Schweigeminute
© Studio Hamburg

Schweigeminute

(„Schweigeminute“ directed by Thorsten Schmidt, 2016)

„Schweigeminute“ ist seit 2. Dezember auf DVD erhältlich

Es ist Liebe auf den ersten Blick, zumindest aus der Sicht von Christian Voigt (Jonas Nay). Denn als der am Hafen Stella Petersen (Julia Koschitz) das erste Mal erblickt, ist es sofort um ihn geschehen. Für die erst kürzlich aus England zurückgekehrte Lehrerin kommt es zunächst nicht infrage, etwas mit ihm anzufangen. Nicht nur, dass er deutlich jünger ist als sie, der 18-Jährige sitzt sogar in ihrer Klasse. Doch noch bevor das Schuljahr beginnt, kommen die beiden sich tatsächlich näher. Während Stella darum bemüht ist, dass keiner etwas von der Affäre erfährt, träumt Christian von einer gemeinsamen Zukunft. Bis ihnen das Schicksal dazwischenkommt.

Wer sich nur die Inhaltsangabe von Schweigeminute durchliest, der wird seine Kitschalarmglocken kaum mehr unter Kontrolle bringen können. Von einer großen Liebe ist da die Rede, einer verbotenen Liebe. Einer Liebe, die den Umständen zu trotzen versucht, Hindernisse überwindet, am Ende aber doch scheitert. Durch einen tragischen Unfall. Natürlich. Wenn die Novelle von Siegfried Lenz auch noch als deutscher Fernsehfilm umgesetzt wird, in einem Medium also, wo nun wirklich niemand Hemmungen hat, Gefühle groß auszuschlachten, dann sind die Aussichten besonders düster.

Lediglich die Besetzung lässt darauf hoffen, dass hier vielleicht doch ein bisschen mehr zu holen. Julia Koschitz (Hin und weg) als Frau zwischen Gefühl und Pflicht, Deutschlands Vorzeigenachwuchsdarsteller Jonas Frey (Deutschland 83Wir sind jung. Wir sind stark.) als liebeskranker Jugendlicher, das ist schon ein starkes Duo. Dazu gesellen sich in Nebenrollen unter anderem Alexander Held (Mein Blind Date mit dem Leben) als Schulrektor und der Däne Thure Lindhardt (3096 Tage) als dumpfer Hafenarbeiter Ulrik Quedens, auch das macht Lust auf mehr. An den Schauspielern lässt sich dann auch tatsächlich wenig aussetzen. Der Zwiespalt der Lehrerin ist ebenso überzeugend gespielt wie die Schmachtereien eines Jungen, der von der großen Liebe träumt, dabei aber blind für sein Umfeld und die Konsequenzen seines Handelns ist.

Oder besser: die potenziellen Konsequenzen. Denn auch wenn fleißig getuschelt wird hinter dem Rücken der beiden, mal ein bisschen geschimpft oder sogar gedroht, es wirkt alles so unglaublich weit weg. Das mag auch daran liegen, dass die Geschichte nachträglich erzählt wird, ausgerechnet durch Christian, dem ohnehin das Gespür für die Kontroverse fehlt. Dennoch wirkt hier vieles erstaunlich belanglos, als wäre das alles gar nicht so wahnsinnig wichtig. Der Konflikt mit Ulrik ist direkt im Anschluss vergessen und Ulrik gleich mit. Dass Stella kürzlich aus England zurück kam, taugt auch nur maximal als Verdeutlichung dafür, dass sie weltgewandter und moderner ist als der Rest des Fischerdorfs. Ihre eigentliche Lebensgeschichte wird nicht erzählt. Wer sie ist, bleibt ebenso unklar – mehr als eine Projektionsfläche für ihren jugendlichen Verehrer wird nicht draus.

Am schönsten sind dann noch die Szenen, wenn Koschitz und Nay zusammen sind. Wenn wir eine vorsichtige Annäherung sehen, ein spielerisches Entdecken des jeweils anderen. Aber auch die Unsicherheit, die sowohl die Situation wie auch die Umstände betrifft. Ansonsten aber ist Schweigeminute recht uninteressant, hat einfach nicht genug zu erzählen. Will es vielleicht auch nicht. Was den Fernsehfilm neben der Besetzung auszeichnet, ist dessen Ausstattung: Anfang der 60er ist die Geschichte angesiedelt, wohl auch um den Skandal noch etwas skandalöser zu machen. Und man spürt es hier zu jeder Zeit, von der Kleidung bis zu der Musik, auch die Atmosphäre nimmt uns mit in eine Zeit, in der die Zukunft zögerlich an die Tür klopft, Deutschland wieder langsam jemand sein durfte. Doch bevor es so weit ist, endet die Minute, wie hier so vieles schon vorbei ist, bevor es richtig angefangen hat.



(Anzeige)

Die tragische Liebesgeschichte einer Lehrerin und ihres Schülers ist nicht annähernd so dramatisch, wie sie sich anhört. Vielmehr ist „Schweigeminute“ trotz der hochkarätigen Besetzung erstaunlich belanglos, hat zwar viele schöne Bilder Anfang der 60er und einige starke zwischenmenschliche Momente, insgesamt aber nur wenig zu erzählen.
6
von 10