Here to Be Heard The Story of the Slits
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Here To Be Heard: The Story of The Slits

Here to be Heard
„Here to Be Heard: The Story of The Slits“ // Deutschland-Start: 8. November 2018 (Kino)

In der britischen Subkultur der 70er Jahre brodelte es musikalisch gewaltig: Von den Sex Pistols um Johnny Rotten und Sid Vicious inspiriert und im Dunstkreis von The Clash formieren sich täglich neue Bands, deren DIY-Attitüde und Energie ein neues Zeitalter der Musikgeschichte einleitet. Es dauerte nur etwas mehr als zwei Wochen bis die Drummerin Paloma „Palmolive“ Romero aus der Band The Flowers of Romance flog; sie geriet mit dem Bassisten Sid Vicious aneinander. „Ich wollte eine Band gründen, die nur aus Frauen besteht, weil ich sowas wie mit Sid nicht mehr erleben wollte“, erzählt sie.

Vom „Willst Du bei uns Bass spielen“ bis zum ersten Auftritt ließ Palmolive ihrer Freundin Tessa Pollitt keine zwei Wochen Zeit. Als „eine feministische Explosion auf der Bühne“ beschreibt der erste Manager Don Letts die Slits. Sängerin Ari, die bei ihrem ersten Auftritt erst 14 Jahre alt ist, reißt das Publikum von den Socken und begeistert auch Viv Albertine, die zuvor ebenfalls von Sid Vicious aus The Flowers of Romance geschmissen wurde, und wenige Tage nach diesem historischen Auftritt Gitarristin Kate Corris aus der Band drängt.

Bekannte Gesichter
So schnelllebig wie die frühen Bandjahre so rasant und explosiv entwicklelt sich die gesamte britische Musikszene zu Beginn des Punks, den Here To Be Heard – The Story of the Slits durch Fotos, Videoaufnahmen und Zeitzeugen beleuchtet. Neben den Gründungsmitgliedern von The Slits kommen viele Wegbegleiter der Band zu Wort, zum Beispiel Neneh Cherry und Gina Birch, die die Post-Punk Band The Raincoats gründete. Dass es vor allem Frauen sind, die die Geschichte dieser „feministischen Explosion auf der Bühne“ erzählen ist konsequent.

Viv Albertine umreißt in ihren Memoiren das Selbstgefühl der Band so: „Ich will das Jungs kommen und uns spielen sehen und denken: Ich möchte dazu gehören. Nicht die sind hübsch oder die würde ich gerne ficken, sondern: Ich möchte zu dieser Gang gehören, zu dieser Band. Ich will, dass Jungs seinen wollen wie wir…“. Weder Punk noch Musiker wollten die Frauen sein. Alle vier sehnten sich nach einem Raum, in dem sie sie selbst sein können, ohne auf Ihr Geschlecht, auf Ihre musikalischen Fähigkeiten oder ihr Aussehen reduziert zu werden. Gemeinsam schockten die vier Amazonen ganz Großbritannien als sie auf ihrer ersten Tour mit The Clash durchs Königreich zogen. Sie trieben es nicht bunter als die Jungs, erinnert sich Palmolive, aber die Tatsache, dass sie Frauen waren, schockierte Hotelpersonal, Veranstalter und sogar ihren Busfahrer so sehr, dass ihre Exzesse krasser wahrgenommen wurden.

Kraft jenseits aller Grenzen
Gewalt, Anfeindungen und Rassismus gehörten für die Punkgeneration zum Alltag, befeuerten aber auch ihre wütenden Songs. Ari wurde zu dieser Zeit mit einem Messer angegriffen, begleitet von den Worten „Here’s a slit vor you“, „hier hast Du Deinen Schlitz“. In diesem gesellschaftlichen Klima behaupteten sich die Bandmitglieder von The Slits, kanalisierten die Energien und thematisierten in ihrer Musik Feminismus, Empowerment und Antirassismus. Das beeindruckende an dieser Band ist, dass sie sich nicht in musikalische Genre-Grenzen zwingen ließ.

Die Dokumentation folgt den vier Frauen von den Anfängen, in denen sie das Schockmoment besser beherrschten als ihre Instrumente, über den ersten Plattenvertrag, den Erfolg bis bin zur musikalischen Neuorientierung. Die Originalvideoaufnahmen aus allen Zeitaltern der Band verdankt die Dokumentation Frontfrau Ari, die „besessen von Filmaufnahmen“ war und alles für die Nachwelt festhalten wollte. Die exzentrische Persönlichkeit und das kreative Zentrum von The Slits ahnte vermutlich schon früh, dass sie nicht alt werden würde. 2010 starb sie mit nur 48 Jahren an Brustkrebs. Here To Be heard – The Story of the Slits würdigt sie und ihre Band als Baustein der internationalen Musikgeschichte. The Slits starten als Punkband, nehmen Reggae und Dub als Einflüsse auf und entwickeln sich zu einer der erfolgreichsten Post-Punk-Bands der Musikgeschichte. Die vielen kleinen Anekdoten, die spürbare Sympathie zwischen den Bandmitgliedern und die spannenden Verstrickungen in der Punkszene der 70er Jahre machen die Dokumentation mehr als sehenswert.



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Sehenswert und kurzweilig macht „Here to be heard – The Story of the Slits“ eine musikalische Subkultur sichtbar, deren Energie und gesellschaftliche Revolution schon jetzt legendär ist. Die vor allem weiblichen Zeitzeugen um die All-Girl-Band The Slits und das Originalvideo-Material halten ungesehene Schätze bereit – und das nicht nur für Fans der Band.