Regisseurin Molly Manning Walker spricht über ihr Drama "How to Have Sex" (© capelight pictures / Nikolopoulos Nikos)

Molly Manning Walker [Interview]

Was macht man, wenn die Abschlussprüfungen in der Schule durch sind? Richtig, sich im Cluburlaub auf Kreta abschießen und mit möglichst vielen fremden Leuten schlafen. Das nehmen sich zumindest die drei Freundinnen Tara, Em und Skye in How to Have Sex (Kinostart: 7. Dezember 2023) vor, dem diesjährigen Gewinnerfilm der Sektion Un Certain Regard des Cannes Filmfestival. Doch wie schnell Gruppenzwang, gesellschaftlicher Druck und ein fehlendes Verständnis von sexualisierter Gewalt die Party zum Albtraum werden lassen können, zeigt der Debütfilm von Molly Manning Walker eindrücklich. Im Interview erzählt die Regisseurin von der Alltäglichkeit des Films, sich fortführenden Strukturen und vielem mehr.

Das Interview wurde nach der Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg 2023 geführt.

Du hast gestern beim Q&A nach der Vorführung erzählt, dass der Film sehr persönlich für dich angefangen hat, sich das dann aber geändert hat. Wieso hat er diese Wandlung für dich gemacht?

Als ich das Drehbuch geschrieben habe, dachte ich, es sei eine sehr persönliche Geschichte, weil sie auf meinen eigenen Erlebnissen basiert. Seitdem der Film fertig ist und ihn immer mehr Leute gesehen haben höre ich aber immer häufiger von Leuten aus der ganzen Welt, dass sie das Gefühl haben, ihre eigene Reise, ihre eigenen Erlebnisse darin wiedererkennen. Ich habe gemerkt, dass meine Geschichte überhaupt nicht ungewöhnlich und eben weniger persönlich ist, als ich dachte. Und das ist irgendwie traurig, aber auch erstaunlich, dass es so viele Menschen berührt.

Wenn alles als eine so persönliche Geschichte angefangen hat, wie war dann die Umsetzung als Film? Hattest du ein klares Bild vor Augen, von dem, was du haben willst?

Ich versuche immer, Drehbücher so fluide wie möglich zu halten und ich glaube, das ist auch mein Lieblingsaspekt des kreativen Prozesses, auf die Dinge zu reagieren, die man findet. Wenn man zum Beispiel an einen neuen Ort geht und denkt: „Oh wow, das könnte das ändern. Und das würde dies bedeuten.“ Als wir zum Beispiel den Penis-Pool gefunden haben, war mir sofort klar, dass wir da drehen müssen, obwohl das anfangs nicht im Drehbuch stand. Ich bin auch am Set in Griechenland oft mit dem Drehbuch in der Hand rumgelaufen und habe, wenn jemand etwas Interessantes gesagt hat, das ins Drehbuch geschrieben. Zum Beispiel stammt der Satz „Sind Pommes Gemüse?“ von der Tochter des Produzenten. Ich habe also versucht, alles flexibel zu halten. Das Gleiche gilt für das Casting und, um ehrlich zu sein, auch für die Dreharbeiten.

Du willst den Film auch an Schulen zeigen und hast das Drehbuch vorab auch schon manchen Jugendlichen zu lesen gegeben. Wie kam es dazu und was waren die Reaktionen?

Das war ein Teil unserer Suche nach Finanzierung. Film 4 war schon dabei und auch das BFI hat gesagt, „Wir haben das Gefühl, dass sich der Diskurs verändert hat. Müssen wir Jugendlichen neue Filme zeigen?“ Aber sie wollten, dass wir den Film vorher bei ein paar Workshops zu dem Thema zeigen und dann die Reaktionen abwarten. Das haben wir dann gemacht und mussten erschrocken feststellen, dass die Jugendlichen beispielsweise die Missbrauchsszenen in den wenigsten Fällen als problematisch erkannt haben. Es kamen die typischen Antworten, die man in der Generation eigentlich nicht mehr erwartet, wie „Sie hat ja auch einen so kurzen Rock getragen.“ Also haben wir die Jugendlichen nach ihrem Medienkonsum gefragt. „Habt ihr schonmal Sex Education gesehen.“ „Nein.“ „Habt ihr schonmal I May Destroy You gesehen?“ „Nein.“ „Was guckt ihr denn so?“ „Alles, wo Tom Holland mitspielt.“ Da wurde uns klar, dass wir den Film machen mussten und dass es immer noch einen echten Mangel an Bildung in diesem Bereich gab. Und da war das BFI dann auch an Bord.

Dann hoffe ich mal, dass ihr Erfolg mit dem Projekt habt und viele Jugendliche erreicht. Ich habe nämlich einige Interviews und Kritiken aus Cannes gelesen und hatte das Gefühl, dass der Film an vielen älteren Leuten, vor allem älteren Männern, offenbar komplett vorbeigeht. Und das fand ich dann doch verblüffend, weil der Film, in dem, was er vermitteln will, ja eigentlich ziemlich unkompliziert ist.

