Someone To Talk To

Someone To Talk To

(„Yi ju ding yi wan ju“ directed by Yulin Liu, 2016)

Someone To Talk To
„Someone To Talk To“ läuft im Rahmen des 5. Chinesischen Filmfests in München (12. bis 17. Juni 2017)

Als sich Aiguo Niu (Hai Mao) und Lina Pang (Qian Li) das Ja-Wort geben, dann auch deshalb, weil sie sich über alles unterhalten können. Jeder schon weiß, was der andere als nächstes sagen wird. Zehn Jahre später ist von dieser Idylle wenig übrig. Die Zuneigung ist abhandengekommen, die Gespräche werden auf das nötigste reduziert. Und so hat Lina schon vor einer ganzen Weile begonnen, sich die fehlende Zärtlichkeit bei einem anderen Mann zu holen. Aiguo nimmt dies hin, eine Weile zumindest, immer in der Hoffnung, dass sich die Probleme wieder einrenken lassen. Doch mit der Zeit steigt die Verbitterung in ihm, die Wut. Bis klar wird: Er muss sich an seiner Frau rächen, auf die eine oder andere Weise.

Nein, wirklich versteckt ist das Anliegen von Someone To Talk To nicht. Die Suche nach einem Menschen, der einem zuhört, der einem auch selbst etwas erzählt, die findet sich nicht nur im Titel. Sie findet sich auch im Film, von der ersten bis zur letzten Minute. Mit der Ehe von Aiguo und Lina fängt das Thema der Sprachlosigkeit an, die sich nach einigen Jahren in die beste Beziehung hineinschleicht. Aber auch alle anderen Figuren finden sich und den Wert des Lebens darin, wenn jemand da ist, mit dem tatsächliche Gespräche möglich sind. Das kann der Partner sein, die Familie, ein Fremder, ein Erwachsener, ein Kind – Hauptsache wir müssen nicht dieser donnernden Stille zuhören, die sich zwischen uns ausbreitet.

Universeller Erfahrung in einem seltsamen Mantel
Beides wird man als Zuschauer sicher aus eigener, leidvoller Erfahrung kennen: die Sehnsucht nach einem anderen Menschen, mit dem man sich austauschen kann. Die Ernüchterung und Enttäuschung, wenn Ideale und Hoffnungen sich langsam verflüchtigen, man realisiert, dass man sich eigentlich gar nichts zu sagen hat. Hinzu kommen kleinere Themen wie die Schwierigkeiten beim Online-Dating, Älterwerden und Einsamkeit. Keine Einzelschicksale zweifelsfrei. All das macht Someone To Talk To zu einem Film, der zumindest der Theorie nach von einer sehr universellen Natur sein müsste. Doch das ist er nur zum Teil. Während man viele Punkte sehr gut nachvollziehen kann, so kommt einem manches schon irgendwie spanisch vor. Oder eben chinesisch.

Das mag auch darin begründet sein, dass Regisseurin Yulin Liu nur einen Teil des Romans ihres Vaters Zhenyun Liu (I Am Not Madame Bovary) verfilmt hat und einem so vielleicht manche Information fehlen. Es hängt vor allem aber auch damit zusammen, dass Someone To Talk To sich einer eindeutigen Genrezuordnung entzieht. Dramatisch ist die Geschichte natürlich, teilweise wahnsinnig traurig. Aber eben auch brutal lustig, vor allem bei der Nebenhandlung um Aiguos glücklos datende Schwester Aixiang (Pei Liu) und den gutmütigen Freund Jiefang Song (Wei Fan, Monk Comes Down the Mountain) darf herzhaft gelacht werden. Die Mischung aus Herz und Humor ist dabei weniger das Befremdliche, in Deutschland traut man sich im Mainstreamkino so gut wie nie, ohne beide Elemente auszukommen. Während das meistens dann aber enge Verbindungen eingeht, bewegende und unterhaltsame Szenen nahtlos ineinander übergehen, stehen sie hier in einem starken Kontrast. Eigentlich weiß man nie so genau, was hier als nächstes passiert. Der Film ist ebenso unberechenbar wie die Figuren, die zwischen Zärtlichkeit und Grausamkeit nicht wirklich unterscheiden wollen.

Ein Film mit wenig sympathischen Figuren, aber tollen Momenten
Entsprechend wenig schert sich der Film darum, ob die Protagonisten nun sympathisch rüberkommen oder nicht. Anders als in den meisten Liebesgeschichten, in denen das Publikum zum Daumendrücken genötigt werden soll, steht man den Figuren hier etwas hilflos gegenüber. Fast jeder zeigt mal hässliche Seiten, was sie nicht unbedingt zu typischen Identifikationsfiguren macht. Einen Film ohne klar umrissene „Helden“ zu gestalten, ist nicht ohne Risiko, schließlich läuft man so Gefahr, dass der Zuschauer schlicht das Interesse verliert. Was sollte mich das Schicksal von jemandem kümmern, den ich eh nicht mag? Doch Someone To Talk To umschifft diese Klippen, von einigen kleineren Längen einmal abgesehen, durch die schiere Kraft, die vielen Szenen innewohnt. Szenen, die sich nicht immer zu einem großen Ganzen zusammenfügen, aber doch immer wieder großen Eindruck hinterlassen. Ganz leichte Kost ist das nicht, was vielleicht auch dazu beigetragen hat, dass der Film bislang keinen deutschen Verleih gefunden hat. Eine der wenigen Möglichkeiten, ihn hierzulande zu sehen, stellt daher das 5. Chinesischen Filmfests in München dar, welches durch das eigenwillige Drama eröffnet wurde.



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„Someone To Talk To“ nimmt sich eines universellen Themas an, der Sprachlosigkeit, die nach einiger Zeit in Beziehungen einsetzt. Gewöhnlich ist die Romanverfilmung deswegen aber nicht. Vielmehr schlägt der Film recht unvorhersehbar mal dramatische, dann wieder brutal komische Richtungen ein, erzählt mit erstaunlich unsympathischen Figuren vom Leben, Lieben und Leiden.
8
von 10