Window Horses

Window Horses

(„Window Horses“ directed by Ann Marie Fleming, 2016)

Window Horses
„Window Horses“ lief im Rahmen des Internationalen Trickfilm Festivals Stuttgart (2. bis 7. Mai 2017)

So lange sie zurückdenken kann, gibt es für die junge Rosie Ming zwei große Leidenschaften: Paris, die sie für die tollste Stadt der Welt hält, und Poesie. Gesehen hat sie die Stadt der Liebe jedoch nie, die Kanadierin wächst behütet und fernab der Welt da draußen bei ihren Großeltern auf. Denn Eltern hat sie schon lange nicht mehr. Ihre aus China stammende Mutter ist tot, der persische Vater vor vielen Jahren abgehauen. So ganz weiß sie dann auch nicht, was sie davon halten soll, als sie ihren ersten Gedichtband herausbringt und ausgerechnet auf ein Poesie-Festival im Iran eingeladen wird. Frankreich wäre ihr lieber gewesen. Immerhin hat sie so aber mal die Gelegenheit, etwas von der Welt zu sehen, und beschließt daher gegen den Willen ihrer Großeltern, in das ferne Land zu reisen. Eine Reise, die ihr ganz neue Seiten eröffnen soll – auch an sich selbst.

Ja, man darf bei dem Titel erst einmal ein bisschen stutzig werden: Was sollen denn bitte schön Fenster und Pferde miteinander zu schaffen haben? Am Ende von Window Horses angekommen, wird man sich diese Frage nicht mehr stellen. Das liegt jedoch weniger daran, dass der Film sie umfassend beantwortet hätte, sondern an den vielen anderen Fragen, die dann viel wichtiger geworden sind. Fragen, welche die erste ergänzen, variieren oder auch völlig ersetzen.

Die persönliche Suche nach dem kulturellen Ich
Die wichtigsten Fragen betreffen natürlich die des kulturellen Erbes. Ein Mädchen mit einer chinesischen Mutter und einem iranischen Vater, das beide nicht wirklich kennt, nicht deren Sprachen kann, niemals in deren Ländern gewesen ist, sondern in Kanada aufwächst – das ist schon ein ziemliches Kuddelmuddel. Ann Marie Fleming, die hier Regie führte und das Drehbuch schrieb, kennt sich damit bestens aus. Sie selbst wurde in Japan geboren, ihre Eltern stammten aus China und Australien, heute lebt und arbeitet sie in Kanada. Wenn sie ihre kleine Protagonistin auf eine äußere wie innere Entdeckungsreise schickt, liegt der Verdacht nahe, dass auch eigene, autobiografisch bestimmte Elemente da mitreisen.

Gleichzeitig geht es in Window Horses aber auch um das Land, das Rosie da bereist. Fleming verknüpft hier die Geschichte des Irans mit der der Poesie des Landes. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Persepolis und The Prophet, eine Verschmelzung von Realem und Traumhaften, aus den Wünschen eines kleinen Mädchens und den Bestimmungen des Alltags. Dabei verpasst es Fleming nicht, auf die kulturellen Unterschiede aufmerksam zu machen, oft mit einem Augenzwinkern. Der Iran erscheint dabei als willkürlich und teilweise rückständig – eine Darbietung von Rosie wird allein deshalb schon abgelehnt, weil es sich nicht für eine Frau schickt, ohne Männer Musik zu machen. Ihrer deutschen Bekanntschaft Dietmar geht es aber auch nicht besser, wenn der mit seinem etwas grotesken Gedicht über die Liebe zu Hunden kräftig ins Fettnäpfchen tritt.

Ein Plädoyer für mehr Toleranz
Bei all den Unterschieden, die Window Horses aufzeigt, geht es dem Film jedoch darum, diese Grenzen und Gräben zu überwinden. Wie die besagten Pferde, die dann doch irgendwie mit Fenstern zusammenhängen, begreift Fleming die Welt als ein Zusammenspiel aus allen möglichen Formen und Überzeugungen. Parallel zu Rosie, die hier ihr Erbe findet und mehr über sich herausfindet, ist auch der Zuschauer eingeladen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen: Unterschiede sollen hier angenommen werden, der Trip des Mädchens kommt dem Plädoyer für mehr Toleranz gleich. Zum Ende hin wird das ein wenig holprig, wenn die Lebensgeschichte ein bisschen sehr auf Zufälle und unnötiges Drama setzt. Das Staunen und Grübeln plötzlich nicht mehr reichen soll.

Aber trotz dieses finalen Schwächelns ist Window Horses, der beim International Trickfilmfest Stuttgart 2017 den Preis als bester Spielfilm gewinnen konnte, ein sehr sehenswerter Animationsfilm geworden. Das liegt auch an der Vielzahl von Techniken, welche die Kanadierin bzw. die beteiligten Animationskollegen hier verwenden. Vergleichbar eben zu The Prophet oder auch Sita Sings the Blues hat jede Geschichte innerhalb der Geschichte ihren eigenen Stil, wechselt von Cartoons im amerikanischen Stil hin zu Gemälden, ist mal real, dann surreal. Die knapp 90 Minuten sind dadurch nicht nur sehr abwechslungsreich gestaltet, sondern auch so bunt und spannend wie die Welt, von der hier berichtet wird.



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In „Window Horses“ reist ein Mädchen in ein fernes Land und entdeckt dabei sich und die eigenen kulturellen Wurzeln noch einmal völlig neu. Der Animationsfilm ist trotz eines etwas holprigen Endes dabei sehr interessant, regt zum Nachdenken an und ist durch die vielen verwendeten Stile auch visuell abwechslungsreich.
7
von 10