Oliver Haffner
Regisseur Oliver Haffner bei den Dreharbeiten zu "Wackersdorf" über eine Atomanlage, die in den 1980ern gegen den Willen der Bürger gebaut werden sollte.

Oliver Haffner [Interview 2018]

Das Angebot klang toll, eine neue Atomanlage soll in der kleinen oberpfälzischen Gemeinde Wackersdorf für jede Menge Arbeitsplätze sorgen. Auch der Landrat ist zunächst von der Idee begeistert, bis ihm erste Zweifel kommen. Und auch in der Bevölkerung regt sich Protest, den die Staatsregierung aber mit aller Macht zu unterdrücken versucht. Mehr als 30 Jahre sind seit den Ereignissen vergangen. Doch für Oliver Haffner ist das Thema nach wie vor sehr aktuell. Weshalb das so ist und was wir aus der Geschichte lernen können, haben wir den Regisseur während des Filmfests Münchens gefragt, wo Wackersdorf im Juli seine Weltpremiere feierte.

Die Ereignisse in deinem Film liegen inzwischen drei Jahrzehnte zurück. Wie bist du zu dem Thema gekommen?
Ich bin vor sieben Jahren schon auf das Thema gestoßen, damals durch den Atomunfall in Fukushima und den deutschen Atomausstieg. Wackersdorf war in meiner Jugend in Bayern ein maßgebliches Thema, das die Gesellschaft durcheinandergewirbelt und emotionalisiert hatte. Eine Spielfilmadaption des Stoffes gab es bislang aber noch nicht. Ich bin dann auf den Produzenten Ingo Fliess gestoßen, der glücklicherweise auch aus der Oberpfalz stammt und älter ist als ich und deshalb wirklich bei den Demonstrationen war. Von Ingo stammte dann auch der Vorschlag, dass wir die Geschichte durch den Landrat Schuierer erzählen. Ich hab also das Thema geliefert und Ingo hat den Helden gefunden. Dann haben wir angefangen zu recherchieren und haben uns sehr viel mit dem Hans Schuierer getroffen. Der hat uns viele Wege geöffnet in der Region.

Wie hast du die Zeit damals erlebt?
Ich komme aus einem recht politisierten Elternhaus, deswegen war das ein großes Thema bei uns. Meine acht Jahre ältere Schwester war auch noch genau in dem Alter, in dem man nach Wackersdorf zum Demonstrieren gefahren ist. Meine Eltern hatten große Angst um sie, als die Geschichte immer größer wurde, auch wenn sie es richtig fanden, was sie tat. Ich habe die Zeit allgemein als sehr angstbesetzt empfunden als Kind, gerade auch im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg und der atomaren Bedrohung. Das spielte alles mit hinein.

Nach Fukushima haben sich viele von der Atomkraft abgewendet. Warum ist es heute dann noch relevant darüber zu reden, wie die Atomkraft eingeführt werden sollte?
Ich glaube nicht, dass Wackersdorf ein Film ist, in dem es um pro und contra von Atomkraft geht. Inhaltlich wird darauf auch kaum eingegangen. Es ist ein Film, der einen Menschen dabei beobachtet, wie er seine Meinung ändert als politischer Verantwortungsträger. Wie er bereit ist, seine Fehler einzugestehen und alle Konsequenzen zu tragen. Dass der Rechtsstaat ausgehebelt wird, um ein persönliches politisches Ziel des Ministerpräsidenten durchzusetzen, das Versammlungsverbot zum Beispiel, das hat ihn erschüttert. Der Hans Schuierer ist ein zutiefst an die Demokratie und den Rechtsstaat glaubender Mensch. Er wollte auch gar kein Held sein. Er konnte nur nicht anders, weil er gesehen hat, wie das System von der Korruption vereinnahmt wird. Wackersdorf ist also vielmehr ein Film über die Bedeutung und die Verteidigung des Rechtsstaates.

