Die Erfindung der Wahrheit
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Die Erfindung der Wahrheit

(OT: „Miss Sloane“, Regie: John Madden, USA/Frankreich, 2016)

Die Erfindung der Wahrheit DVD
„Die Erfindung der Wahrheit“ ist seit 10. November 2017 auf DVD und Blu-ray erhältlich

Skrupel hat Elizabeth Sloane (Jessica Chastain) normalerweise keine. Wenn die Lobbyistin engagiert wird, dann gibt es für sie nur ein Ziel: gewinnen, um jeden Preis. Als ihr Chef George Dupont (Sam Waterston), der eine alteingesessene Anwaltskanzlei leitet, ihr den Auftrag erteilt, ein neues verschärftes US-Waffengesetz zu vereiteln, ist aber auch für sie eine Grenze überschritten. Stattdessen wechselt sie überraschend die Seiten und setzt sich gemeinsam mit Rodolfo Schmidt (Mark Strong) und Esme Manucharian (Gugu Mbatha-Raw) für eben dieses Waffengesetz ein. Doch auch wenn sie nun für die Gegenpartei arbeitet, an ihren rücksichtslosen Methoden hält sie unbeirrt fest.

Es gibt ja immer wieder Punkte bei den Amis, die einen als Europäer ein wenig verwundert zurücklassen. Die Esskultur zum Beispiel. Die Wahl ihres Präsidenten. Und natürlich die starke Liebe zu Waffen. Wann immer mal wieder ein Massaker geschieht und man sich fragt, wie der Täter an all diese Waffen kam, geschieht … nichts. Dass Die Erfindung der Wahrheit letztes Jahr an den US-Kinokassen böse gefloppt ist, trotz guter Kritiken, einer prominenten Besetzung und eines aktuellen Themas, das passt dann auch in das unverständliche Bild.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Wobei man an der Stelle natürlich hinzufügen muss, dass Die Erfindung der Wahrheit von Drehbuch-Debütant Jonathan Perera sich selbst kaum für das Thema interessiert. Das Pro und Contra eines Waffenbesitzes wird so gut wie gar nicht diskutiert. Vielmehr interessiert es Sloane und die anderen, wie sie die unentschlossenen Senatoren in der Frage für sich gewinnen können. Was für den einen gilt, muss nicht für den anderen gelten, Argumente werden hier nicht aus Überzeugung vorgebracht, sondern sind nur Mittel zum Zweck.

Die deutlich spannendere Frage des Films ist dann auch: Heiligt der Zweck wirklich jedes Mittel? Ist ein selbst im Grunde nobles Vorhaben, Waffenbesitz stärker zu reglementieren, Grund genug, den Weg dorthin zu rechtfertigen? Passend dazu wählte Perera eine Protagonistin, der mit dem Wort „ambivalent“ noch geschmeichelt wäre. Sie nimmt sich, was sie kriegen kann, hat keine moralischen Bedenken, nutzt selbst persönliche Traumata aus, wenn es sie näher an den Sieg führt. Wäre sie auf Seiten der Waffenverfechter, sie wäre das ideale Feindbild. So aber hat man als Zuschauer immer das mulmige Gefühl, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein.

Unheimlich ambivalente Frauen-Power

Jessica Chastain, sonst meist auf der „guten“ Seite zu Hause, macht sich diese Gratwanderung zu eigen. Mehr noch, als eiskalte Strategin mit blutroten Lippen dominiert sie das Geschehen in jeder Szene, sei es im Büro oder einem Gerichtssaal. Folgerichtig lautet der englische Originaltitel dann auch Miss Sloane, denn neben ihr und der ausgeprägten Persönlichkeit der Lobbyistin können die durchaus engagiert auftretenden Kollegen und Feinde nicht bestehen. Etwas schade ist das schon, die durchaus wichtige Auseinandersetzung mit dem Thema Waffen wird so zumindest erschwert – die Titel-Anti-Heldin lädt nicht unbedingt dazu ein, gemeinsame Sache mit ihr zu machen.

Spannend ist Die Erfindung der Wahrheit dennoch. Regisseur John Madden, der sich sonst eher bei Feel-Good-Komödien wie Shakespeare in Love oder Best Exotic Marigold Hotel wohl fühlt, inszenierte hier einen Politthriller alter Schule. Was keine Erkenntnisse zum Waffengebrauch hervorbringt, gibt doch zumindest Einblicke in die amerikanische Lobbyarbeit. Einblicke, die mal faszinierend, dann wieder erschreckend sind, das ohnehin eher schlechte Image der Lobbyisten mehr als nur bestätigt. Das ist an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein wenig dick aufgetragen, gerade auch zum Schluss hin. Dennoch ist der Film sehenswert und hätte ein größeres Publikum verdient, als er bekommen hat – und sei es nur, um ein Thema im Gespräch zu halten, das viel zu schnell immer zu den Akten gelegt wird.



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Das US-Waffenrecht soll verschärft werden, Lobbyisten auf beiden Seiten führen einen erbitterten Kampf um jede Stimme. „Die Erfindung der Wahrheit“ setzt sich insgesamt erstaunlich wenig mit den tatsächlichen Argumenten des Waffenrechts auseinander, bietet dafür aber einen spannend-erschreckenden Einblick in die Arbeit hinter den Kulissen. Das ist auch wegen Jessica Chastain sehr sehenswert, die als ambivalent-rücksichtslose Meinungsmacherin den politischen Thriller dominiert.
7
von 10