Es war sehr interessant, vor allem die Reaktion der Presse. Man weiß ja, dass die Presse in Cannes ziemlich intensiv ist, aber wenn dann ein Mann kommt, um sich zu verteidigen und sagt „Das ist kein Missbrauch, weil bla, bla, bla…“ und danach dann eine Frau kommt und sagt „Vielen Dank, für diesen Film, ich fühle mich gesehen und gehört.“, dann sagt das schon ziemlich viel. Ich denke, dass der Film Menschen einen Spiegel vorhält und ihnen etwas über die Person sagt, die sie sind. Und das merke ich auch in verschiedenen Interviews, wie die Leute dann mit mir reden. Denn wenn Leute mit mir sprechen und so wie du sagen, alles nicht so kompliziert, wichtige Botschaft und so weiter, toll. Aber wenn jemand zu mir kommt und sagt „Das ist kein Missbrauch“, dann frage ich mich, was erzählst du mir gerade über dich? Und die Leute kommen und sagen „Ja, aber er hat die Nacht davor mit ihr geschlafen und sie ist nicht aus dem Bett aufgestanden. Warum ist sie nicht aus dem Bett aufgestanden?“ Also ja, es war interessant und auch schockierend, sich damit zu beschäftigen.

How to Have Sex
Drei Freundinnen suchen den Spaß: Szene aus „How to Have Sex“ (© capelight pictures / Nikolopoulos Nikos)

Ich würde gerne über zwei Figuren sprechen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind, die erste ist Skye. Sie hat sich extrem an das angepasst, was von ihr erwartet wird, scheint das aber überhaupt nicht zu reflektieren, sondern gibt diese Werte auf extrem toxische Art an die anderen weiter. Wieso hast du dich dafür entschieden, diese Figur so in den Film zu schreiben?

Rückblickend finde ich es wahnsinnig spannend, dass wir als Jugendliche oft wirklich schrecklich zueinander waren, das aber nie angesprochen haben, weil wir Angst hatten, dafür in der Freundesgruppe angefeindet zu werden. Man lässt es dann einfach über sich ergehen, weil sie im nächsten Moment ja auch wieder total nett zu dir sind. Und diese Art von toxischen Beziehungen sind bei Jugendlichen völlig normal. Heutzutage würde ich mir das niemals gefallen lassen, aber es gab viele dieser Leute in meinem Leben, als ich aufgewachsen bin. Und ich glaube, mit Skye haben wir versucht, diese Menschen abzubilden, ihr Handeln zu verstehen. Wir haben sie mit einer Art Gegenliebe geschrieben, sodass man irgendwie weiß, dass sie unsicher und unerfahren ist und dass sie erwachsener sein will, aber es kommt alles auf diese böse Art heraus.

Die andere Figur, die ich besonders spannend finde, ist Badger. Denn auch wenn er ja so ein bisschen der liebenswürdige Idiot ist, scheint er ja als einziger zu merken, was passiert ist, schreitet aber trotzdem nicht ein. Was hast du dir bei dieser Figur gedacht?

Einer der wichtigsten Punkte war für mich, vor allem als queere Person, eher männliche Person, die den Druck der Welt aus einer männlichen Perspektive versteht, Männer nicht auszuschließen. Ich wollte die Konversation öffnen und nicht einen kompletten Angriff auf die Männer starten. Und ich denke, das funktioniert nicht, wenn es nur die Figur Paddy gibt, in der man sich wiedererkennen soll. Das ist schwierig. Aber es ist einfacher, sich in jemandem wiederzuerkennen, der den Mund nicht aufmacht, obwohl er weiß, dass sein Freund ein schlechter Kerl ist. Er missbraucht sie nicht, aber er greift auch nicht ein, er lässt sie im Stich. Vielleicht ist das die Lektion für viele. Also ja, ich wollte diesen lustigen, netten Kerl darstellen, der aber nicht das Richtige zur richtigen Zeit tut. Und ich hoffe, das spricht die Leute an.

Ich glaube, viele Menschen würden sich in dieser Situation genauso verhalten.

Ja, leider. Wir sehen das in der Popkultur ja immer wieder. Nehmen wir mal die Russel-Brand-Situation oder andere #MeToo-Fälle. Ganz oft heißt es dann „Oh ja, wir wussten, dass er so ist.“ Wie kann das sein? Warum haben wir es so lange gewusst und nichts getan? Das ist nicht fair.

Etwas, das mich wirklich beeindruckt hat, war das Ende. Das ist nämlich deutlich optimistischer und hoffnungsvoller, als ich erwartet hätte. Warum hast du dich für diesen Ton entschieden?