Glaubt Schuierer heute noch an die Demokratie nach den Erfahrungen, die er gesammelt hat?
Ich denke schon. Das System mit der Gewaltenteilung hat am Ende schließlich funktioniert. Die Anlage wurde letztendlich nicht gebaut, das bayerische Verwaltungsgericht hat alle Teilerrichtungsgenehmigungen über die Jahre kassiert, weil es juristisch schlecht vorbereitet wurde. Die Arroganz der Macht war so groß zu glauben, dass sie nicht einmal ihre juristischen Hausaufgaben machen müssen. Und das ist ihnen zum Verhängnis geworden. Allerdings wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. Und das obwohl sie wahnsinnig viel Geld verschleudert haben.

Könntest du dir vorstellen, dass eine Situation wie damals heute wieder passiert?
Mit dem jetzigen Polizeiaufgabengesetz, das durchgegangen ist, wären die Demonstrationen in Wackersdorf ganz schnell erledigt. Du könntest die Leute im Vorhinein inhaftieren und mit den digitalen Überwachungsmöglichkeiten käme es gar nicht zum Protest. Wir befinden uns also in einer viel schwierigeren Situation. Die Panikmache und Verängstigung der Bevölkerung durch Bedrohungsszenarien wie Terroranschläge hat dazu geführt, dass die Leute von sich aus bereit sind, auf Rechtstaatlichkeit zu verzichten. Wir befinden uns daher meiner Meinung nach in einer viel restriktiveren Zeit als damals, ohne es zu merken. Jetzt passiert die Gewalt stillschweigend.

Schwieriges Thema, schwierige Finanzierung: Viele Jahre hat Oliver Haffner darum gekämpft, sein Herzensprojekt Wackersdorf umsetzen zu können.

Unabhängig davon, ob solche Demonstrationen nun verhindert würden oder nicht, würden die Menschen überhaupt noch auf die Straße gehen?
Für mich ist das große Erlebnis der letzten Wochen die Demonstrationen gegen dieses Polizeiaufgabengesetz gewesen, wo sich die Leute gewundert haben, dass plötzlich 30.000 Menschen auf die Straße gehen. Damit hat niemand gerechnet. Und die Leute, die da mitgemacht haben, die kommen bestimmt wieder. Denn sie haben eine Erfahrung gemacht: Der gemeinsame Protest ist befriedigender als die Likes, die ich für eine Online-Petition bekomme. Wenn man dieses Erlebnis hatte, dann ist alles möglich. Die Frage ist nur, wie ich die Leute dazu kriege. Sie hängen halt alle in ihrer kleinen digitalen Zelle.

Dabei wäre es heute ja einfacher, diese Leute eben durch diese Digitalisierung zu erreichen. Das war bei Wackersdorf schon deutlich schwieriger.
Stimmt. Damals gab es Telefonketten und Briefe. Das war richtig aufwendig. Das ist dann auch das Problem, wenn ein neues Medium keine inhaltliche Innovation mit sich bringt, dann ist das Medium nichts wert. Heute ist das Internet ein Handelsmarkt, auf dem die freie Information immer mehr eingeschränkt wird. Uns fehlt glaube ich bislang noch eine Vision, was aus diesen Kommunikationsmöglichkeiten entstehen könnte. Unsere alte Vorstellung von einer Gesellschaft kollidiert ein wenig mit dem neuen Medium. Vielleicht wird diese Kraft des Mediums erst durch eine neue Generation genutzt, die damit aufgewachsen ist und sich das nicht erst aneignen muss.

Du hast angesprochen, wie die Politik sich über die Menschen hinwegsetzt. Damit triffst du ja einen Nerv bei denen, die das Gefühl haben, dass sie ohnehin keinen Einfluss mehr haben und auch nicht mehr von denen da oben repräsentiert werden. Und mit diesem Gefühl haben Leute wie die AfD und Trump große Erfolge gefeiert. Hattest du je die Befürchtung, dass dein Film in diese Richtung missbraucht werden könnte?
Ich verstehe schon, was du damit meinst. Aber ich sag es mal so: Die Angst vor den Rechtspopulisten darf niemals dazu führen, dass wir nicht mehr an die Kraft der Bürgerbewegung glauben. Ich glaube zutiefst an die Kraft der Bürgerbewegung. Und es ist auch völlig in Ordnung, dass es rechte Bürgerbewegungen gibt. Wir müssen nur begreifen, dass wir in einer Demokratie lieben. Was ich den Rechten vorwerfe, ist die Ansicht, dass der Kompromiss schädlich ist. Aber das Wesen unseres demokratischen Systems ist der Kompromiss. Das ist doch unsere Errungenschaft. Wir müssen uns zusammensetzen und eine gemeinsame Lösung finden. Nur das sichert den innergesellschaftlichen Frieden. Auch Hans muss sich im Film eine neue Gruppe suchen, mit der er zuvor nie etwas zu tun gehabt hätte. Und er muss sein eigenes Denken ändern.

