Agnes
© Neue Visionen

Agnes

(„Agnes“ directed by Johannes Schmid, 2016)

„Agnes“ ist seit 2. Dezember auf DVD erhältlich

Es ist Liebe auf den ersten Blick, als der 41-jährige Sachbuchautor Walter (Stephan Kampwirth) der 28-jährige Physikstudentin Agnes (Odine Johne) begegnet. Ihre Energie und ihr Lebensmut sind es, die ihn anziehen, zwei Eigenschaften, die ihm selbst längst abhandengekommen sind. Ebenso die Lust am fiktiven Schreiben. Doch zu eben diesem will ihn seine junge Freundin wieder animieren und schlägt ihm zu diesem Zweck vor, doch einfach ihre Liebesgeschichte festzuhalten. Walter lässt sich auf diesen Vorschlag ein, erst zögerlich, später mit Begeisterung. So viel Begeisterung, dass die geschriebene Fassung nach einer Weile das reale Vorbild überschattet und sogar die Beziehung in Gefahr bringt.

Zwei Menschen begegnen sich, finden Gefallen aneinander, kommen sich langsam näher. Später droht etwas, dieses Glück zu stören, eine Meinungsverschiedenheit beispielsweise, ein Geheimnis, ein Nebenbuhler. Am Ende fallen sie sich dann aber doch wieder in die Arme, haben erkannt, worauf es ankommt. Und wenn sie nicht gestorben sind, und so weiter, und so fort. Meist braucht es nicht sonderlich viel Fantasie als Zuschauer eines Liebesdramas, um den weiteren Verlauf zu erahnen. Auf Überraschungen kommt es bei dem Genre schließlich nicht an, Gewissheit, Verlässlichkeit in Verbindung mit seufzender Romantik, stehen da höher im Kurs.

Gewiss und verlässlich ist bei Agnes jedoch nur wenig. Und das mit der Romantik ist so eine Sache. Eigentlich ist es sogar bemerkenswert, wie wenig einen die Adaption von Peter Stamms gleichnamigen Debütroman emotional mitnimmt. Das liegt zum einen an den Figuren, aus denen man nie so ganz schlau wird. Immer wieder fragt man sich bei der von Odine Johne mit einer Mischung aus Entrücktheit und Impulsivität gespielten Agnes, ob sie wirklich aus dieser Welt ist. Mit großem Eifer nimmt sie an ihr Teil, klebt an den Worten von Walter. Und ist gleichzeitig wie ein Kind, das mit großen Augen auf die Erwachsenen und ihr seltsames Treiben starrt. Walter wirkt im Vergleich geerdeter, auch wenn er aufgrund seiner introvertierten Art ebenfalls nur wenig Möglichkeit zur Anteilnahme bietet. Wer sich den Film anschauen möchte, um bei dem auf und ab der Beziehung mitfiebern zu können, der ist hier im falschen Film.

Dabei ist es nicht so, als hätte Regisseur und Co-Autor Johannes Schmid, der den Roman für die große Leinwand adaptierte, nichts zum Thema Beziehung zu sagen. Das hat er, aber eher im Theoretischen. Was erwarten wir von einer Beziehung? Wie sehen wir sie? Wie können wir sie leiten? Antworten darauf gibt es keine, dafür aber noch sehr viel mehr Fragen: Ab dem Zeitpunkt, wo Walter die Beziehung fiktionalisiert, beginnt der eigentliche Kern des Films. Nur dass dieser Kern dabei zunehmend schwieriger zu fassen ist: Was hier noch real, was Teil des Buches ist, ist kaum mehr zu sagen. Immer wieder sehen wir alternative Versionen derselben Szenen, von denen wir nicht mehr die „wahre“ unterscheiden können. Und: Das Buch beginnt das Leben zu beeinflussen, erfundene Elemente die tatsächlichen.

All das macht Agnes zu einer etwas anderen Form der Romanze. Eine, die mehr auf den Kopf als das Herz abzielt. Schwierig, ja, vor allem, da der Film seine Geschichte nicht auflöst, die wachsenden Konflikte nicht zum Anlass für eine Aussage nutzt. Die muss man in diesem Puzzlespiel aus nicht immer zusammenpassenden Teilen schon selbst geben. Selbst überlegen, wie das Spiel auf mehreren Ebenen mit dem eigenen Leben zu kombinieren ist. Und auch, inwiefern beim künstlerischen Prozess das Biografische verwendet werden darf, ohne es zu missbrauchen. Das kann sehr dröge sein oder auch sehr spannend, frustrierend wie lohnenswert. So wie es Beziehungen manchmal eben sein können, wenn sie nicht unseren Idealvorstellungen und den Drehbüchern dieser Welt folgen.



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Was war zuerst da, die Beziehung oder die Vorstellung der Beziehung? In „Agnes“ wird eine zunächst geradlinig erscheinende Romanze alsbald zum Anlass für eine Vermischung von realen und fiktiven Elementen, die sich kaum mehr durchschauen lässt, eben dadurch aber auch zu interessanten Gedanken führt – oder auch nicht.
7
von 10