Das deutsche Kettensägenmassaker Christoph Schlingensief
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Das deutsche Kettensägenmassaker

Kritik

Das deutsche Kettensägenmassaker Christoph Schlingensief
„Das deutsche Kettensägenmassaker“ // Deutschland-Start: 29. November 1990 (Kino) // 23. Oktober 2020 (DVD)

Nur wenige Stunden nach der Wiedervereinigung verschlägt es Clara (Karina Fallenstein) in den Westen, wo sie hofft, ihren Liebhaber (Artur Albrecht) zu treffen. Doch ihr Treffen findet ein jähes Ende, als ihr Liebhaber von einem Fremden ermordet wird und Clara in letzter Minute die Flucht gelingt. Es verschlägt sie zu einer Pension, die von einer westdeutschen Metzgerfamilie geleitet wird, wo es allerdings auch keine Ruhe gibt für die Verfolgte. Nicht nur muss sie sich den Avancen der lesbischen Margit (Susanne Bedehöft) erwehren, sie findet auch heraus, dass die Wurst, welcher der Betrieb, geleitet von Henk (Volker Spengler) und Dietrich (Dietrich Kuhlbrodt), herstellt, aus Menschenfleisch gemacht wird. Gerade jetzt, wo immer wieder ostdeutsche Familien in der Pension einkehren, hat die Familie allerhand zu tun. Hinter den Kulissen der Familie brodelt es allerdings, denn die Führung des Betriebs durch Henk wird infrage gestellt, besonders, da er behauptet, den Willen des Vaters, mit dem nur er reden darf, auszuführen. Immer mehr verstrickt sich die Familie in einem internen Konflikt, sodass sich für Clara die Möglichkeit zur Flucht ergibt.

Kannibalische Bilder
Inspiriert von Tobe Hoopers The Texas Chain Saw Massacre und dessen Fortsetzung, die er in seinem mitbegründeten Kino in Mülheim an der Ruhr zeigte, inszenierte Regisseur Christoph Schlingensief 1990 den zweiten Teil seiner Deutschland-Trilogie nach 100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker. Entstanden ist dabei ein Film, der den Ruf Schlingensiefs als Provokateur manifestierte und noch Jahre nach seinem Erscheinen für Gesprächsstoff sorgte, wobei die Inszenierung vor allem vor dem Hintergrund von Schlingensiefs Idee der Offenlegung der Inszenierung dienen sollte, nicht nur des Films als Konstrukt, sondern auch des politischen Aktes der Wiedervereinigung.

Zu Beginn von Das deutsche Kettensägenmassaker stehen die wahrscheinlich vielen Zuschauern bekannten Bilder der Wiedervereinigung, die Szenen vor dem Reichstag, das Singen der Hymne, das Feuerwerk sowie der Autokorso gen Westen, bevor die Handlung in einer graue, stillgelegte Industrieanlage wechselt, in der sich der Rest des Films abspielen wird. Jene Harmonie und Einigkeit, die man in den ersten Bildern gesehen hat, sind der Grundstein des Films und werden nun in ihre Einzelteile zerlegt oder, um es in der Logik des Films zu sagen, zu Wurst verarbeitet. Die Anfangsbilder legen den Grundstein für jenen kannibalistischen Akt, der sich in der Handlung des Films wiederholt, eine Vorwegnahme der Einverleibung des Ostens durch den Westen.

Deutsches Land, Deutsche Wurst
Das harmonische Singen mutiert in der Inszenierung Schlingensiefs zu einem hysterischen Kreischen oder dem mechanischen Aufheulen der Kettensäge. Immer mehr gleitet die Handlung in eine Art Albtraum ab, einen Strom der Bilder, des Ekels, der Wut und der Gewalt. Dies ist, selbst bei einer vergleichsweise kurzen Laufzeit von einer Stunde, sehr fordernd und teilweise schwer auszuhalten, was der Intention des Regisseurs nahekommt, welcher die Wiedervereinigung als jenen kannibalistischen Akt sieht, der eigentlich mehr verstören sollte. anstatt zu inszenierter Freude und Harmonie zu führen.

Die Mischung aus Satire und Horror kommt jenem Schrecken nahe, der auch den Kern von Tobe Hoopers Werk ausmacht. Darüber hinaus verfolgt der sich steigernde Grad der Überhöhung im Schauspiel und in der Bilderwelt einer Struktur, die auf einer Zerfleischung der Inszenierung hinausläuft, bei der am Ende nur der Ekel und der Widerwillen stehen kann. Von daher ist Das deutsche Kettensägenmassaker keinesfalls nur reine Provokation, die ins Leere läuft, sondern eine, die eine Reaktion erzwingt, ein Reagieren auf die Bilder, anstatt diese einfach nur hinzunehmen.

Credits

OT: „Das deutsche Kettensägenmassaker“
Land: Deutschland
Jahr: 1990
Regie: Christoph Schlingensief
Drehbuch: Christoph Schlingensief
Musik: Jacques Arr
Kamera: Christoph Schlingensief, Voxi Bärenklau
Besetzung: Karina Fallenstein, Susanne Bredehöft, Artur Albrecht, Volker Spengler, Alfred Edel, Brigitte Kausch-Kuhlbrodt

Bilder

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„Das deutsche Kettensägenmassaker“ ist ein verstörender Film, ganz im Sinne des Konzepts Christoph Schlingensiefs, man solle durch Überhöhung die Inszenierung für den Zuschauer sichtbar machen. Mag es auch eine Frage des Geschmacks sein, ob man sich diesem wie immer sehr eigenwilligen Werk des Regisseurs nähern will, so ist doch klar, dass es sich hier um eine Diskussion des Aktes der Wiedervereinigung handelt, die mit Blick auf die Unterschiede zwischen Ost und West heute durchaus eine gewisse Relevanz hat.
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von 10