Time of the Gypsies
© Winkler Film

Time of the Gypsies

(OT: „Dom za vešanje“, Emir Kusturica, Jugoslawien, 1988)

„Time of the Gypsies“ erscheint am 17. November 2017 auf Blu-ray

Der junge Perhan (Davor Dujmovic) lebt seit dem Tod seiner Mutter zusammen mit seiner kleinen Schwester Danira (Elvira Sali) und seinem Onkel bei der Großmutter Khaditza (Ljubica Adzovic) in einem Dorf in der Nähe von Sarajevo, im damaligen Jugoslawien. Perhan ist verliebt in Azra (Sinolicka Trpkova) und will sie heiraten, was Azras Mutter allerdings vehement verbietet, da Perhan ihrer Tochter nichts bieten könne. Perhan beschließt, sich dem reichen Romascheich Ahmed (Bora Todorovic) anzuschließen, der in Italien großes Geld verdient. Dieser verspricht, die kleine Schwester Danira nach Ljubljana zu bringen, um ihr schmerzendes Bein in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Währenddessen soll Perhan zusammen mit Ahmed nach Italien reisen, um danach seine Herzensdame Azra für sich gewinnen zu können. Ahmed verdient sein Geld in Italien mit Menschenhandel, Prostitution und lässt Kinder und Kranke für sich betteln. Perhan rutscht ab in den Strudel von Kriminalität und Geldgier, er lügt und betrügt, um an Ende selbst betrogen zu werden.

Außergewöhnlich ehrlich
Der Regisseur Emir Kusturica, selbst Jugoslawe, bestand auf Authentizität bei der Wahl seiner Schauspieler. Daher arbeitete er fast nur mit Laien zusammen. Jeder einzelne Darsteller kennt die Welt der Roma oder lebte darin. Die Originalsprache ist „Romanes“, hier wurde nichts verschönt oder verändert. Die Dorfbewohner sind laut, schreien sich an und lieben sich ebenso übertrieben. Man sieht einen sturzbetrunkenen Bräutigam, die auf ihn einschlagende Braut, Häuser die ihre Dächer und Wände verlieren und wie von Geisterhand umherschwebende Pappkartons. Ja, da lässt sich bei einigen Szenen nur noch mit dem Kopf schütteln, aber nicht vor Ungläubigkeit, sondern vor Erstauntheit dieser fremden Welt gegenüber. Der Marktplatz voller Schlamm, die faulen Zähne, die verlotterte Kleidung – eben genau so sieht diese Welt aus.

Wir begleiten das Leben des jungen Perhans ungefähr 9 Monate lang, in denen so viel geschieht, dass zwei Leben nicht dafür reichen. Er verändert sich mit seinem Umfeld. Anfangs ist er der Liebling der Großmutter, hat sogar ihre magischen Kräfte geerbt. Er besitzt einen Truthahn, den er wie ein Haustier behandelt. Ein herzensguter Junge, der sich Hals über Kopf verliebt und bitterlich weint, als er sein Zuhause verlässt, um nach Italien zu fahren. Dort verliert Perhan seine guten Werte und Absichten, nur noch ganz tief versteckt sitzt seine liebenswerte Seele. Durch Perhan wird einem erst klar, wie machtvoll die negativen Kräfte von Armut und Kriminalität sind und sogar die reinste Seele zerstören können.

Ein Film zwischen Humor und Tragik
Einige Szenen des Films bergen ehrliche Lacher, das Spiel mit Humor und Bestürztheit lässt uns emotional stark am Geschehen teilhaben. Die Traumsequenzen brennen sich in unser Gehirn, skurrile aber wunderschöne Bilder. Wir fühlen mit den Kindern mit, die den ganzen Tag betteln müssen, deren Behinderung schamlos ausgenutzt wird und die keine Chance haben, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Und wir beginnen, zu verstehen.

Time of the Gypsies lässt sich nicht in eine Sparte drücken oder mit anderen Filmen vergleichen. Es geht um Roma und deren Lebensweise, über das Erwachsenwerden eines Jungen in einer Welt, die voller Liebe und doch so tragisch und gefährlich ist. Der Regisseur Emir Kusturica stellt diese Welt nicht an den Pranger, oder versucht, Mitleid zu erregen. Er malt ein großes buntes Bild voll von fröhlichen Farben, Zusammenhalt, Familie, Humor, vermischt mit düsteren Tönen, Krankheit, Armut, Tod. Ein Bild, das beeindruckt und fasziniert, aber nicht zum Urteilen verleitet. Ein Bild, über das wir noch tagelang nachdenken, das einfach nicht verblassen will. Dazu klingen ebenso lange die jugoslawischen Töne der Filmmusik nach. Eindringliche Melodien, traditionell, immer ein Zusammenspiel von feierlichen und tragischen Elementen. Time of the Gypsies ist ein wundervoller, magischer Film, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient!



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"Time of the Gypsies" nimmt uns mit auf die Reise in ein Land, das man über Suchmaschinen oder Videoplattformen niemals so erreichen oder fassen kann. Emir Kusturica inszeniert einen ehrlichen, witzigen und tragischen Film über das Leben der Roma. Ein meisterhafter Film, den man nie vergessen wird.
9
von 10