Moerder ohne Erinnerung
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Mörder ohne Erinnerung

„Tatort Antwerpen“ // Deutschland-Start: 28. Juni 2019 (DVD/Blu-ray)

Eigentlich ist Angelo Ledda (Jan Decleir) viel zu alt, um seinen Beruf noch auszuüben – was er auch selbst weiß. Allerdings ist das mit der Rente ein wenig schwierig, wenn dein Leben immer darin bestand, für Geld andere zu ermorden. So auch bei seinem neuen Auftrag, der gleichzeitig sein letzter sein soll. Doch selbst für einen Profikiller gibt es Grenzen, die er nicht überschreiten will. Während sich Ledda, der in einem frühen Stadium von Alzheimer ist, sich mit seinen Auftraggebern anlegt, kreuzen sich seine Wege mit denen der Ermittler Eric Vincke (Koen De Bouw) und Freddy Verstuyft (Werner De Smedt), die auf der anderen Seite des Gesetzes Jagd auf dieselben Leute machen.

Ledda ist kein Mann großer Worte, ebenso wenig, wie Mörder ohne Erinnerung ein Film großer Worte ist. Was mit dem älteren Herren nicht stimmt, dessen tiefe Furchen im Gesicht von einem bewegten Leben erzählen, das verrät eine frühe Szene. Er sitzt in einem kleinen Diner, will etwas zu essen bestellen – bis er von der Bedienung erfährt, dass er das längst getan hat. Später sehen wir, wie er sich Nachrichten auf seinen Arm schreibt, ganz ähnlich zu Memento, um sie nicht zu vergessen. Denn vergessen kann tödlich sein, vor allem für jemanden, der in seinem Metier arbeitet.

Ein Widerspruch auf zwei Beinen
Es ist schon eine ungewöhnliche Figur, die der belgische Roman-Autor Jef Geeraerts in seinem zugrundeliegenden Buch entworfen hat. Ledda ist ein Mann der Widersprüche. Ein Mann, der einen scharfen Geist hat, und dennoch zunehmend verwirrt ist. Ein Mann, der keine Probleme damit hat, andere Menschen für Geld zu ermorden, und doch auch seine moralischen Prinzipien hat, die er eisern einhält. Ein Mann, der gleichzeitig Antagonist wie Protagonist in einem Thriller ist, der es einem nicht immer einfach macht, zwischen gut und böse unterscheiden zu können. Der allenfalls das geringere Übel kennt.

Die Atmosphäre von Mörder ohne Erinnerung ist dann auch von einer derart düsteren Natur, wie man sie eher aus dem skandinavischen Kino kennt. Dabei war die Geschichte um einen Kinderprostitutionsring sicherlich von den realen Skandalen in Belgien beeinflusst, die einige Jahre zuvor die Öffentlichkeit erschütterten. Hier geht sie jedoch noch weiter, setzt das organisierte Verbrechen mit höchsten Kreisen in Verbindung, die alles in ihrer Macht tun, um ihre Taten zu vertuschen. Der Film ist daher einer dieser typischen Krimis bzw. Thriller, in denen wenige aufrechte Helden gegen die von ganz da oben kämpfen.

Heiligt der Zweck die Helfer?
Interessant wird Mörder ohne Erinnerung – alternativ als Lost Memory – Killer ohne Erinnerung oder The Alzheimer Case – totgemacht bekannt – aber durch diese ungewöhnliche Kombination der Protagonisten. Ein Polizist und ein Mörder, die gemeinsame Sache machen? Das ist ein wenig wie in Das Schweigen der Lämmer, nur dass hier tatsächlich auch Sympathie für den Verbrecher erzeugt werden soll. Eine Art Buddy Movie, die dem Publikum einiges abverlangt, weil man selbst nicht genau weiß, ob man diese Zweckgemeinschaft nun gutheißen soll oder nicht. Ist der Feind deines Feindes tatsächlich schon ein Freund? Wie weit bin ich bereit mitzugehen, wenn es für eine gute Sache ist?

Lässt man diesen moralischen Aspekt einmal beiseite, ist Mörder ohne Erinnerung jedoch ein eher durchschnittlicher Thriller. Gerade weil so früh die Fronten geklärt sind und man weiß, wer auf wen Jagd macht, hält sich der Rätselfaktor doch ziemlich zurück. Größere Überraschungen im Ablauf gibt es auch keine, der Film ist deutlich gradliniger, als es das vertrackte Szenario verspricht. Dafür wird bei der Musik an manchen Stellen etwas unnötig dick aufgetragen, beim Versuch, die Atmosphäre noch ein wenig unheilvoller zu machen. Gebraucht hätte es das nicht, die dunklen Bilder in Kombination mit den menschlichen Abgründen sind mehr als genug, um einen Mal um Mal ein wenig erschauern zu lassen. Wer in der Stimmung ist für finstere Verbrechen, kann die Wiederveröffentlichung mit den beiden Folge-Fällen Das Recht auf Rache und Das letzte Opfer daher zum Anlass nehmen, hier ein bisschen im Dreck zu wühlen.



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In „Mörder ohne Erinnerung“ machen ein Polizist und ein unter Alzheimer leidender Auftragskiller gemeinsam Jag auf finstere Hintermänner. Das Szenario der belgischen Romanadaption ist ungewöhnlich, die vielen menschlichen Abgründe und moralischen Ambivalenzen sind ebenfalls sehenswert. Der Thriller an sich ist jedoch eher durchschnittlich.
6
von 10