Gundermann
© Peter Hartwig / Pandora Film

Gundermann

Gundermann DVD
„Gundermann“ // Deutschland-Start: 23. August 2018 (Kino) // 25. Januar 2019 (DVD/Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Gerhard Gundermann war ein ostdeutsches Phänomen. Aufgewachsen im sächsischen Hoyerswerda, studierte er nach dem Abitur an der Offiziershochschule. Als er sich als Mitglied des „Armeesingeklubs“ weigerte, ein Loblied auf einen General zu singen, wurde er exmatrikuliert. Daraufhin heuerte er im Tagebau an und ließ sich anschließend als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) vom Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) anwerben. Unter dem Decknamen „Grigori“ wurde er 1977 Kandidat der Sozialistischen Einheitspartei (SED). Kurz, nachdem er seine Frau Conny 1983 heiratete, wurde er wegen „Eigenwilligkeit“ sowohl aus der SED als auch kurz später von der Stasi ausgeschlossen.

Ab 1986 absolvierte er erste Soloauftritte und räumte Preise bei den Chansontagen der DDR ab. Nach dem Erscheinen seiner ersten LP 1988 trennte er sich von seiner langjährigen Band „Brigade Feuerstein“, woraufhin diese sich ein Jahr später ganz auflöste. Nach dem Mauerfall wurde Gundermann als „singender Baggerfahrer aus der Lausitz“ berühmt. Seine Lieder beschäftigten sich inhaltlich mit Themen wie Leben und Tod, Ausbeutung, Umwelt, Arbeitslosigkeit oder auch dem Alltag des einfachen Arbeiters, womit er in Ostdeutschland den Zahn der Zeit traf, im Westen jedoch kaum Aufmerksamkeit bekam. Durch seinen zeitraubenden Lebensstil als Künstler und Baggerfahrer fuhr er oft direkt von Schichten zu Konzerten und umgedreht – vielleicht einer der Gründe für seinen überraschenden Tod im Jahr 1998. Mit nur 43 Jahren starb Gundermann an einem Schlaganfall.

Zwischen Baggern und Bühnen

Als Mitte der 90er Gundermanns Stasitätigkeit an die Öffentlichkeit gelangte, drohte seine Reputation als staatskritischer Liedermacher zu zerbröckeln. Ehemalige Fans zweifelten an seiner Ehrlichkeit, Gundermann selbst zeigte sich reumütig – sah sich aber weder als Täter noch als Opfer. Größeren Schaden an seinem Image verhinderte er wahrscheinlich vor allem mit seiner bodenständigen Art. Trotz seines guten Einkommens als Musiker und seinen Auftritten mit Folklegenden wie Bob Dylan und Joan Baez, arbeitete er weiterhin als Baggerfahrer im Braunkohlebergbau. Und selbst nach dessen Schließung ruhte er sich nicht auf seinem Künstlerdasein aus, sondern machte eine Umschulung zum Tischler. Und genau diese Ambivalenz zwischen Künstler, Arbeiter und Stasispitzel nimmt Regisseur Andreas Dresen (Als wir träumten, Timm Thaler oder das verkaufte Lachen) zum Anlass, das kurze aber intensive Leben des Menschen Gundermann zu beleuchten und für Fans wie Kritiker greif- und nachvollziehbarer zu machen.

Dresen erzählt seinen Film nicht chronologisch, schwebt leichtfüßig zwischen den Anfängen Gundermanns Karriere und dem Bekanntwerden seiner Stasitätigkeit hin und her. Wie eigentlich in all seinen Filmen urteilt Dresen nicht über seine Charaktere, sondern bemüht sich darum, den Gemütszustand seiner Figuren zu ergründen und ihr Handeln damit zu begründen. Doch Gundermann ist auch kein Film der Rechtfertigung, hier will man kein angekratztes Denkmal reparieren. Dresen beobachtet und arbeitet mit feinem Detailgespür heraus, wie Ansichten und Handlungen entstehen und was diese mit einem Menschen machen. Dresen hat nie Kino für die Massen gemacht, keine mainstreamig aufpolierten Dramen, die mit ihrer historischen Geschichte nach Filmpreisen fischen. Gundermann ist nie so witzig wie Sonnenallee oder Good Bye, Lenin! und nie so spannend wie Das Leben der Anderen.

