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© SWR/Jacqueline Krause-Burberg

Gesicht der Erinnerung

„Gesicht der Erinnerung“ // Deutschland-Start: 8. Februar 2023 (Das Erste)

Inhalt / Kritik

Für Christina Wolffhardt (Judith Altenberger) ist es die große Liebe: Dass Jacob (Florian Stetter) mit 39 Jahren deutlich älter ist als sie, stört die 16-Jährige nicht. Ebenso wenig, dass er Frau und Kind hat. Sie will mit ihm zusammen sein, ihr ganzes Leben lang. Dabei ahnt sie nicht, dass er kurze Zeit später bei einem Autounfall sterben wird. 20 Jahre sind seither vergangen, doch Christina ist nie wirklich über diesen Verlust hinweggekommen. Doch dann macht sie die Bekanntschaft des Jugendlichen Patrick (Alessandro Schuster), der ihr sofort schöne Augen macht. Nach einer Weile lässt sie sich auf sein Werben ein, fühlt sich ebenfalls zu ihm hingezogen. Vor allem aber erinnert er sie an ihre große Liebe – so sehr, dass es immer wieder zu Irritationen kommt …

Eine Frage der Erinnerung

Sie gehören fest zum menschlichen Dasein dazu: Erinnerungen. Dass wir wissen, was wir vorher erlebt haben, ist eine zwingend notwendige Fähigkeit, um uns durch diese Welt bewegen zu können. Indem wir abspeichern, was funktioniert und was nicht, können wir uns im Laufe des Lebens immer souveräner verhalten. Außerdem prägen unsere Erinnerungen maßgeblich, wer wir sind. Diese Prägung muss dabei nicht zwangsläufig positiv sein. Oft genug wird das Gedächtnis zu einem Gefängnis, aus dem wir uns kaum oder nur im Rahmen eines langjährigen Prozesses befreien können. Von eben einem solchen Fall erzählt die ARD-Produktion Gesicht der Erinnerung. Die Phase der Beziehung zwischen Christina und Jacob war kurz, inzwischen ist die Protagonistin doppelt so alt wie zu dem Zeitpunkt des Unglücks. Das sollte eigentlich reichen, um ein traumatisches Ereignis verarbeiten und weitermachen zu können. So richtig scheint das bei ihr aber nicht zu klappen.

Warum Christina derart besessen ist von dem Verstorbenen, wird dabei nie klar. Zum Teil könnte es mit den Schuldgefühlen verbunden sein, die sie plagen – so wird zumindest impliziert. Richtig in die Tiefe geht das aber nicht. Stattdessen geht Regisseur-Veteran Dominik Graf (Fabian oder Der Gang vor die Hunde) lieber seiner bekannten Neigung für visuelle Spielereien und Experimente nach. Da überlappen sich Gegenwart und Vergangenheit. Er arbeitet mit kräftigen Farben und Symbolen, welche für Verfremdungseffekte sorgen. Das ist sicherlich ein ungewöhnlicher Anblick, gerade auch für eine Produktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Die sind schließlich selten für Ambitionen bekannt, seien sie inhaltlicher oder inszenatorischer Art. Doch so überraschend dieser Anblick ist, zumindest für ein Publikum, das Graf nicht kennt: Es lenkt schon sehr vom Inhalt ab.

Vom Thema abgekommen

Leider ist Letzterer aber auch nicht so wirklich gelungen. Interessante Themen spricht Drehbuchautor Norbert Baumgarten dabei durchaus an. Zu diesen gehört beispielsweise die Unsicherheit, ob Christina tatsächlich Gefühle für Patrick hat oder der sie einfach nur an Jacob erinnert. Damit zusammen hängt die Frage, wie weit wir überhaupt einen anderen Menschen als denjenigen wahrnehmen, der er ist. Können wir ihn sehen oder ist er nur das, was wir in ihm sehen wollen? Gesicht der Erinnerung“ streift diese Punkte, streift auch die Diskussion, inwieweit die Beziehung zu einem halb so alten Menschen eine Zukunft hat. Eine wirkliche Antwort darauf gibt der Film nicht, auch weil er zu sehr damit beschäftigt ist, alles Mögliche einmal ansprechen zu wollen. Ein großer Bestandteil ist da der Mystery-Part. Ist Patrick eine Wiedergeburt von Jacob? Sind die Gemeinsamkeiten reiner Zufall oder vielleicht nur Einbildung?

Beide Punkte hängen natürlich zusammen, auch wenn ein Psychogramm nicht unbedingt durch spirituelle Elemente an Tiefe gewinnt. Richtig bizarr ist aber, wie zahlreiche andere Themen und Wendungen eingebaut werden, die gar nichts mehr mit dem Kern zu tun haben. Da wird ein eifersüchtiger Exfreund eingebaut, der letztendlich genauso unwichtig ist wie der Ehebruch oder der Altersunterscheid. Zum Schluss eskaliert die Geschichte dann vollends, bringt noch mehr Schicksalsschläge dazu und verabschiedet sich völlig von den anfänglichen Fragen. Zwar muss man dem Drama, das auf dem Filmfest München 2022 Premiere feierte, zugutehalten, dass es in eine andere Richtung geht als die oft austauschbaren TV-Filme. Wenn das aber wie bei Gesicht der Erinnerung zu einem Sammelsurium aus Figuren und Themen wird und interessante existenzielle Fragen an ein reißerisches Melodram verschwendet werden, kann man sich das auch sparen.

Credits

OT: „Gesicht der Erinnerung“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Dominik Graf
Drehbuch: Norbert Baumgarten
Musik: Sven Rossenbach, Florian Van Volxem
Kamera: Hendrik A. Kley
Besetzung: Verena Altenberger, Alessandro Schuster, Florian Stetter, Judith Altenberger, Julia Stammler, Maria Preis, Frederic Linkemann

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fazit
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