Ich glaube, ein Teil meines Ansatzes bei Tara war, dass sie kein Opfer ist. Sie ist ein unverwüstliches, lustiges, quirliges, lautes, Mädchen und kein Opfer, dem etwas passiert und dessen Leben dann für den Rest der Zeit vorbei ist. Und ich wollte sagen, dass die Mädchen, die auf dem Flughafen schreien, diese Erfahrung auch gemacht haben. Es passiert uns allen und es sind nicht nur die, von denen man denkt, dass sie es sind. Es geht eher darum zu sagen: Ja, sie ist betroffen und sie wird das auch mit sich rumtragen, aber sie ist widerstandsfähig, sie macht weiter und es wird sie nicht aufhalten.

Ich vermute mal, das ist auch der Grund, warum der Film nicht so traumatisch ist, wie er sein könnte? Ich denke da beispielsweise an einige der Szenen in den Clubs, in denen die Stimmung umschlägt und sich die Atmosphäre auf einmal sehr klaustrophobisch anfühlt. Das hätte man ja noch stärker betonen können.

Ja, ich wollte die Leute wirklich nicht traumatisieren, denn ich denke, das Leben ist schon traumatisch genug. Aber es ist schwer, diese Art von Film zu machen und dabei nicht zu traumatisieren, das stimmt. Man muss immer ein gewisses Gleichgewicht einhalten.

Da du gerade Gleichgewicht sprichst: Eine Sache, die ich sehr bemerkenswert finde, ist die Balance zwischen freudig energetischer Party und total erdrückenden Szenen, die euch gelungen ist. Wie seid ihr daran gegangen?

Der Plan war, nachts alles in Neonlicht und Rauch zu tauchen, damit eine Art magische, surreale Atmosphäre entsteht. Um ehrlich zu sein, mussten wir aber gar nicht so viel tun, um diese Atmosphäre zu erzeugen. In den Clubs pumpen sie Rauch auf die Straße, überall ist Neonlicht, sodass es fast schon von alleine so aussieht, wie wir es haben wollten. Wir haben dann nur noch versucht, alles zu verstärken, was schon da war. Im Kontrast dazu gibt es dann das wirklich harte, blendende Tageslicht, vor dem man sich nicht wirklich verstecken kann, weil es kaum Schatten gibt. Und es gibt dieses Unwissen, wie viel Zeit vergeht und wie lange man dort ist. Es ist einfach dieses unerbittliche nochmal und nochmal und nochmal.

Ich kann mir vorstellen, dass das auch anstrengende Dreharbeiten sind. Wie habt ihr das gemacht, alle Nachtszenen nacheinander?

Wir haben völlig außer der Reihe gedreht. In den ersten zwei Wochen haben wir nur Partyszenen gedreht, was ehrlich gesagt erschreckend war. Sie fühlen sich riesig an, weil so viele Leute da sind, sind aber so ein kleiner Teil des Films. Also, sie sind natürlich sehr präsent im Film, aber dramaturgisch machen sie nur einen ziemlich kleinen Teil aus. Nach den Nachtszenen haben wir dann vier Wochen im Hotel gedreht, mussten manche Szenen wegen eines Krankheitsausfalls aber auch nachts drehen. Es hat unseren Zeitplan komplett durcheinandergeworfen. Also ja, es war am Ende nicht besonders logisch und ziemlich anstrengend.

Ihr habt ja in einem echten Resort auf Kreta gedreht. Habt ihr das dann einfach für die Drehzeit komplett gebucht und auch da gelebt?

Wir haben 26. September bis zum 4. November gedreht, es war also außerhalb der Saison und das Resort war ziemlich leer. Aber ja, wir haben alle im Hotel gewohnt, die ganze Crew. Es war fast wie ein Ferienlager, wir haben gegrillt und jeden Sonntag Fußball gespielt. Aber am Ende war außer uns auch wirklich überhaupt niemand mehr da.

Mit all dem Wissen im Nachhinein, wenn du den Film heute nochmal machen würdest, was würdest ändern?

Ich würde mehr Zeit für den Schnitt einplanen. Die Postproduktion im Allgemeinen, aber insbesondere die Tonmischung war wirklich schwierig. Außerdem würde ich die Partyszenen nicht in den ersten zwei Wochen drehen. Aber um ehrlich zu sein, hatten wir ein wirklich fantastisches Team und alle waren mit Leidenschaft bei der Sache. Es gibt also nicht so viel, was ich ändern würde.

Du bist jetzt auf vielen Festivals gewesen, der Film startet in den Kinos, was steht als Nächstes an?

Der Kinostart in Großbritannien ist am 3. November, danach mache ich erstmal Urlaub und werde dann wieder mit dem Schreiben anfangen. Und es gibt ein paar Dinge, die vor sich hin brodeln, aber es ist noch nichts wirklich fix.



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