Antonia Kilian Interview
© Antonia Kilian

Antonia Kilian [Interview]

Antonia Kilian ist eine deutsche Regisseurin, Kamerafrau, Künstlerin und Produzentin. Sie studierte Cinematography an der Film Universität Konrad Wolf Potsdam Babelsberg und Visuelle Kommunikation sowie Kunst und Medien an der Universität der Künste Berlin. Ihre Produktionsfirma Pink Shadow Films hat ihren Sitz in ihrer Heimatstadt Kassel. Sie arbeitete als Kamerafrau und Regisseurin an verschiedenen Produktionen wie beispielsweise für die Dokumentarfilme All Roads Lead to no Home (Regie: Afraa Batous) und A letter from Raqqa (Regie: Arash Asadi) oder Spielfilmen wie Der Freund (Regie: Dito Tsintsadze) und Blaue Stunde Sehnsucht (Regie Sophia Bösch). Kilian vereinte Kamera- und Regiearbeit für den Dokumentarfilm Stille Nacht (Regie: Antonia Kilian & Cora Hofmann) der den Willi-Münzernberg-Preis gewonnen hat sowie für die Kurzdokumentation 10 Jahre, die auf dem Dokumentarfilmfest Kassel für den Goldenen Herkules nominiert war. Darüber hinaus kreierte Kilian die Videoinstallation Die Asche soll unvermischt, rein und weißlich sein, die im Haus der Kulturen der Welt Berlin im Rahmen der Ausstellung Architektur und Ideologie zu sehen war.

In ihrem Langfilmdebüt als Regisseurin The Other Side of the River, bei dem sie auch als Produzentin und Kamerafrau tätig war sowie das Skript gemeinsam mit Arash Asadi und Guevara Namer schrieb, begleitet Kilian eine junge Syrerin auf ihrem Weg zu Selbststimmung und Freiheit, bei ihrer Ausbildung zur Polizistin und ihren ersten Einsätzen. Auf dem DOK.fest München wurde die Dokumentation mit dem VFF Dokumentarfilm-Produktionspreis ausgezeichnet.

Im Interview unterhalten wir uns mit ihr über die Inspiration für The Other Side of the River, ihre junge Protagonistin sowie über Werte wie Selbstbestimmung und Freiheit innerhalb der syrischen Gesellschaft.

Was war die Inspiration oder das ausschlaggebende Ereignis, auf dessen Basis The Other Side of the River entstand?

Zu Anfang wusste ich einiges  über die ideologische Ausbildung oder über das Frauenmilitär in den kurdischen Gebieten in Nord-Syrien, die Rojava genannt werden, in der Theorie auch über eine militante Befreiungsideologie und ich wollte der Frage nachgehen, wie dies nun in der Praxis aussieht. Besonders interessierte mich, welche Auswirkung eine solche Ausbildung auf das Leben einer jungen Frau hat, welche Spielräume sie für sich selbst erarbeitet und inwiefern sie sich emanzipieren kann. Und natürlich auch, wie die Gesellschaft diese Frauen sieht und behandelt, insbesondere deren Familien.

Der Grund, warum ich mich mit diesen Themen befasste, war, dass ich Teil einer deutschen Solidaritätsbewegung für die Rojava Revolution in Nord Ost Syrien  war. In den Jahren 2014 und 2015 gab es auf der ganzen Welt, vor allem aus politisch linken Kreisen, eine starke Solidaritätsbewegung und viel Unterstützung für die kurdische Revolution in Nord Ost Syrien. In Deutschland gab es viele Demonstrationen und Veranstaltungen, die Teil einer globalen Initiative waren. Das ging sogar soweit, dass sich viele sogenannte InternationalistInnen dem Kampf angeschlossen haben, also nach Syrien gegangen sind um zu kämpfen.

