Captain Marvel
© Marvel Studios 2019

Captain Marvel

Captain Marvel
„Captain Marvel“ // Deutschland-Start: 7. März 2019 (Kino)

Ein Unfall war es, der die Soldatin Vers (Brie Larson) auf die Erde geführt hat. Eigentlich war sie ja mit ihrem Anführer Mar-Vell (Jude Law) und dessen Elite-Einheit Starforce unterwegs, um für den Frieden zu kämpfen. Stattdessen befindet sie sich jetzt auf dem unterentwickelten Planeten. Und doch kommt er ihr seltsam vertraut vor, immer wieder hat sie Visionen von einer Frau (Annette Bening). Statt ihr läuft sie erst einmal dem jungen Agenten Nick Fury (Samuel L. Jackson) über den Weg, der nicht ganz fassen kann, wie ihm geschieht. Die eigentliche Bedrohung für Vers liegt aber woanders: Talos (Ben Mendelsohn) und seine Gestaltwandler-Truppe hat es ebenfalls auf die Erde verschlagen. Und eines ist klar, Gutes planen sie sicher nicht.

Kaum ein Film hat dieses Jahr für ähnlich starke Kontroversen gesorgt, ohne darauf ausgerichtet zu sein, wie Captain Marvel. Die einen verdammten den Film schon vorab aus Prinzip. Eine Frau, die die Welt rettet? Nicht in meinem Universum! Die anderen finden den nunmehr 21. Teil des Marvel Cinematic Universe aus demselben Grund automatisch gut. Schließlich ist es der erste, in dem tatsächlich eine Frau die Hauptrolle spielt. Und so etwas muss gewürdigt werden, den Film nicht zu mögen, kommt allein schon der Political Correctness wegen nicht in Frage. Dabei verdient der Streifen weder die überzogenen Angriffe unsicherer Männchen, die sich in ihrem Weltbild gestört fühlen, noch die Jubelarien darüber, dass eine Selbstverständlichkeit Wirklichkeit wird – Frauen können auch was. Denn letztendlich ist das hier nur ein weiterer Marvel-Film. Und noch nicht einmal ein besonders guter.

Kenn ich, kenn ich, kenn ich
Eine Zeit lang sieht es auch so aus, als hätte man hier kräftig zur Konkurrenz geschielt, genauer zu Wonder Woman, mit dem ausnahmsweise mal die Kollegen der DC Comics die Nase vorn hatten. Wenn die Marvel-Titelheldin zu Beginn des Films auf der Erde landet, dann bedeutet das dann auch hier erst einmal Fish-out-of-Water-Humor. Schließlich harmonieren außerirdische Elite-Kämpferinnen und banaler Menschenalltag nicht so toll. Dazu gibt es ebenfalls ein historisches Setting. Hier sind es die zuletzt häufiger mal wiederbelebten 90er, die bei Nostalgikern für leuchtende Augen sorgen. Das heißt: Gameboy, Videotheken und ein Soundtrack zwischen Garbage, Salt-N-Pepa und Des’ree.

Als Bonus spendiert das eigentlich auf Indiefilme spezialisierte Regie- und Drehbuchduo Anna Boden und Ryan Fleck (Dirty Trip) jede Menge Fanservice, wenn spätere Helden und Schurken hier ihre ersten Auftritte haben. Einiges wurde vorab schon bekannt, beispielsweise darf Dauergast Nick Fury vorbeischauen. Und auch andere Figuren sind hier in jüngeren Jahren zu sehen. Das ist natürlich berechnend, aber doch nett. Typisch Marvel eben. Kevin Feige kennt schließlich sein Publikum und weiß, dass es oft nicht so viel braucht, um Fans glücklich zu machen.

Und wer genau bist du?
Problematisch wird es jedoch, wenn diese Beilagen irgendwie noch der interessanteste Part eines Films sind. Schwierig ist vor allem die Figur der Captain Marvel selbst: Die hat zu Beginn nicht nur all ihre Erinnerungen verloren, sondern damit auch jegliche Persönlichkeit. Und das ist tödlich in einem Umfeld, das in erster Linie von Charakteren lebt, weniger von interessanten Geschichten. Denn auch wenn Boden und Fleck später die Geschichte etwas auf den Kopf stellen, richtig spannend ist das nicht. Oder überraschend. Dass es sich hier um einen Origin Film handelt, der eine Figur erst noch einführt, macht das verständlich. Es wird noch weitere Gelegenheiten geben, um etwas Charakter zu zeigen. Und doch ist es eben enttäuschend, wie farblos der neueste Zugang im Heldenzoo ist, wie wenig die hochtalentierte Oscar-Gewinnerin Larson (Raum) hier tun darf. Hände, die als Feuerwaffen funktionieren, das sieht teilweise schick aus. Es füllt aber keine zwei Stunden.

Es ist noch nicht einmal so, dass der Streifen aus dem Thema Superheldin wahnsinnig viel machen würde. Sie muss sich gegen männliche Bevormundung wehren, vor allem den Vorwurf, zu emotional zu sein, was hier mal wieder mit dem schwachen Geschlecht gleichgesetzt wird. Das war es aber schon. Das ist nicht nur ein wenig origineller Konflikt, er wirkt auch fehl am Platz. Denn einen Beweis dafür, dass sie so emotional ist, den bleibt Captain Marvel schuldig. Es ist ja im Gegenteil der völlig fehlende Ausdruck, der den Film so langweilig werden lässt. Dass selbst dieser Minimalismus für Empörungsstürme im Internet sorgt, sagt letztendlich mehr über dessen Benutzer aus als über den Film. Wo Black Panther letztes Jahr noch einen gesellschaftlichen Nerv traf, da ist hier nur Taubheit. Da hilft auch die absurd prominente Besetzung und ein witziger tierischer Sidekick nichts, aufgrund des fehlenden Charismas ist das hier nicht nur der schwächste MCU-Film seit Langem, sondern auch eine fahrlässig verschwendete Chance, tatsächlich etwas Neues auf die Beine zu stellen.



(Anzeige)

Viel Lärm um nichts: „Captain Marvel“ verdient weder die Angriffe noch den Hype, dafür ist der Film viel zu belanglos. Vor allem die persönlichkeitsbefreite Hauptfigur trägt dazu bei, dass der neueste Teil der Endlosreihe kaum Eindruck hinterlässt. Da können auch die nette 90er-Jahre-Atmosphäre und das gewohnt hochtalentierte Ensemble nichts mehr reißen, ausgerechnet die erste Solo-Superheldin des Marvel Cinematic Universe ist eine Schlaftablette.
5
von 10