La La Land

Mit „La La Land“ durch die Filmgeschichte [Special]

Es gibt viele Mittel und Wege, um sich die Langeweile zu vertreiben, während man im Auto sitzt und Wartezeit überbrücken muss. Man könnte zum Beispiel ein kleines Nickerchen machen. Sich das genervte Gesicht des Familienvaters im Nachbarauto anschauen, der alle fünf Sekunden die Frage beantworten muss, wann es denn nun endlich weitergeht. Oder das Telefonbuch auswendig lernen, das zufälligerweise gerade im Handschuhfach liegt. Und wenn gar nichts mehr vorangeht, steigt man einfach aus, vertritt sich die Beine und beginnt zu tanzen. Es werden sich schon andere finden, die sich da anschließen werden.

Das dürfte dem einen oder anderen bekannt vorkommen. Schließlich haben viele Millionen Menschen gesehen, wie La La Land mit eben dieser Szene begann. Darin entscheidet eine Frau, sich von dem täglichen Wahnsinnsstau in Los Angeles nicht die gute Laune verderben zu lassen und die Zwangspause stattdessen für eine kleine Gesangs- und Tanzeinlage zu nutzen. Das will sich der Herr nebenan nicht zweimal singen lassen und begleitet seine hübsche Nachbarin, bald flankiert von einem dritten. Und ehe sie es sich versehen, sind im Nu alle Autofahrer auf den Beinen, stimmen zusammen „Another Day of Sun“ an und bereiten das Publikum darauf vor, was es in den nächsten zwei Stunden erwartet: viel Gesang, viel Tanz, viele Farben, viel gute Laune.

Wer ein bisschen älter ist und schon früher gern Musicals geschaut hat, bevor es hier zu einem Phänomen wurde, dem könnte die Szene aber auch aus einem anderen Grund bekannt vorkommen. War da nicht schon einmal ein Film, der auf eine ganz ähnliche Weise begonnen hat? Richtig, Die Mädchen von Rochefort hieß der Kollege, der dieses Jahr seinen 50. Geburtstag feiert. Damals war es jedoch kein vielbefahrener Highway, der in eine amerikanische Metropole führte. Vielmehr befinden wir uns hier in der französischen Kleinstadt Rochefort, die nahe am Meer liegt und der wir uns an Bord einer Schwebefähre nähern. Aber auch hier verlassen alle plötzlich ihre Fahrzeuge, um die Zeit der Überfahrt sinnvoll zu nutzen: tanzend.

Ein reiner Zufall ist diese Ähnlichkeit natürlich nicht. Regisseur und Drehbuchautor Damien Chazelle, der zuvor schon bei Guy and Madeline on a Park Bench, Grand Piano – Symphonie der Angst und natürlich Whiplash seine Affinität zur Musik gezeigt hatte, nutzte die Gelegenheit bei La La Land, um sich vor vielen seiner Helden zu verneigen. Und da durfte der Franzose Jacques Demy nun mal nicht fehlen, der in vielerlei Hinsicht ein Seelenverwandter war. Denn auch der zeigte in seinen Musicals Die Regenschirme von Cherbourg und eben Die Mädchen von Rochefort ein ungeheures Stilbewusstsein, eine Vorliebe für helle, knallige Farben und ungeniert fröhliche Nostalgie.

Aus Liebe zur Kunst
Und so tummeln sich in beiden Filmen dann auch Träumer mit einer leidenschaftlichen Liebe für die Kunst. Menschen, die den Kopf in den Sternen haben, die Füße manchmal auch. Bei Demy waren es die Ballettlehrerin Delphine (Catherine Deneuve) und deren Zwillingsschwester Solange, die Musik unterrichtet und von Deneuves realer Schwester Françoise Dorléac verkörpert wurde. Dazu gesellten sich der Hobby-Maler Maxence (Jacques Perrin), der Kunsthändler Guillaume (Jacques Riberolle), der Komponist Andy (Gene Kelly) und Simon (Michel Piccoli), der einen Musikladen führt. Dem gegenüber stehen bei Chazelle der Jazz-Musiker Sebastian (Ryan Gosling) und die Schauspielerin Mia (Emma Stone). Sie alle sehnen sich nach einem anderen Leben.

Schon die Anzahl der Figuren zeigt dabei, dass die beiden Filmemacher bei aller Ähnlichkeit andere Ziele verfolgten. Chazelle konzentrierte sich größtenteils auf seine zwei Hauptcharaktere, während es bei Demy einen fliegenden (und tanzenden) Wechsel gab. Bei Die Mädchen von Rochefort durfte jeder mal auftauchen, immer auf der Suche nach amouröser Glückseligkeit, jedoch immer zur falschen Zeit am falschen Ort, während die große Liebe woanders wartete. Um Liebe dreht es sich in La La Land natürlich auch vieles. Während jedoch im französischen Musical bei aller Affinität zu schönen Künsten die Gefühle wichtiger waren, sind die beiden Elemente beim amerikanischen Verwandten stärker im Wettstreit. Denn man kann nicht immer beides haben. Nicht einmal in Hollywood.

Was will ich von meinem Leben?
Eine der zentralen Fragen beim preisgekrönten Retro-Musical war dann auch: Was bin ich bereit für meine Kunst zu opfern? Ist mir meine künstlerische Selbstverwirklichung wichtiger als meine Beziehung? Für Demy war das keine Frage. Bei der luftig-leichten Rochefort-Variante gibt es keine Selbstopfer, keine Zweifel, keine Schattenseiten. Selbst wenn hier ein Frauenmörder sein Unwesen treibt, ist das noch kein Grund, sich die gute Laune oder den Spaß am Singen verderben zu lassen. Um seinen Traum zu kämpfen passt nicht zur laisser-faire-Atmosphäre, man lässt einfach alles auf sich zukommen, die Liebe wird schon zum richtigen Zeitpunkt um die Ecke kommen. Und bis es so weit ist, bleibt ja immer noch das Tanzen hoch über dem Boden. Für Chazelle war das nicht genug, wie schon bei Whiplash lotet er die Grenzen zwischen Erfüllung und Verlust aus.

Und so ist Die Mädchen von Rochefort sicher ein wichtige Inspiration für La La Land gewesen, inhaltlich wie stilistisch. Aber eben auch nur ein Element unter vielen, die das Musical zu etwas so Besonderem machen. Ein einzelnes Zitat inmitten einer aus Erinnerungen, Verweisen und Hommagen geschriebenen Enzyklopädie. Wer noch mehr über die Vorbilder und Hintergründe erfahren möchte, bei denen sich Chazelle bedient hat, denen empfehlen wir einen Besuch bei unseren Partnerseiten, die sich gemeinsam mit uns durch die Filmgeschichte geschaut haben. Dort findet ihr dann, welche Spuren so unterschiedliche Filme wie Shall We Dance (1937), Casablanca (1942), Singin‘ in the Rain (1952), West Side Story (1961), Grease (1978) und Boogie Nights (1997) hinterlassen haben.



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