Untitled
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Untitled

(OT: „Untitled“, Regie: Monika Willi/Michael Glawogger, Deutschland/Österreich, 2017)

Untitled
„Untitled“ läuft ab 26. Oktober 2017 im Kino

Wie soll ein Film funktionieren, der keiner sein wollte? Der ohne festes Ziel begann? Der nie abgeschlossen wurde? Und: Wie soll man einen solchen bewerten? Untitled zwängt einem viele Fragen auf, teils gewollt, teils ungewollt. Nur wenige Tage dauerte es, bis der österreichische Regisseur Michael Glawogger (Workingman’s Death) starb. In Liberia war das, 2014, ein besonders schlimmer Fall von Malaria. Zu dem Zeitpunkt war er mit seinem Filmteam schon einige Monate unterwegs gewesen. Sie waren durch die Welt gereist, haben alle möglichen Länder besucht und dabei aufgenommen. Viel aufgenommen. Rund 70 Stunden Material lagen vor, als der Filmemacher verstarb. Seine langjährige Filmeditorin Monika Willi nahm dieses Material und schnitt es zu knapp 110 Minuten zusammen. Der Titel: Untitled.

Den hatte schon Glawogger im Sinn gehabt. Denn anders als die meisten Dokumentarfilme verfolgte der Österreicher hier kein bestimmtes Thema. Serendipität lautet das Konzept, wenn aus einer zufällig Beobachtung eine positive Entdeckung gewonnen wird. Und so ließ das Team sich treiben, von Kroatien über Italien, Marokko und Senegal, bis schließlich in Liberia Endstation war. Untitled wurde das Vermächtnis des Regisseurs, aber eben auch Zeugnis einer Reise, wie sie wohl keiner je planen könnte. Nicht die großen Städte stehen auf dem Plan, keine Sehenswürdigkeiten oder Trendorte. Stattdessen solche, für die sich kaum einer interessiert. Orte, die von den Menschen und der Welt vergessen wurden.

Der Schatz im Müll
Teilweise sind es wundervolle Orte. Wie wir da durch den Schnee stapfen oder die Wüstenluft einatmen. Teilweise sind die gespenstisch: verlassene Städte des kriegsgebeutelten Serbiens. Und dann wäre da noch der Müllberg, durch den sich kleine Mädchen wühlen, immer in der Hoffnung, darin etwas Verwertbares zu finden. Untitled funktioniert nach demselben Prinzip. Sich umschauen, ein bisschen herumwühlen in dem, was man so vorfindet, um am Ende vielleicht mit einem kleinen Schatz nach Hause zu gehen.

Die Bilder des Films sind ein solcher Schatz. Ungefiltert, rau und doch gleichzeitig sehr kunstvoll. Untitled steckt voller Widersprüche, ist ganz nah dran an der Realität und dabei auch losgelöst. Ist hässlich und verzaubernd, betörend und verstörend. Dreck und Poesie sind hier selten wie nie miteinander verschmolzen. Das liegt auch an den Voice Overs: Regelmäßig werden Tagebucheinträge des Verstorbenen vorgelesen, die wie die Aufnahmen auch in erster Linie assoziativ sind. Von Tod ist die Rede, von Freiheit. Von großen Themen. Manchmal auch von einem Esel. Die Grenze zwischen existenziell und banal, auch die verschwindet. Hier gibt es keine Interviewpartner, keinen roten Faden, keine Erklärungen. Nicht einmal Untertitel, wenn gerade die Einheimischen sprechen.

Verloren in der großen weiten Welt
Das ist für die Freunde regulärer Reisedokumentationen ein kleiner Alptraum. Wir wissen nicht, was die Leute da tun und sagen, kennen auch keine Gründe. Die Fragen, welche Untitled aufwirft, die kann jeder nur für sich selbst beantworten. Oft können wir auch nicht sagen, wo wir denn gerade sind. In welcher Stadt das abbruchreife Haus steht, durch das sich die Dame mit dem Pelzmantel kämpft. Wo die Diamantensucher auf ein bisschen Glück hoffen. Wo das Meer aus Müll das Land bedeckt. Niemand würde diese Reise wiederholen können. Aber darum ging es auch nicht: Dieses faszinierende Experiment, irgendwo zwischen Dokumentation und Essay, muntert vielmehr dazu auf, wieder selbst auf Reisen zu gehen. Nicht einem Führer folgend oder Blogs. Sondern sich selbst, dem Zufall. Die Welt wieder so zu entdecken, wie sie vor einem liegt. Ihr auch wieder einen eigenen Titel zu geben und sich selbst einen Reim darauf zu machen.



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„Untitled“ folgt einer mehrmonatigen Reise, die an die unterschiedlichsten Orte in Europa und Afrika führt. Sehenswürdigkeiten gibt es dabei keine, auch keine Kontexte. Und doch ist die Mischung aus Dokumentation und Essay sowohl sehenswert wie auch tiefgründig. Wunderbare Aufnahmen und assoziative Tagebucheinträge verschmelzen zu einer außergewöhnlichen Seherfahrung, die dazu ermuntert, die Welt wieder auf eine ganz eigene Weise zu entdecken.