Body of Truth
Szenenbild aus dem Dokumentarfilm "Body of Truth" von Evelyn Schels (© Börres Weiffenbach)

Evelyn Schels [Interview]

Am 10. September 2020 startet – wegen Corona um fast sechs Monate verschoben – der Dokumentarfilm Body of Truth, in dem sich Evelyn Schels mit den Künstlerinnen Marina Abramović, Sigalit Landau, Shirin Neshat und Katharina Sieverding befasst. Das Ausdrucksmittel dieser Künstlerinnen ist das Persönlichste, was sie haben: ihr eigener Körper. Der Film feierte auf dem Filmfest Hamburg 2019 seine Deutschland-Premiere und seine internationale Premiere auf dem DOC NYC Festival sowie dem Kasseler DOK Fest. Mit der Regisseurin unterhalten wir uns über die Produktion von Body of Truth, über die Zusammenarbeit mit den einzelnen Künstlerinnen und den Schnitt des Films.

Wie kam es zu dem Projekt?
Zunächst einmal ist es mir wichtig zu erwähnen, dass ich für Body of Truth den gleichen Ansatz gewählt habe wie bei Georg Baselitz (2013). Es sind beides Filme, die jeder verstehen kann und die kein Wissen über Kunst voraussetzen. Man muss sich einfach nur auf den Film einlassen.

Die Idee zu dem Film entwickelte sich in den Jahren 2012/13. Damals sah ich sehr viele avantgardistische Tanzdarstellungen in Paris, in denen gerade Frauen sehr extrem mit ihrem Körper umgegangen sind. Ich habe dann recherchiert, wie der Umgang mit dem Körper in der Bildenden Kunst aussieht und schnell festgestellt, dass es tendenziell mehr Frauen sind, die sich mit ihrem Körper auseinandersetzen.

Das war, wenn man so will, die „Geburtsstunde“ des Films. Ich habe mich dann mit den Pionierinnen auf diesem Gebiet befasst, Künstlerinnen wie Gina Pane oder Hannah Wilke, und wie diese den Körper thematisieren, wie sie ihn inszenieren und zur Bühne machen sowie welche Rolle die gesellschaftliche Funktion der Frau in ihren Darstellungen spielt.

Auf diesem Wege bin ich dann schnell zu Marina Abramović gekommen, die ihren Körper bereits in ihren ersten Performances in den 1970er Jahren zum künstlerischen Material gemacht hat und entdeckte dann ein Buch über Shirin Neshat, in welchem Abramović ein Vorwort, einen „Letter to Shirin“ geschrieben hatte. In diesem entdeckte ich viele Gedanken über den radikalen Umgang mit dem Körper, was mir Impulse gab.

Darüber hinaus fand ich die unterschiedlichen Ansätze der Künstlerinnen interessant. Während die Abramovic einen sehr direkten Ansatz verfolgt und ihren Körper beispielsweise mit einer Rasierklinge verletzt, gehen Künstlerinnen wie Neshat sehr viel verhaltener mit diesem Thema um, schlüpfen in Rollen, wie die einer Gotteskriegerin, wobei sie einen hoch ästhetisierten Ansatz verfolgen. Hinzu kommen bei Shirin Neshat die Kalligraphien auf ihren Werken wie Gedichte von iranischen Dichterinnen, die den Staat kritisieren.

Mit der Zeit hat sich dann eben jener Film herauskristallisiert, den Sie bereits gesehen haben.

Nachdem Sie nun schon gesagt haben, wie Sie zu Frau Abramović und Frau Neshat gekommen sind, können Sie noch erklären, wie Sie zu Katharina Sieverding und Sigalit Landau gekommen sind?
Über die Recherche bin ich natürlich auf einige Namen gestoßen, von denen ich viele kannte und auch in Erwägung zog. Natürlich kam ich bei meiner Suche auf Sigalit Landau, die mir schon vorher durch ihre Arbeiten wie  „Barbed Hula“ aufgefallen war.

Doch dann habe ich mich gefragt, wie dieses Thema in der deutschen Kunstszene behandelt wird, was mich zu Katharina Sieverding brachte, die wiederum ganz anders damit umgeht. Für sie ist der Kopf das Zentrum des Denkens und des Fühlens, wobei eine direkte Auseinandersetzung, sich selbst verletzen wie Marina Abramović, für sie nicht in Frage kommt.

Mir wurde mit der Zeit klar, dass das Projekt mittlerweile eine politische Dimension hatte. Die Verwundungen des Körpers, die im Mittelpunkt des Schaffens aller vier Künstlerinnen stehen, haben eine tiefe biografische wie auch zeitgeschichtliche Relevanz. Diese Verbindung in Zusammenhang mit dem Thema Körper wurde für mich und mein Team dann das überzeugende Konzept des Films.

