Nocturnal Animals
© Universal Pictures

Nocturnal Animals

(„Nocturnal Animals“ directed by Tom Ford, 2016)

„Nocturnal Animals“ läuft ab 22. Dezember im Kino

Seit nunmehr zwanzig Jahren sind Susan (Amy Adams) und Edward (Jake Gyllenhall) geschieden, der letzte Kontakt ist schon lange her. Während die mit dem erfolgreichen Geschäftsmann Hutton (Armie Hammer) verheiratete Susan als Galeristin große Bekanntheit genießt, ist Edward seinem Traum gefolgt, Schriftsteller zu werden. „Nocturnal Animals“ heißt der Roman, der er seiner Ex-Frau gewidmet und erzählt davon, wie Tony Hastings (ebenfalls Jake Gyllenhall), seine Frau Laura (Isla Fisher) und Tochter India (Ellie Bamber) auf einem Highway in Texas von einer Gruppe Männer um Ray Marcus (Aaron Taylor-Johnson) bedrängt werden – mit fatalen Folgen.

Kürzlich gab in einem Forum an, er könne die beiden Schauspielerinnen Amy Adams uns Isla Fisher aufgrund ihrer Ähnlichkeit nicht auseinanderhalten. Offensichtlich hatte Tom Ford einen ganz ähnlichen Gedanken. Und so nutzte der zum Regisseur und Drehbuchautor umgeschulte Modemacher (A Single Man) bei seinem zweiten Film diese Ähnlichkeit auf eine recht raffinierte Weise: Er ließ die beiden Darstellerinnen dieselbe Figur spielen. Oder vielleicht auch nicht, so ganz sicher kann man sich da bei Nocturnal Animals nie sein. Fest steht nur, dass sie beide an der Seite von Jake Gyllenhaal auftreten, der gleich zwei Rollen verkörpert: die eines Autors und die von dessen Romanfigur.

Diese Dopplungen klingen verwirrend, sind es aber nur zum Teil. Eigentlich sind die beiden Parallelhandlungen relativ simpel: Während Susan beim Lesen an ihre gemeinsame Zeit mit Edward denkt, sucht Tony seine entführte Frau und bekommt dabei Unterstützung von Sheriff Bobby Andes (Michael Shannon). Wie es sich bei einem derartig hochkarätigen Ensemble gehört, sind die zwei Ebenen hervorragend gespielt. Aber es ist erst durch deren Zusammenspiel, dass die Mischung aus Drama und Thriller ihre Kraft gewinnt. Denn dass beide irgendwie in Verbindung stehen – der dreckige Ausflug ins Texas-Hinterland und die unterkühlt-vornehme High Society von Los Angeles –, das sieht man nicht nur an dem genialen Besetzungskniff, sondern auch an der Reaktion Susans beim Lesen, deren Welt ebenso kollabiert wie die der Figuren im Buch.

Zumindest das haben der Thriller- und der Dramapart gemeinsam, die sich immer wieder über den Weg laufen und doch nie wirklich zusammenfinden. Hier gibt es keine direkten Entsprechungen, Szenen, die mit denen der anderen Ebene übereinstimmen. Erst nach und nach wird klar, in welchem Zusammenhang die zwei Geschichten stehen, was Edward mit seinem Buch im Film eigentlich beabsichtigte. Auch deshalb schon ist die elegante und doch brutale Verfilmung von Austin Wrights Roman „Tony and Susan“ etwas für Genießer, die sich nicht vor kunstvoll konstruierten, rätselhaften, teils sehr bösartigen Abgründen fürchten. Ob erdiger Sheriff oder abgehobene Kunstkuratorin, sensibler Romancier oder grober Hinterwäldlerprolet – da lauern grausame Bestien in der nächtlichen Dunkelheit unserer Seelen, die man lieber gar nicht so genau sehen möchte.

Es ist diese Auslotung der Seelen, für die sich Nocturnal Animals lohnt, die Auseinandersetzung mit divergierenden Träumen eines Paares, hässlichen Gefühlen wie Rache, Verlustängsten und Selbstlügen. Ein Film, der einen anschließend nicht gestärkt in die Nacht zurückschickt, sondern verunsichert, traurig, vielleicht auch etwas wütend. Dass Ford dabei seine ästhetische Expertise erneut für wunderbare Bilder nutzt, die durchaus auch mal sehr drastischer Natur sein können, rundet die Romanadaption ab und macht sie trotz ihrer schweren Zugänglichkeit zu einem der interessantesten Werke, die das Kinojahr 2016 auf den letzten Metern für die Zuschauer bereithält.



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Erstklassige Darsteller, dazu stylische Aufnahmen, wie wir sie von dem Modemacher-Regisseur Tom Ford gewohnt sind – bei „Nocturnal Animals“ gibt es einiges zu sehen. Vor allem aber zum Nachdenken: Das Thrillerdrama ist ein forderndes, trauriges wie böses Spiel auf zwei Ebenen, das man sich erst erarbeiten muss.
8
von 10