Ich stand dem Ganzen als eine Beobachterin gegenüber, fand die Ziele der Bewegung theoretisch gut, stellte mir aber auch die Frage, wie ich denn solidarisch zu etwas sein kann, wenn ich so wenig Konkretes weiß. Es ging mir zum einem darum, was Solidarität in der Praxis bedeutet aber auch, wofür genau wir da eigentlich auf die Straße gehen. Ich wollte einfach mehr über Rojava und die sogenannte Revolution der Frauen wissen. Das war der Anfang des Projekts. Ich bin dann nach Syrien gegangen und habe über ein Jahr dort gelebt.

Können Sie etwas zum Ablauf der Dreharbeiten sagen? Was waren besondere Herausforderungen, Hindernisse oder Momente?

Es ist schon insgesamt eine große Herausforderung, in einem Kriegsgebiet zu arbeiten und auch zu leben. Eigentlich wollte ich nur einen Monat dort bleiben, aber als ich dann Hala, die Hauptfigur in The Other Side of the River, kennenlernte, war mir klar, dass ich mehr Zeit dort verbringen würde. Als ich mit Hala darüber sprach, sagte sie, sie würde mir ihre ganze Geschichte erzählen, wenn ich länger in ihrem Land bleiben würde.

In der Folgezeit habe ich dann recht schnell ein Team gefunden, das mich über die Dauer der Produktion begleitet hat. Als Erstes kam Sevinaz Evdike, eine sehr talentierte, kurdische Filmemacherin, dazu, obwohl sie eigentlich eher an Spielfilmen arbeitet. Bei ihrer Familie lebte ich circa ein Jahr. Genauso hat mich Arash Asadi unterstützt, wurde zum Co-Autor und Cutter von The Other Side of the River. Als ich nach einem Jahr nach Deutschland wiederkam, lernte ich Guevara Namer kennen, mit der ich dann eine weitere Drehreise unternahm.

Gemeinsam nahmen wir uns dieses Projekt vor, aber es gab natürlich viele Herausforderungen trotz allem. Die größte war vielleicht, dass ich die Sprache nicht kannte und mir als Außenstehende ein sehr komplexes Thema vorgenommen hatte, wobei sich mein Wissen darüber, wie ich schon sagte, vor allem auf Theorie beschränkte. Diese komplexe politische und kulturelle Situation in ihrer Komplexität besser zu verstehen bildete den Ausgangspunkt wie auch die größte Herausforderung des Projekts.

Darüber hinaus ist natürlich die Realität des Krieges eine besondere Herausforderung. Die Stadt Manbij, in der wir drehten, war, als ich dort eintraf, gerade von den kurdischen Truppen vom IS befreit worden und die Sicherheitslage war noch sehr instabil. Ich konnte dort immer nur eine Woche pro Monat filmen, da es sonst zu gefährlich für mich geworden wäre.

Über das Jahr verteilt gab es immer wieder Situationen, die schwierig waren und welche man im fertigen Film nicht sieht. Das waren Alltagssituationen, die natürlich alle mit dem Krieg zusammenhingen.

Wie kamen Sie darauf, Hala zur zentralen Figur der Dokumentation zu machen?

Meine Absicht war es einen Abgleich zwischen Theorie und Praxis zu schaffen. Wie gesagt, ging es um die Freiheit von Frauen in Syrien.

Ich wusste, dass es verschiedene solcher Zentren oder Akademien gab, in denen die kurdischen Streitkräfte Soldatinnen und Polizeikräfte trainieren. Hala lernte in ich in der letzten Akademie kennen, die ich mir anschaute und es war vom ersten Moment klar, dass sie neugierig war und gerne gefilmt wurde. Sie kam direkt auf mich und meine Übersetzerin zu, wollte wissen, was mir in der Akademie machten und stimmte einem Interview zu. Zudem kam Hala aus Manbij, wo ich unbedingt drehen wollte.

Hala war bereit, mir ihre Geschichte zu erzählen und wollte gefilmt werden, sodass für mich klar war, dass ich mit ihr und an diesem Ort drehen wollte.

Darüber hinaus empfand ich die Akademie als einen visuell sehr ansprechenden Ort, sodass ich zunächst einmal dort blieb und viel dort drehte. Ich beobachtete die Ausbildung Halas und ihrer Freundinnen, was auch ohne viel zu übersetzen gut funktionierte.

