Der letzte Zeuge
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Der letzte Zeuge

Inhalt / Kritik

Der letzte Zeuge
„Der letzte Zeuge“ // Deutschland-Start: 30. Dezember 1960 (Kino) // 7. August 2015 (DVD)

Als Ingrid Bernhardy (Ellen Schwiers) ihre vier Monate alte Tochter ermordet in ihrem Kinderbett findet, ruft sie zuerst voller Panik bei deren Vater Werner Rameil (Martin Held) an, mit dem sie schon seit einer ganzen Weile eine Affäre hat, bevor sie hilfesuchend bei Dr. Heinz Stephan (Jürgen Goslar) auftaucht, einem früheren Freund. Da der verheiratete Rameil ein Alibi hat, konzentriert sich die Polizei auf Bernhardy und Stephan als mögliche Täter. Tatsächliche Beweise gibt es keine, dafür einige kompromittierende Briefe, die von den Gefühlen der beiden zeugen. Vor allem aber die freizügige Vergangenheit der Verdächtigen ist Grund genug für den Untersuchungsrichter, um sie bis auf Weiteres festzuhalten …

Wer hat das Verbrechen begangen?

In Kriminalfilmen geht es meistens darum, dass ein Verbrechen begangen wurde und dieses aufgelöst werden muss. Besonders der klassische Whodunnit, wie er von Agatha Christie betrieben wurde, ist mit dem Bild des Genres verbunden: Auf ein Opfer kommen eine Reihe von Verdächtigen, unter denen der richtige gefunden werden muss. Zumindest formal trifft das auf Der letzte Zeuge zu. Ein Säugling wurde ermordet, mehrere Personen könnten es getan haben: die Mutter, der Vater, der Ex-Partner. Der Rest der Geschichte dreht sich darum, die Wahrheit herauszufinden und damit für Gerechtigkeit zu sorgen. Und doch: Der 1960 veröffentlichte Film passt nicht ganz ins Bild, aus einer Reihe von Gründen.

Einer davon ist, dass die Polizei hier nicht als die Helden auftritt, die im Schweiße ihres Angesichts allen möglichen Spuren nachgeht. Ermittelt wird natürlich schon. Das trifft jedoch mehr auf die Anwälte von Bernhardy und Stephan zu, die unbedingt die jeweilige Unschuld beweisen wollen. Die Polizisten wiederum setzen recht schnell einen Haken unter die Geschichte, sind mehr an einem Schuldspruch als an der Wahrheitsfindung interessiert. Gleiches gilt für den Richter, der die Verurteilung als bloße Formalität ansieht. Der letzte Zeuge, das auf einem Kriminalbericht von Maximilian Vernberg basiert ist dann auch eine unverhohlene, wenig subtile Anklage eines Systems. Die Suggestivfragen der Richter werden zwar nicht annähernd so absurd wie in Unter Verdacht: Ein Richter, das den Machtmissbrauch und die Willkürlichkeit eines Richters thematisierte. Unvoreingenommen ist er hier jedoch ebenso wenig.

Porträt einer Gesellschaft und deren Moralvorstellungen

Der letzte Zeuge ist dabei gleichzeitig auch ein Zeitdokument und Gesellschaftsporträt. Vor allem die moralischen Normen rücken dabei in den Fokus. So wird Bernhardy zur Last gelegt, sich mit mehreren Männern außerhalb der Ehe getroffen zu haben. Während Rameil jedoch kaum damit belastet wird, seine Frau betrogen zu haben, wird der Lebensstil der Verdächtigen ihr zum Verhängnis. Eine Frau, die mit mehreren Männern schläft? Die tötet bestimmt auch Kinder, so wird impliziert. Nicht dass es Stephan sehr viel besser ergehen würde. Der wird ebenfalls durch die Mangel genommen und vorverurteilt. So sehr, dass sein Leben ganz losgelöst von der Schuldfrage ruiniert ist. Ein Arzt, der eines Kindsmordes verdächtigt wird, ist in einem Krankenhaus nun einmal untragbar, egal ob er es nun getan hat oder nicht.

Das ist zum Teil eindrucksvoll gespielt. Man spürt die Verzweiflung der Figuren, deren Frust darüber, dass sie von niemandem ernst genommen werden. Vor Gericht gibt es zudem die eine oder andere intensive Gegenüberstellung. Inszenatorisch ist Der letzte Zeuge hingegen unauffällig, Regisseur Wolfgang Staudte (Die Mörder sind unter uns)  nutzt die Möglichkeiten eines Films kaum. Immer mal wieder schleicht sich sogar der Verdacht ein, das hier wäre eigentliche die Adaption eines Bühnenstücks. Dass ein Krimidrama nicht unbedingt Actionszenen oder dynamische Kameraspielereien braucht, ist klar. Ganz so schmucklos wie hier muss es dann aber auch nicht sein.

Für Krimifans weniger interessant

Während sich das noch relativ schleicht verschmerzen lässt, ist der Kriminalfall an sich eine ziemliche Enttäuschung. Die Geschichte ist umständlich konstruiert, die Wendungen zum Schluss geradezu absurd. Teilweise lässt sich das noch durch die damalige Zeit entschuldigen, in der manches schwieriger zu überprüfen war als heute. Dennoch: Die Auflösung ist nicht mehr als ein hastig zusammengestelltes Wegwerfprodukt. Wer sich Der letzte Zeuge anschaut, um ein bisschen zu rätseln, geht leer aus. Sehenswert ist der Film aber durchaus. Die beißende Anklage des Systems in Kombination mit der menschlichen Komponente sind noch immer interessant. Und obwohl sich in den letzten sechzig Jahren natürlich einiges geändert hat, sowohl in Bezug auf juristische Prozesse wie auch Moralvorstellungen, so hat der Film doch noch immer einiges zu sagen zu Vorverurteilungen und gegenseitigem Respekt. Und das ist bis heute aktuell.

Credits

OT: „Der letzte Zeuge“
Land: Deutschland
Jahr: 1960
Regie: Wolfgang Staudte
Drehbuch: Robert A. Stemmle, Thomas Keck
Vorlage: Maximilian Vernberg
Musik: Werner Eisbrenner
Kamera: Ekkehard Kyrath
Besetzung: Martin Held, Hanns Lothar, Ellen Schwiers, Jürgen Goslar, Adelheid Seeck, Werner Hinz, Lore Hartling

Bilder

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In „Der letzte Zeuge“ wird ein Säugling ermordet, die Verdächtigen werden von Polizei und Justiz vorverurteilt. Als Krimi ist der Film kaum interessant, gerade zum Ende enttäuscht der Fall. Als Zeit- und Gesellschaftsporträt sowie Anklage eines Systems, das sich nicht für die Wahrheit interessiert, ist der Film jedoch noch immer sehenswert.
7
von 10