Das ist gerade das Interessante an dem Film. Wenn wir ganz zu Anfang Performances von Marina Abramović sehen, folgt dann der Schnitt zu Katharina Sieverding, die, ohne direkt auf Frau Abramović Bezug zu nehmen, sagt, für sie käme ein solch direkter Umgang gar nicht in Frage.
Verbunden sind alle vier Künstlerinnen in ihrem Werk und ihrer Biografie durch die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Lebensgeschichten, das Werk sowie der zeitgeschichtliche Kontext stehen im Film miteinander  in einem Dialog.

Marina Abramović ist das Kind einer „Kriegsliebe“: Ihre Mutter rettete ihren Vater, der am Verbluten war, mit ihrem Blut. Im Film sagt sie, dass mit dem Ende des Krieges dann auch das Ende dieser Liebe erreicht war, was sie dann wiederum zu spüren bekam über die strenge Erziehung ihrer Mutter.

Katharina Sieverding kam im von den Nationalsozialisten besetzen Prag zur Welt, als Tochter eines Arztes und hat sich ihr Leben lang mit dem Thema Faschismus befasst.

Sigalit Landau entstammt der zweiten Generation Holocaust-Überlebender und befasst sich mit dieser Thematik in ihrer Kunst. Wenn man dann noch einen Schritt weiter geht und den Aufstand gegen den Schah 1967 in den Fokus rückt sowie die 68-Revolution, ist man bei der Islamischen Revolution angelangt und damit beim Werk von Shirin Neshat.

Man sieht also, wie die Geschichten dieser vier Frauen und ihrer Werke miteinander verbunden sind.

Wie haben die vier Frauen auf das Projekt reagiert?
Sehr positiv, von Anfang an. Mit Shirin Neshat und Marina Abramović habe ich bereits sehr früh über das Projekt diskutiert, doch es war von da an noch immer ein langer Weg, das Projekt auf die Beine zu stellen. Alle vier Künstlerinnen haben mich unterstützt und waren sehr geduldig, vor allem da ja lange in der Schwebe war, ob ich die nötigen Mittel für den Film bekommen würde. Sie müssen verstehen, dass ich in der Zeit vor #MeToo sehr viele Absagen von Produzenten bekam, die meinten, ich würde mit den Themen Frauen und Kunst lediglich ein kleines Spartenpublikum bedienen. Erst 2015, als ich mit der Firma Indi Film zusammenkam und Produzentin Sonia Otto von dem Thema begeistert war, bekamen wir die nötigen Mittel für das Projekt.

Alle Künstlerinnen hatten großes Verständnis für die Hürden, die das Projekt nehmen musste, bevor die Finanzierung Anfang 2018 stand. Marina Abramović sagte mir in diesem Zusammenhang einen schönen Satz, den sie als Credo für ihre eigenen Projekte nutzt: „A No is for me just a beginning.“ („Ein Nein ist für mich erst der Anfang.“). Sie alle kennen das Problem, für ihre Projekte Absagen zu erhalten und kämpfen zu müssen trotz ihrer Bekanntheit.

Das glaube ich. In  der Dokumentation zu ihrem Werk The Artist is Present bekommt man einen Eindruck, welche organisatorischen und finanziellen Hürden ein solches Projekt nehmen muss.
Das stimmt, aber zu dem Zeitpunkt, als mit der Dokumentation begonnen wurde, stand das Projekt ja schon. Sie wusste, dass sie es machen kann, aber es braucht schon sehr viel Ausdauer, bis man zu diesem Punkt kommt. Beispielsweise arbeitete Shirin Neshat sehr lange an ihrem zweiten Spielfilm nach Women Without Men (2009) und musste immer wieder neue Hürden überwinden.

Warum ist bei einem Projekt wie Body of Truth der Schnitt in Ihrem Augen am schwierigsten?
Natürlich entwickelt man ein dramaturgisches Konzept, aber das schmälert nicht die Herausforderung das Werk und die Biografien von vier Künstlerinnen unter einem thematischen Fokus miteinander zu verbinden. Diese verbindenden Elemente zwischen ihnen zu finden, ihre Werke und Geschichten in einen sinnstiftenden Dialog zu setzen, ist ein langer, schöpferischer Akt. Der Schnitt ist für mich immer ein intensiver Prozess.

Wenn man davon ausgeht, dass Body of Truth ein Film sein soll, der von jedem verstanden werden kann und soll, haben wir, so glaube ich, die bestmögliche Form gefunden. Alles weitere hängt davon ab, ob man bereit ist, sich auf die Geschichten dieser vier Frauen einzulassen.

