Ein Schritt zu viel
© HR/Bettina Müller

Ein Schritt zu viel

Kritik

Ein Schritt zu viel
„Ein Schritt zu viel“ // Deutschland-Start: 11. November 2020 (Das Erste)

Um ihr Jurastudium zu finanzieren, hat Nicole Lehnert (Lilith Häßle) kürzlich bei einem Escortservice angefangen. Dabei lernt sie eines Abends den Banker Friedrich Benning (Nicki von Tempelhoff) kennen, der trotz des großen Altersunterschiedes sich sofort in die junge Frau verliebt. Und so bietet er ihr an, ihr den Lebensunterhalt zu finanzieren, bezahlt ihre Wohnung, kauft ihr sogar Kleidung. Dafür muss sie im Gegenzug nur auf ihre Arbeit als Escort verzichten. Das geht eine Weile gut. Doch mit der Zeit fühlt sich Nicole immer unwohler in diesem Arrangement – vor allem als sie Josch (Daniel Sträßer) kennenlernt und sich in ihn verliebt …

Wenn ein älterer Mann und eine jüngere Frau zusammenkommen, dann ist da meistens Geld im Spiel – so zumindest das Vorurteil. Ein Schritt zu viel bekräftigt dieses, indem ein geschiedener Banker sich in eine Escortdame verliebt, die seine Tochter sein könnte, und versucht durch finanzielle Zuwendungen ihre Zuneigung zu kaufen. Das kann man dann erbärmlich finden, sowohl in Bezug auf den Mann wie auch die Frau, die sich darauf einlässt. Vielleicht sogar verabscheuungswürdig. Oder eben tragisch, wenn jemand, der finanziell alles erreicht hat, am Ende doch so unglücklich und einsam ist, dass er nur auf diese Weise noch Beachtung findet.

Wie konnte das nur passieren?
Bevor man aber überhaupt an diesem Punkt ankommt, dauert es eine Weile. Ein Schritt zu viel spannt das Pferd von hinten auf, indem wir zum Einstieg vom Tod von Josch erfahren und den beginnenden Ermittlungen, wie es dazu kam. Das hört sich eigentlich nach einem Krimi an, ist es aber nur zum Teil. Die Frage, wer für den Tod verantwortlich war bzw. ob es überhaupt ein Mord war, die wird zwar von der Polizei gestellt. Und natürlich soll damit auch die Neugierde des Publikums geweckt werden, das ganz gerne die Hintergründe erfahren möchte. Im Mittelpunkt steht diese Frage aber nicht. Vielmehr interessiert sich der Film für das schwierige Verhältnis zwischen den beiden Figuren, beleuchtet es von der ersten Begegnung bis zum tragischen Ende.

Ob es unbedingt diese Erzählstruktur gebraucht hätte, darüber kann man sich streiten. Der Strang in der Gegenwart ist sehr dünn, es dominieren Flashbacks, die chronologisch angeordnet sind und nach und nach verraten, worum es überhaupt geht. Der einzige Punkt, an dem diese Erzählweise tatsächlich etwas bringt, sind die Szenen, welche ein Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zeigen. Denn auch wenn man anfangs meint, als Zuschauer eigentlich schon alles zu wissen, was es zu wissen gibt: Ein Schritt zu viel belehrt einen eines Besseren. Tatsächlich ist die Stärke des Films, dass die klare Eingrenzung in Gut und Böse, die bei solchen Geschichten gern angewendet wird, so nicht stattfindet. Friedrich ist eben nicht allein der psychopathische Stalker, der eine junge Frau terrorisiert. Umgekehrt ist auch an Nicole und Josch mehr dran.

Von Gier und fehlenden Grenzen
Insgesamt ist Ein Schritt zu viel dann auch ein sehr düsteres Drama, in dem keiner gut wegkommt. Die Figuren werden mit der Zeit so unsympathisch, getrieben von Gier und ohne Respekt für den anderen, dass man eigentlich mit niemandem mehr etwas zu tun haben will. Mitfiebern ist unter solchen Bedingungen natürlich schwierig. Es spielt dann nicht einmal mehr eine wirkliche Rolle, wer zum Schluss was getan hat. Da helfen auch die diversen Wendungen nicht mehr, wenn das Publikum noch ein bisschen länger an der Nase herumgeführt werden soll.

Das ist Teil eines allgemeinen Problems: Das Drehbuch trägt ziemlich dick auf. Die anfängliche Situation zwischen Banker und Escortdame ist schon nicht die glaubwürdigste. Später eskaliert das noch auf eine Weise, wie man es von einem Schundroman erwarten würde. Die an und für sich interessanten Überlegungen zu Abhängigkeit, gerade auch einer emotionellen, kommen dadurch recht kurz. Der Film ist keiner, der einen im Anschluss noch irgendwie zum Nachdenken auffordern würde oder etwas Relevantes zu sagen hätte. Ein bisschen Entsetzen über das Verhalten der Menschen muss reichen.

Credits

OT: „Ein Schritt zu viel“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Katharina Bischof
Drehbuch: Ulli Stephan
Musik: Richard Ruzicka
Kamera: Johannes Monteux
Besetzung: Lilith Häßle, Nicki von Tempelhoff, Daniel Sträßer, Amanda da Gloria, Antonia Bill, Philip Dechamps

Bilder



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„Ein Schritt zu viel“ beginnt mit der Leiche eines Mannes und erzählt dann anhand von Flashbacks, wie es dazu gekommen ist. Der Film ist dabei aber weniger Krimi als vielmehr Psychodrama um zwei Menschen, die von einer finanziellen bzw. emotionalen Abhängigkeit geprägt sind. Das spielt zum Teil gut mit den Erwartungen des Publikums, wird irgendwann aber einfach zu viel.
6
von 10