Inwiefern könnte man sagen, dass Halas Geschichte exemplarisch für viele der jungen Kämpferinnen ist?

Natürlich ist sie individuell und ihre Geschichte, aber natürlich bietet sie Berührungspunkte mit anderen Erlebnissen. Viele Frauen haben dort schon Gewalt erlebt, unter anderem von Männern innerhalb ihrer Familie, in ihren Ehen oder eben im Krieg. In der Akademie, wo Hala ausgebildet wurde, gab es Frauen in ihrem Alter, die all das erlebt hatten, aber noch verheiratet waren, die teilweise von zu Hause weggerannt sind, aber von denen vielen auch noch bei ihrer Familie lebten. Teilweise ist die Emanzipation von der Familie nur ein Grund von vielen, denn der Gehaltsscheck, den man als Polizistin bekommt, ist natürlich auch sehr wichtig. Doch ich hatte schon das Gefühl, dass eigentlich alle von Halas Mitstreiterinnen etwas anfangen konnten mit der Idee der Frauenbefreiung.

In der Dokumentation geht es um Freiheit und Selbststimmung sowie den Kampf dafür. Inwiefern sind diese Werte im kulturellen Kontext Syriens einlösbar?

The Other Side of the River und die damit die Geschichte Halas beschreibt einen Prozess und weniger ein Ziel, bei dem man nach einer gewissen Zeit ankommt. Mir ging es darum, zu zeigen, was diese Konzepte wie Freiheit und Selbstbestimmung für eine Person bedeuten und welche Veränderungen sie in ihrem Leben auslösen können. Bezogen auf Hala würde ich sagen, dass diese Ideen ihr Leben auf jeden Fall verändert haben, da sich ihr plötzlich Freiräume ergaben, die es vorher nicht gab.

Das ist eine komplexe Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt, aber ich denke, dass es um einen Prozess geht, zu dem viele beitragen und für den viele kämpfen, innerhalb wie auch außerhalb von Syrien.

Inwiefern spiegeln Aspekte der Dokumentation die westliche Debatte um Feminismus und Gleichberechtigung wider?

Ich glaube, dass Feminismus und Frauenfreiheit keine westlichen, sondern vielmehr globale Diskussionen sind. Die Frage, welche Wege es gibt, diese Ziele zu erreichen, mögen je nach Land und Kultur unterschiedlich sein, aber letztlich sind dies keine westlichen Konzepte.

Nicht umsonst gibt es überall auf der Welt Bündnisse und Bewegungen, die sich für diese Ziele einsetzten und die sich deswegen verbinden lassen. In The Other Side of the River wird immer wieder betont, dass es nicht nur um die Frauen Syriens geht und deren Recht, sondern derer von Frauen überall auf der Welt.

Gewalt gegen Frauen spielt leider auch in Deutschland und in viele anderen Ländern eine Rolle. Ich kenne viele Frauen in Deutschland, die Gewalt in der Familie oder außerhalb derer, erfahren haben und die sich schämen, darüber zu sprechen, und die sehr viel mit dem Gedanken eines militanten Feminismus anfangen können, weil sie eine große Wut in sich tragen.

Natürlich befinden wir uns in Deutschland nicht in einem Kriegszustand, doch mit den Themen, die jemand die Hala oder ihre Freundinnen ansprechen, können wir auch hier sehr viel anfangen.

Gibt es Projekte, an denen Sie gerade arbeiten und über die Sie reden können/dürfen?

Zurzeit arbeite ich als Kamerafrau mit verschiedenen Regisseurinnen zusammen und bin an unterschiedlichen Projekten beteiligt. Für einen Dreh mit der Regisseurin Mala Reinhardt wollen wir im Sommer nach Ghana fahren und eine Geschichte einer jungen Frau erzählen, wobei es wie in The Other Side of the River um Identität und Selbstbestimmung geht, aber in einem ganz anderen Kontext.

Es gibt noch andere Projekte, aber da ist es noch zu früh, um öffentlich darüber zu sprechen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.



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