Viel von der Faszination des Films sowie dessen Charme geht von Szenen aus wie der Begegnung von Shirin Neshat und Marina Abramović oder der Szene, die Sigalit Landau auf dem Friedhof zeigen. Wie sind diese Szenen entstanden?
Die entstehen vor allem im Dialog. Sigalit Landau habe ich mehrere Male in Tel Aviv besucht und wir haben über vieles gesprochen, wobei mit bewusst wurde, dass ihre Mutter ein wichtiger Aspekt ist, was ich natürlich gerne vertiefen wollte. Sie fragte dann von sich aus, ob wir nicht einmal zu diesem Friedhof fahren sollen, auf dem ihre Mutter beerdigt wurde.

Wenn sie am Grab ihrer Mutter steht, gibt ihr das eine große Wärme und man entdeckt die Verbindung zu ihrem Werk, gerade bei ihren Arbeiten, die am Toten Meer entstanden. Man spürt, dass es um die Verarbeitung von Trauer geht, aber auch um ein Finden von sich selbst. Hier steht das Werk im direkten Dialog mit der eigenen Geschichte.

Im Falle von Shirin Neshat und Marina Abramović wusste ich, dass beide sich schon sehr lange kannten und ich es hielt es für richtig, dass sie sich im Film auch begegnen sollten. Der Ausflug der beiden auf dem Schiff war dann mein Vorschlag und ich freute mich sehr, dass sie da mit machten.

Auch die Szenen, die Shirin Neshat beim orientalischen Tanz zeigen, sind im Gespräch mit ihr entstanden. In einer frühen Phase des Projekts erzählte sie mir, dass sie Oriental Dance machte und als wir dann drehten, haben wir sie dabei begleitet. Ich mag diese Szene, weil wir sie sowie ihren Körper noch einmal auf eine ganz andere Weise sehen.

Für all diese Szenen ist der Dialog, aber auch das Vertrauen zueinander wichtig, aber das war eigentlich von der ersten Minute an da.

Wie waren die bisherigen Reaktionen auf den Film?
Super. (lacht) Als besonders intensiv habe ich die Vorstellung während des DOC NYC in Erinnerung, zu der ich gerade meine paar Freunde und Bekannte in New York einlud, die aber erfreulicherweise ausverkauft war. Im Publikumsgespräch haben die Zuschauer sehr viele interessante Fragen gestellt, waren sehr neugierig und haben ihre Wertschätzung für den Film ausgedrückt. In Kassel und in Hamburg hatten wir ähnliche Erlebnisse. Das International Festival of Films on Art in Montreal fand leider bereits online statt.

Ausgehend von dem Titel des Films würde ich Sie gerne fragen, welche Wahrheit denn in Ihren Augen über den Körper in den Werken der vier Künstlerinnen transportiert wird?
Ich denke, dass mich am meisten bewegt hat, wie diese vier Frauen über ihre Kunst ihre Verletzlichkeit preisgeben und damit umgehen. Diese Verletzlichkeit betrifft uns eigentlich alle, denn über die Werke dieser Künstlerinnen erhalten wir eine Art Projektionsfläche für unsere eigenen Ängste.

Wenn wir Sigalit Landau ans Tote Meer begleiten, fasziniert mich dieser Schaffensprozess, der von einer vagen Idee ausgeht, noch entfernt von einer konkrete Vorstellung. Sie wusste gar nicht, was aus dieser Idee an diesem Ort entstehen kann und der Weg von dieser Idee zu einem immer mehr sich konkretisierenden Gedanken bis hin zu einem Projekt, hat mich sehr bewegt.

Natürlich ist unser Körper sehr widerstandsfähig und kann auch von allein heilen, aber dann ist er auch wieder sehr verletzlich, wie wir gerade jetzt in dieser Zeit der Pandemie sehen. Diese Wahrheit können alle vier Künstlerinnen auf sehr eindrucksvolle Weise transportieren.

Vielen Dank für das sehr anregende Gespräch.

Evelyn Schels
© Daniel Tschitsch
Zur Person
Die in München geborene Dokumentarfilmerin Evelyn Schels entdeckte ihre Liebe zum Film als Studentin in Paris, wo sie dem legendären Filmemacher Georg-Stefan Troller begegnete, dessen Film-Porträts sie begeisterten. Nach ihrem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte begann sie für verschiedene Sender der ARD und Arte zu arbeiten. Ihr erstes Film-Porträt war über den französischen Star-Regisseur Patice Chéreau. Es folgten Filme über Luc Bondy, Per Kirkeby, Jean Tinguely, Amedeo Modigliani, Pola Kinski und weitere. 2013 startete ihr Dokumentarfilm über den weltberühmten Künstler Georg Baselitz in den Kinos.



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