Junun

Junun

Kritik

Junun
„Junun“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

In diesem simpel aufgebauten Dokumentarfilm, der an eine Behind-The-Scenes-Montage erinnert, folgen wir dem israelischen Musiker Shye Ben-Tzur, dem vor allem durch seine Arbeit mit Radiohead bekannten britischen Multiinstrumentalisten Jonny Greenwood und dem indischen Ensemble Rajasthan Express auf einer transzendenten Reise bei den Aufnahmen ihres Albums Junun.

Wer den Regisseur Paul Thomas Anderson (There Will Be Blood, Der seidene Faden) kennt, der weiß, dass er schon immer ein ganz besonderes Händchen für Musik in seinen Spielfilmen hatte. Mit langen Takes und simplen Kameraeinstellungen ließ er dem Klang des Soundtracks einigen Spielraum, nutze ihn als klares Stilmittel, um seine Geschichten über Einsamkeit und Reue wortlos zu erzählen.

Mut zur Ruhe
Einen ähnlichen Ansatz verfolgte er auch hier. Der Dokumentarfilm nutzt ein einfaches Mittel, um dem Zuschauer die Virtuosität der Musiker nahezubringen: Zeit. Keine hektischen Schnitte oder Erklärungen rund um die Recording Sessions in der Festung Mehrangarh im indischen Staat Rajasthan, kaum Dialoge oder Ortswechsel. Dieser klare Fokus auf der stimmungsvollen und der westlichen Welt so fremden Musik ist ein erfrischender Ansatz in einer Zeit der schwindenden Aufmerksamkeitsspannen durch das übermäßig große Angebot an visuellen Reizen. Diese interessant in Szene gesetzte Erzählung schafft es, ohne je eine Wertung oder Statement des Gesehenen und Gehörten zu bekunden, dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, sich in Echtzeit eine Meinung zu bilden.

Wenn man sich ein Leben lang an westliche Popmusik und Kultur gewöhnt hat, fällt der Umstieg auf Neues und fast schon Befremdliches recht schwer. Würde man etwa einen der Songs von Junun in der Zufallswiedergabe seines angetrauten Streaminganbieters entdecken – man würde irritiert zum nächsten Lied springen. Zu anders sind die Melodien, die Instrumente und Songstrukturen. Doch innerhalb dieser 54 Minuten in einer anderen musikalischen Blase fühlt man sich plötzlich doch etwas zu Hause, wenn man dem Ganzen eine Chance gibt.

Ungewohnter Mix
Beschäftigt man sich mal etwas mit traditionell indischer Musik, fällt auf, dass diese den Klängen in Junun zwar ähneln, aber sich nicht in dieses Bild einfügen lassen wollen. Durch den prominenten israelischen Gesang von Komponist, Sänger und Gitarrist Shye Ben-Tzur weht ein etwas anderer Wind in den Festungsmauern über der Stadt Jodhpur und auch der visuell seltsam fehl am Platz wirkende Computer/Drum Machine von Jonny Greenwood trägt seinen Teil dazu bei, hier experimentelles Gebiet zu betreten. Die Kombination aus orientalischen Gesängen, Instrumenten aus untypischen Hölzern und westlichen Tonleitern auf dem elektronischen Bass sorgen für ein einzigartiges Feuerwerk aus Melancholie und Hoffnung.

Faszinierend ist auch die Hintergrundgeschichte, die in den wenigen Ortswechseln erzählt wird, bei denen man Musiker des Rajasthan Express dabei begleitet, wie sie in den engen Gassen in kleinen Musikgeschäften ihre Instrumente stimmen lassen und zwischen den Menschen im spürbaren Rush des Alltags verschwinden. Das indische Ensemble besteht im Übrigen aus Menschen verschiedener Kasten und Religionen – ein beeindruckend progressives Unterfangen in der traditionell verschlossenen Gesellschaftsordnung, welches sich merklich in der gemeinsam konzipierten Musik widerspiegelt. Hier scheint mit einer neuen Sprache kommuniziert zu werden, außerhalb der Normen der Gesellschaft.

Ein Projekt unter Strom (manchmal)
Was in den Räumlichkeiten der Festung allerdings nicht in der Magie des Augenblicks in den Hintergrund rückt, sind technische Schwierigkeiten bei den Aufnahmen durch – Stromausfälle. Die überlastete Infrastruktur scheint manchmal das kollektive Schaffen gefährlich sabotieren zu wollen. Hier kommt ein Teil der wenigen gesprochenen Worte zum Einsatz: „Der Generator ist an, ihr habt 10 Minuten – fangt besser an!“ Aber was wäre schon ein kreativer Prozess ohne Konflikt und Hindernisse? Gerade durch diesen Druck offenbart sich die Professionalität der Crew, Produzenten und Musiker vor Ort. Hier ist kein Platz für Scheitern, zu weit sind sie alle gekommen, um hier gemeinsam ihrer größten Leidenschaft nachzugehen.

Ein weiser Mann des Rajasthan Express paraphrasiert wundervoll nicht nur das gefilmte Unterfangen, sondern auch die Essenz des spirituell reichen Lebens vor Ort: „Alles ist möglich in Indien. Keine Toilette, keine Dusche, aber 24 Stunden volle Energie.“

Credits

OT: „Junun“
Land: USA
Jahr: 2015
Regie: Paul Thomas Anderson
Musik: Shye Ben-Tzur, Jonny Greenwood, Rajasthan Express
Kamera: Paul Thomas Anderson, Nigel Godrich, Sharona Katan, Ian Patrick, Arne Warmington

Trailer

Filmfeste

International Film Festival Rotterdam 2016

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Ein Dokumentarfilm der etwas anderen Art. Mit Sound Engineers auf der Jagd nach Tauben, die sich während den Takes auf dem Equipment niederlassen und einfachen, frei zur Interpretation eines jeden Zuschauers belassenen, Bildern ist es definitiv ein Must-See für Musikbegeisterte, auch wenn die Machart nicht jeden ansprechen wird. Gerade erfahrene Dokumentarfilmfans werden der simplen Struktur mit weniger emotionalen Tiefe oder Storytelling nicht viel abgewinnen können.