The Other Side of the Mirror
© Antonia Kilian

The Other Side of the River

Inhalt / Kritik

„The Other Side of the River“ // Deutschland-Start: 27. Januar 2022 (Kino) // 17. Juni 2022 (DVD)

Mitte 2016 machte eine Flut von Bildern die Runde in den internationalen Medien. Gezeigt wurden die Einwohner der nordsyrischen Stadt Manbidsch, die nach mehr als zwei Jahren von der Kontrolle des IS befreit wurden durch kurdische Truppen. Symbolisch für den Wegfall der Scharia verbrannten Frauen ihre Gesichtsschleier und Männer schnitten ihre Bärte ab, Aspekte des öffentlichen Lebens, die Teil der Diktatur des IS waren. Es war ein Moment der Befreiung von einer repressiven Ideologie, der von vielen der Einwohner schon seit längerer Zeit sehnlichst herbeigesehnt worden war, doch der emotionale und psychologische Schaden in vielen Familien war groß. Die Geschichten, die sich die Überlebenden erzählten, zeigten nicht nur das Ausmaß des Unrechts und der Willkür, was sie durchgemacht hatten, sondern es wurde auch klar, welche nachhaltigen Wunden die Scharia hinterlassen hatte.

Diese Bilder und Nachrichten über den Vormarsch kurdischer Truppen beschäftigen viele Menschen im Westen, so auch Filmemacherin Antonia Kilian, die Teil einer Solidaritätsbewegung zur Unterstützung der Truppen war. Als Feministin war sie, wie sie beschreibt, fasziniert davon, dass die Truppen die Befreiung der Frauen anstrebte, die unter dem IS unterdrückt wurden, und sie begleitete Kämpferinnen des Rojava, einer autonomen, kurdischen Region Syriens, während ihrer Ausbildung und später bei ihren Einsätzen. Hierbei entstand das Material für die Dokumentation The Other Side of the River, der beispielsweise auf dem 36. DOK.fest München nominiert ist für den VFF Documentary Film Production Preis, für die Kilian Hala, eine neunzehnjährige junge Frau begleitete, die sich zur Kämpferin ausbilden ließ.

Die Kontrolle über mich

Während der erste, kürzere Teil von The Other Side of the River den Fokus legt auf die Ausbildung Halas für den Polizeidienst, konzentriert sich der zweite Teil auf ihre Einsätze in Manbidsch, ihrer Heimatstadt, und dem Konflikt mit ihrer Familie. Wie viele andere junge Frauen sollte auch Hala zwangsverheiratet werden, begehrte aber dagegen auf, was zum Bruch mit ihren Eltern führte und das Mädchen auf die andere Seite des Flusses, in diesem Falle des Euphrats, trieb, wo sie sich einer harten Ausbildung unterzog. Auch wenn sich Kilians vor allem auf Hala konzentriert, erscheint ihre Geschichte doch exemplarisch für viele junge Frauen in ihrem Alter, die es nicht länger hinnehmen wollen, dass ihnen die Kontrolle über ihr Leben und ihre Körper genommen wird.

Wie ihre Mitstreiterinnen findet Hala eine Freiheit, die sie in ihrer Familie nicht erlebte, und ist bereit, für diese zu kämpfen und, wie sie sagt, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass alle Frauen diese Freiheit erfahren können. Allerdings fordert dieser Kampf einen Tribut, wie insbesondere der zweite Teil der Dokumentation zeigt, der den Bruch mit Halas Familie genauer beleuchtet wie auch die Konflikte mit ihren Vorgesetzten innerhalb der Polizei. Die Bilder der Stadt, der Kontrast zwischen der einen Schwester, die sich für den Einsatz bereitmacht, und der anderen, die sich ein Brautkleid aussucht, deuten auf eine zentrale Frage hin, nämlich, inwiefern dieser Traum von Freiheit erfüllbar ist auf die Dauer. Kilians Dokumentation zeichnet sich in diesen Szenen durch ihre Ausgewogenheit aus, die, bei aller Sympathie für Hala, die Sichtweisen Anderer zulässt und diese beleuchtet. Die Frage nach der Freiheit stellt sich nicht nur für ihre Protagonistin, sondern auch für den Zuschauer, der den Idealismus bewundert, aber auf lange Sicht Zweifel an der Erfüllbarkeit hat.

Darüber hinaus ergeben sich an viele Stellen unerwartete Anknüpfungspunkte für den Zuschauer. Hala ist nicht nur als zentrale Figur, wegen ihres Enthusiasmus und ihrer Entschlossenheit, dem Betrachter sympathisch, sondern auch, weil sie in vielerlei Hinsicht Aspekte widerspiegelt, mit der selbst westliche Gesellschaften bisweilen hadern. Die Diskussion um Selbstbestimmung, wenn auch mit anderem Schwerpunkt, die sie mit ihren Freundinnen auf der Akademie hat, könnte man ohne Probleme auf andere kulturelle Kontexte übertragen.

Credits

OT: „The Other Side of the River“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Antonia Kilian
Drehbuch: Antonia Kilian, Guevara Namer, Arash Asadi
Musik: Shkoon
Kamera: Antonia Kilian

Bilder

Trailer

Interview

Antonia Kilian InterviewWie waren die Dreharbeiten von The Other Side of the River? Und wie sieht Freiheit in Syrien aus? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseurin Antonia Kilian in unserem Interview gestellt.

Filmfeste

CPH:DOX 2021
DOK.fest München 2021

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The Other Side of the River
Fazit
„The Other Side of the River“ ist eine interessante Dokumentation über den Kampf einer jungen Frau um Selbstbestimmung und Freiheit. Antonia Kilian zeigt die zwei Seiten dieses Kampfes, den Konflikt mit dem Patriarchat sowie die Erfüllung, die ihre Protagonistin empfindet, und schafft es immer wieder Anknüpfungspunkte zu finden oder zu betonen, inwiefern der Ruf nach Selbstbestimmung über die Landesgrenzen Syriens hinaus relevant ist.