Inwieweit hat man als Künstler überhaupt eine Verantwortung dafür, was danach mit seinem Werk passiert?
Für mich immer, sobald ich ein Werk mache, von dem ich ausgehe, dass andere es konsumieren. Du kannst natürlich auch ein Buch schreiben oder einen Film drehen, den du niemandem zeigst. Dann ist es egal. Aber sobald du damit an die Öffentlichkeit gehst, hast du diese Verantwortung. Das ist ja das Tolle an meinem Beruf, dass du die Möglichkeit bekommst, Öffentlichkeit zu haben. Ich möchte die Gesellschaft und das Leben mitgestalten, das war schon immer eine große Antriebskraft für mich. Filmemacher, die sich im Anschluss wegducken mit der Ausrede, es wäre ja nur ein Film, finde ich geistig beschränkt oder feige. Denn Öffentlichkeit ist das Wesen dieses Mediums.

Du hast vorhin das Thema Kompromisse angesprochen. Bei Wackersdorf ist es so, dass nicht nur böse Politiker das Atomkraftwerk wollten. Der Landrat hatte sich dafür eingesetzt, weil er sich Arbeitsplätze davon erhoffte. Moral ist ja schön und gut. Wenn die Leute als Alternative keine Arbeit haben, dann ist das aber auch keine Lösung. Als Künstler musst du ja auch Kompromisse finden zwischen wirtschaftlichem Zwang und künstlerischer Freiheit. Wo ist die Grenze, was du als Kompromiss noch machen würdest?
Das ist ein wichtiges und richtiges Thema, weil ich bisher immer nur Filme gemacht habe, die unterfinanziert waren. Wir haben auch bei Wackersdorf nicht das Budget bekommen, das wir ursprünglich geplant haben. Und trotzdem haben wir es gemacht, unter erheblichen Schwierigkeiten. Ich hätte den Film gern gemacht mit 32 Drehtagen. Das ist luxuriös heute, das weiß ich, aber das hätte ich gebraucht. Tatsächlich haben wir den Film in 27 Tagen gedreht, was eine massive Belastung bedeutete. Aber mir war das Thema so wichtig, dass ich den Film trotzdem gemacht habe, weil ihn sonst keiner macht. Dass wir sieben Jahre für den Film gebraucht haben, liegt letztendlich daran, dass wir so lange gebraucht haben, um Geldgeber zu finden.

Dann hoffe ich mal, dass es beim nächsten Projekt wieder leichter wird. Was steht als nächstes an?
Ich arbeite an einem Film, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, warum wir wichtige Dinge immer auf irgendwann verlegen, obwohl wir gar nicht wissen, ob wir morgen noch leben. Es geht um einen plötzlichen Todesfall in einem Freundeskreis, der die Leute über ihr Leben reflektieren lässt. Der Film soll sich also mehr mit einer persönlich-philosophischen Frage auseinandersetzen als mit einem gesellschaftlich-politischen Thema.

Zur Person
Oliver Hafner1974 in München geboren studierte Oliver Haffner zunächst
Politikwissenschaften, bevor er zu Theaterregie wechselte. Nach seinem Langfilmdebüt Mein Leben im Off 2010 folgte 2014 Ein Geschenk der Götter, wofür er den Publikumspreis beim Filmfest München erhielt. Darin erzählt er von einer Gruppe von Arbeitslosen, die einen Theaterkurs belegen müssen. Sein dritter Film Wackersdorf über eine geplante Atomanlage in den 1980ern und die Proteste der Bürger dagegen läuft ab dem 20. September 2018 im Kino.



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