Geschichtsstunde zwischen schwarz und weiß

Doch das will der Film auch nie sein. Er ist auf seine ganz eigene und viel subtilere Art mal witzig, mal traurig, aber vor allem Augen öffnend. Er zeigt, dass in der DDR nicht alles ein entweder oder war, dass man nicht nur auf der guten oder bösen Seite stand, sondern es auch eine Menge dazwischen gab. Dieser ganze Zwiespalt wird allein in einer Szene überdeutlich: Gundermann geht ins Stasi-Archiv, um nach einer „Opferakte“ zu suchen, aber man findet nur eine „Täterakte“. Wenn der Angestellte dann „Ausgerechnet Sie!“ sagt und darauf verweist, dass man auch als bekennender Kommunist eine Wahl hatte, bekommt der sonst so schlagfertige Sänger keine Antwort heraus. Gundermann ist ein aufmerksames Porträt eines einfachen Menschen. Eines Gehetzten, den sehr viele Dinge beschäftigten und der zufälligerweise auch noch gut texten und singen konnte. Denn auch wenn Gundermann im Kern ein hervorragend ausdifferenziertes DDR-Drama ist, bekommt der Zuschauer auch einen Musikfilm, der schreiend laut in seiner Botschaft und gespenstisch leise in seiner Erzählung ist.

Ein solches Biopic braucht jedoch nicht nur ein ausgefeiltes, ehrliches Drehbuch und eine sorgfältige Regie. Die Figur birgt die Gefahr, bei einer oberflächlichen Behandlung ins Lächerliche oder Naive abzudriften. Doch Dresen ist mit Alexander Scheer (Carlos – Der Schakal) ein wirklicher Glücksgriff gelungen. Scheer spielt nicht Gundermann, er lebt ihn. Das hat zur Folge, dass ein bis in die Nebenrollen hervorragend besetzter Cast (aus dem Best-of der ostdeutschen Schauspielerriege) qualitativ in die Belanglosigkeit rutscht. Die volle Aufmerksamkeit gehört hier nur einem: Alexander Scheer alias Gerhard Gundermann. Dem Berliner, der letztes Jahr mit seiner Darstellung des Geiselnehmers Dieter Degowski im ARD-Zweiteiler Gladbeck begeisterte, ist seine Theatervergangenheit oft anzumerken. Scheer versteht es, sich dem vielschichtigen Charakter nicht nur äußerlich, sondern auch emotional so anzunähern, dass der Zuschauer sich in seinen Gefühlen und Antrieben wiederfindet. Gundermanns Selbstzweifel kommen nicht nur durch die Dialoge, sondern noch viel intensiver durch Blicke und kleine Gesten zum Ausdruck.  Und nicht zuletzt auch durch die Songs, die Scheer allesamt selbst eingespielt und gesungen hat. Gundermann ist ehrlich, bewegend und wunderbar authentisch. Alles Qualitätsmerkmale, die bei Dresen die Regel und bei anderen DDR-Filmen die Ausnahme sind.

Pandora Film bringt den Film inklusive eines sehr informativen Booklets heraus. Hier kann man nicht nur Interviews der Beteiligten, sondern auch nützliche Hintergrundinformationen nachlesen. Neben Deleted Scens, Outtakes Trailer und Featurettes zählt auch ein Audiokommentar mit Andreas Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler zum Bonusmaterial.

Credits

OT: „Gundermann“
Land: Deutschland
Jahr: 2018
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Laila Stieler
Musik: Jens Quandt
Kamera: Andreas Höfer
Besetzung: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Benjamin Kramme, Eva Weißenborn, Milan Peschel, Bjarne Mädel, Axel Prahl, Peter Sodann, Thorsten Merten

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Gundermann
fazit
"Gundermann" über den ostdeutschen Liedermacher Gerhard Gundermann ist vielleicht einer der besten, weil differenziertesten Filme über die DDR. Doch er ist damit keineswegs nur etwas für Ostrockfans oder Menschen, die in der „guten alten Zeit“ schwelgen wollen. "Gundermann" öffnet Augen und zeigt, wie schwer der Spagat zwischen freiheitsliebendem Idealismus und kontrollsüchtigem Staat war. Ein wichtiger Film – sowohl für „Ossis“ als auch für „Wessis“.
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