisch-prüde Bebilderung der verschämten Hochzeitsnacht zwischen den beiden damaligen Rainer-Werner-Fassbinder-Stars Peter Kern und Irm Hermann, die vortrefflich zu unterhalten versteht.

Die BluRay-Erstveröffentlichung (parallel ist auch eine remasterte DVD-Veröffentlichung erschienen) von Der Sternsteinhof bei Filmjuwelen bietet ein exzellentes Bild (im Widescreen-Format 1,66:1), das keine Wünsche mehr offenlässt. Auch der deutsche Originalton (in Dolby Digital 2.0 Mono, optional mit deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte) entspricht der Entstehungszeit und ist stets gut zu verstehen. Das Bonusmaterial besteht aus aktuelleren Interviews mit Hans W. Geißendörfer (22 Minuten) und seiner Hauptdarstellerin Katja Rupé (32 Minuten), dem deutschen Kinotrailer zum Film sowie einem 20-seitigen digitalen Booklet von Roland Mörchen.

Credits

OT: „Sternsteinhof“
Land: Deutschland
Jahr: 1976
Regie: Hans W. Geißendörfer
Drehbuch: Herman Weigel, Hans W. Geißendörfer
Vorlage: Ludwig Anzengruber
Musik: Eugen Thomass
Kamera: Frank Brühne
Besetzung: Katja Rupé, Tilo Prückner, Peter Kern, Gustl Bayrhammer, Agnes Fink, Elfriede Kuzmany, Ulrike Luderer

Bilder

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Der Sternsteinhof
fazit
Hans W. Geißendörfer wirft hier einen unverklärten Blick auf das frühe 20. Jahrhundert fernab der Heimatfilmidylle, die so typisch war für das Nachkriegskino in Westdeutschland. Die Spannung erhält der Film in erster Linie durch das vertrackte Figurengeflecht und die damit einhergehende Dreierbeziehung. Aufgrund der herausragenden Besetzung bleibt man gut zwei Stunden gebannt an den dramatischen Entwicklungen dran, die im Vergleich zur Romanvorlage noch einmal zusätzlich verschärft wurden.
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