Diego Maradona
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Diego Maradona

Diego Maradona
„Diego Maradona“ // Deutschland-Start: 5. September 2019 (Kino) // 15. November 2019 (DVD/Blu-ray)

Der Brite Asif Kapadia hat sich durch die preisgekrönten Dokumentarfilme Senna (2010) bzw. Amy (2015) einen Namen gemacht. Genau wie beim Rennfahrer Ayrton Senna und der jung verstorbenen Musikerin Amy Winehouse handelt es sich bei Diego Maradona – obgleich noch quicklebendig – um eine tragische Figur zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Spott und Heiligenverehrung. Genau dieses Spannungsfeld ist es, das ihn so aufregend macht.

Diego (vs.) Maradona
Der Dokumentarfilm Diego Maradona, der bei den Filmfestspielen von Cannes 2019 Premiere hatte, beleuchtet eine Dichotomie, die beinahe schizophrene Koexistenz von Diego und Maradona. Die Privatperson Diego ist labil und unsicher. Maradona ist die Kunstfigur, die Diego zum Selbstschutz entwirft und die zusehends ein Eigenleben entwickelt, dem nur mehr schwer Herr zu werden ist. Zu diesem Zweck konzentriert sich der Film nicht so sehr auf Maradonas kometenhaften Aufstieg vom Wunderkind in seiner argentinischen Heimat zum vielleicht besten Fußballer aller Zeiten, sondern speziell auf seine Zeit beim SSC Neapel (1984 – 1991). Der Wechsel vom großen FC Barcelona zum damals höchstens mittelmäßigen Napoli war ein vermeintlicher Rückschritt, sorgte jedoch dafür, dass Maradona zur Legende wurde.

Erzählerisch ist es ein schlauer Schachzug von Kapadia, nicht einfach die Lebensgeschichte nachzuerzählen, sondern sich auf eine prägende Periode zu konzentrieren. Ausgehend davon gibt es gelegentliche Rückblenden, die Maradonas Kindheit und Jugend beleuchten. Maradona stammt aus ärmsten Verhältnissen, wuchs in einem Slum von Buenos Aires auf, der Fußball war sein (vielleicht einziger) Ausweg – ein Szenario wie gemalt für eine klassische rise-and-fall-Dramaturgie, der sich der Film denn auch nicht gänzlich verschließen kann oder will. Den Zuschauenden drängt sich im Verlauf des Films die Frage auf, ob es den sensiblen Diego hinter der Fassade und dem Starkult überhaupt noch gibt. Maradona ist ein Selbstdarsteller, der den Rummel um seine Person durchaus genießt, der aber auch eine selbstzerstörerische Ader in sich trägt und der am gewaltigen Leistungsdruck zu zerbrechen droht.

„Wenn Kokain eine Droge ist, bin ich drogenabhängig.“
Das mediale Dauerfeuer weiß der Film geschickt und medienreflexiv einzusetzen. So arbeitet Kapadia – in Bezug auf Maradona – ausschließlich mit Archivaufnahmen (davon viel Video- und Super-8-Material) und zeitgenössischen Interviewausschnitten, was in Verbindung mit dem passenden Soundtrack für eine sehr zeitgeistige 80er-Jahre-Atmosphäre sorgt. Hinzu kommen Einordnungen von Experten, Historikern und Journalisten per voice-over, Clips aus Nachrichtensendungen und TV-Shows sowie Mitschnitte polizeilicher Abhöraktionen. Das Vorgehen verleiht dem Film etwas Collageartiges, das durchaus zu gefallen weiß. Angenehm ist außerdem der bewusste Verzicht auf die sonst obligatorischen talking heads.

Trotz einiger interessanter Strategien ist Diego Maradona insgesamt aber ein recht konventioneller Dokumentarfilm – was ja nichts schlechtes sein muss. Weiterhin gibt sich  Kapadia Mühe, auch das zeitgenössische sozio- und geopolitische Weltgeschehen miteinzubinden, indem er die (mutmaßlichen) Verflechtungen Maradonas mit der neapolitanischen Mafia, Rassismus unter Fußballfans und Maradonas Kokainsucht als Symptom einer weitreichenden Drogenepedemie thematisiert. Angeschnitten wird außerdem der Falklandkrieg von 1982, der beim Aufeinandertreffen der Fußballnationalmannschaften von England und Argentinien bei der Weltmeisterschaft 1986 noch immer ein großes Thema war.

Ein gefallener Gott – aber immer noch ein Gott
Jenes Spiel war das Spiel, der Grund warum Maradona bis heute zugleich geliebt und gehasst wird; auf jeden Fall aber das Spiel, das ihn zum Mythos machte: Er erzielte ein irreguläres Tor durch ein – eigentlich sehr offensichtliches – Handspiel, das als „Die Hand Gottes“ in die Fußballgeschichte eingehen sollte. Maradona selbst bezeichnete das Tor später als eine Art „symbolische Rache an den Engländern.“ Vor allem aber schoss Maradona in diesem Spiel das Tor des Jahrhunderts, bei dem er die gesamte englische Hintermannschaft mit einem unnachahmlichen Sololauf im Alleingang außer Gefecht setzte. Das Spiel ist vielleicht die Essenz von Maradona, des Fußballers wie des Menschen: Das ständige Pendeln zwischen Entgleisungen und Unsportlichkeiten auf der einen und geradezu übermenschlichen fußballerischen Glanzleistungen auf der anderen Seite.

Maradona vereint beides und der Film Maradona verschweigt davon nichts. Oft schonungslos, aber auch nicht immer frei von Pathos und Sentimentalität. Am stärksten ist der Film, wenn man Maradona einfach spielen sieht. Hier ist er unverkennbar in seinem Element; die Zeitlupenaufnahmen, unterlegt mit geschickt ausgewählten, metaphorisch deutbaren Zitatfetzen Maradonas verleihen der Szenerie einen hochgradig poetischen Charakter. Wie ein Traumtänzer, mit einer unglaublichen Eleganz und Selbstverständlichkeit gleitet der junge Mann scheinbar unbeschwert über den grünen Rasen, dass es eine Augenweide ist. „Wenn du das Spielfeld betrittst, wird das Leben unwichtig. Die Probleme werden unwichtig. Alles wird unwichtig.“ Dieses Zitat ist nicht ohne Grund zweimal prominent im Film platziert. Man würde Maradona wünschen, er müsste niemals aufhören zu spielen.



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Der Dokumentarfilm über das argentinische Fußballidol hält vermutlich für die wenigsten Fußballfans bahnbrechend neue Erkenntnisse bereit. Vielmehr lebt der Film von der – mitunter destruktiven – Energie, die sein Protagonist ausstrahlt. Erzählerisch klug aufgebaut, collageartig-bildgewaltig, inhaltlich schonungslos und poetisch zugleich ist "Diego Maradona" das sehenswerte Portrait einer streitbaren und faszinierenden Persönlichkeit.