Das Insektenweib

Das Insektenweib

Inhalt / Kritik

Das Insektenweib
„Das Insektenweib“ // Deutschland-Start: 14. Juli 1967 (Kino)

Im Jahre 1918 kommt Tome (als Erwachsene gespielt von Sachiko Hidari) als Tochter einer Bauernfamilie auf die Welt. Da das Geld knapp ist, muss sie bereits als kleines Kind immer im Haushalt wie auch auf dem Feld mithelfen, wobei sie ihrer Mutter nur eine Last ist und für ihren zurückgebliebenen Vater eine getreue Bettgefährtin, was sich schon bald im Dorf herumspricht. Als junge Frau geht sie in eine nahe Fabrik arbeiten, wird zu einer Führerin der Gewerkschaft und beginnt eine Beziehung mit einem Vorarbeiter, der sie aber nur ausnutzt und ihr auch nicht zur Seite steht, als man ihr aus politischen Gründen kündigt. Da sie sich von ihrer Familie verstoßen fühlt und das Leben auf dem Lande keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten bietet, beschließt sie, nach Tokio zu ziehen und dort ihr Glück zu versuchen, auch wenn ihr Vater strikt gegen ihren Plan ist. Ihre uneheliche Tochter jedoch bleibt beim Großvater, der sie schon bald als Ersatz für Tome an seiner Seite, im Feld wie auch im Bett, akzeptiert.

Nach einer Weile gelingt es Tome, in Tokio ein einigermaßen gutes Leben zu führen. Während sie Mitglied einer christlichen Sekte geworden ist und um Vergebung für ihre Sünden bittet, jobbt sie als Reinigungskraft und Bedienstete in einem Freudenhaus, dessen Chefin ein strenges Regiment führt und von der Sekte, der ihre neueste Mitarbeiterin angehört, nicht viel hält. Dennoch würdigt sie den Arbeitswillen Tomes, die unter ihrer Führung immer weiter in der Hierarchie aufsteigt und schon bald eine enge Beraterin der Chefin wird. Als diese jedoch wegen Unzucht von der Polizei verhaftet wird, sieht Tome ihr bisheriges Leben in Gefahr und beschließt abermals, ihr Glück in die eigene Hand zu nehmen.

Fleißig wie eine Biene

Während der 1960er Jahre, als seine Heimat sich in einem gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umbruch befand, definierte sich ebenso Regisseur Shohei Imamura neu. Bereits in dem 1960 entstandenen Schweine, Geishas und Matrosen zeigte er ein schonungsloses Porträt Japans nach der Niederlage des Zweiten Weltkrieges, was sich in den folgenden Werken fortsetzte. In Das Insektenweib ging er noch einen Schritt weiter und ergänzte die Sicht auf seine Heimat auf eine bestimmte Mentalität, die der „Arbeiterbiene“, die zwar enormen Ehrgeiz und Überlebenswillen an den Tag legt, aber darüber hinaus Werte wie Moral oder Menschlichkeit über Bord wirft.

Über 45 Jahre deckt die Geschichte ab, die Shohei Imamura erzählt, wobei die persönliche Entwicklung seiner Heldin flankiert wird von historischen Ereignissen wie dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki sowie den Studentenprotesten gegen Ende der 1950er Jahre. Sachiko Hidari spielt Tome als eine Überlebenskünstlerin, die sich, trotz widriger Umstände, irgendwie durchprügelt im Leben, die aufpasst und lernt und schließlich selbst zu einer Chefin wird, die eben jene Kaltblütigkeit und Abgebrühtheit an den Tag legt, die sie von ihrer Umwelt gelernt hat. Imamura, der zusammen mit seinem Kollegen Keji Hasabe auch das Drehbuch schrieb, zeigt diese Entwicklung nicht alleine im Sinne einer Initiation des Individuums, sondern als eine natürliche Progression der „Arbeitsmentalität“ oder eines Pflichtbewusstseins im Namen der Familie oder der Nation. Tome wird zum Spiegelbild dieser Entwicklung, die sie immer mehr ihrer Familie entfremdet, kälter werden lässt und damit zu einem perfekten Untertan, wie so viele andere um sie herum.

Dieses bittere Leben

Fast schon dokumentarisch mag man Imamuras Ansatz bei der Inszenierung nennen. Wie bereits in Schweine, Geishas und Matrosen interessiert er sich für eine Abbildung der Wirklichkeit, oder genauer gesagt einem Bild der Familie und wie sich diese im Rahmen der gesellschaftlichen Umsetzungen verändert. Der bitteren Von-der-Hand-in-den-Mund-Existenz der Eltern wird der Rücken gekehrt und sie weckt Begehrlichkeiten auf eine andere Art zu leben, insbesondere wenn die Menschen in Machtpositionen ein so viel leichteres Leben haben als man selbst. Am Beispiel seiner Heldin zeigt Imamura das zweischneidige Schwert einer Mentalität und des Fortschritts, der ein besseres Leben verspricht, aber dafür auch den Menschen nachhaltig verändern kann.

In der Hauptrolle gibt die völlig zu Recht für ihre Darstellung mit dem Goldenen Bären geehrte Sachiko Hidari eine beachtliche Vorstellung. Tome ist eine, die lernt und die sich im Hintergrund hält, bis sich eine Gelegenheit bietet, sich einen Vorteil zu verschaffen. Es ist eine mutige Darstellung, die nicht unbedingt jeden Zuschauer auf die Seite ihrer Figur bringt, aber andererseits ihrer Figur glaubwürdiger erscheinen lässt.

Credits

OT: „Nippon Konchuki“
Land: Japan
Jahr: 1963
Regie: Shohei Imamura
Drehbuch: Keji Hasebe, Shohei Imamura
Musik: Toshiro Mayuzumi
Kamera: Shinsaku Himeda
Besetzung: Sachiko Hidari, Jitsuko Yoshimura, Emiko Aizawa, Masumi Harukawa, Kazu Kitamura

Filmfeste

Berlinale 1964
International Film Festival Rotterdam 1981

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„Das Insektenweib“ ist ein beachtliches Drama über die japanische Gesellschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg, welches einerseits von Fortschritt aber auch von Sittenverfall und Gefühlskälte berichtet. Shohei Imamura erzählt mutig und provokant von einer Veränderung in seiner Heimat und zeigt deren gute wie schlechte Seiten auf, was, mit Blick auf das Japan heute, durchaus noch Jahrzehnte später relevant ist.
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