Tatsumi

(„Tatsumi“ directed by Eric Khoo, 2011)

TatsumiLetzte Woche ließen wir in Leon und die magischen Worte bekannte literarische Figuren zum Leben erwecken. In Teil 80 unseres fortlaufenden Animationsspecials gehen wir wieder den umgekehrten Weg, erfahren mithilfe eines Films mehr über einen Mann, der mit seinen Geschichten viel für das Ansehen japanischer Comics getan hat.

„Mangas? Das ist doch nur was für Kinder, anspruchsloser Unsinn, der keinen Bezug zur Realität hat.“ Nicht nur im Westen mussten japanische Comickünstler gegen Vorurteile ankämpfen, auch daheim blickte man anfangs noch ziemlich auf sie und ihre Werke herab. Zumindest Yoshihiro Tatsumi ging es so, der zwar schon früh seine Liebe fürs Zeichnen entdeckte, aber ganz andere Geschichten erzählen wollte als das Gros seiner Kollegen. Und so prägte er Ende der 1950er für seine eigenen Comics den Begriff „Gekiga“ (dramatische Bilder), um sich explizit von den Mangas (ungezügelte Bilder) abzugrenzen. Und tatsächlich unterschieden sich seine eigenen Kreationen deutlich von dem, was damals populär war, waren sehr viel realistischer und auch düsterer.

Der singapurische Regisseur Eric Khoo, selbst ein großer Anhänger des Japaners, nahm die 2009 veröffentlichte Manga-Autobiografie „Gegen den Strom“ zum Anlass, dem Künstler ein filmisches Denkmal zu setzen. Ähnlich wie auch bei Spring and Chaos oder Approved for Adoption wählte der bislang auf Realfilme spezialisierte Filmemacher dafür jedoch die animierte Form. Das war angesichts der Vorlage natürlich naheliegend, Khoo ging dabei aber noch ein bisschen weiter als seine Kollegen Shoji Kawamori und Jung. Zwar steht auch hier der Künstler im Vordergrund, gemäß dem Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ verknüpfte er hier das reale Leben von Tatsumi mit Verfilmungen seiner Comics und zeigt so direkt, was in dem Zeichenkünstler vorging.

Da ist gerade anfangs äußerst verwirrend, da der Film keinerlei Erklärung oder Einleitung liefert: Anstatt weiter dem Leben Tatsumis zu folgen, sehen wir die Geschichte eines Fotografen, der mit einem erschütternden Hiroshima-Bild zu Ruhm und Reichtum kam. Wer ist dieser Mann? In welcher Verbindung steht er zu Tatsumi? Wer nicht mit den Werken des Künstlers vertraut ist, wird so erst einmal gar nichts verstehen.

Erst nach und nach setzen sich diese Einzelbilder zu einem Gesamtwerk zusammen und Khoos Kniff entpuppt sich als äußerst clevere Idee. Anstatt einfach nur zu behaupten, dass Tatsumis Comics anders sind, lässt er sie für sich sprechen. Und es sind unglaublich finstere Geschichten, die darin erzählt werden. Traurige Geschichten. Geschichten von Menschen ohne Perspektive, von dem Kampf um Würde und Zuneigung, von Einsamkeit, moralischen Abgründen. Passend dazu ist die visuelle Gestaltung: Übermäßig komplex sind die mäßig animierten Adaptionen nicht, dafür aber ausdrucksstark, oft auch ohne Farbe. Wer seine Mangakenntnisse darauf stützt, an den hiesigen Regalen vorbeizulaufen, würde kaum je auf die Idee kommen, dass die fünf gesellschaftskritischen und düsteren Episoden hier ebenfalls aus Japan stammen.

Und doch ist Tatsumi eine wunderbare Gelegenheit, mehr über das Land zu erfahren. Die in Farbe gehaltenen autobiografischen Strecken – von Yoshihiro Tatsumi selbst erzählt – verraten nicht nur mehr über den dieses Jahr verstorbenen Künstler, sondern gleichzeitig auch darüber, wie Gesellschaft und Umstände sich im Laufe der Jahrzehnte geändert haben und welchen Einfluss dies auf ihn hatte. Zwar bleibt es bei verstreuten und beiläufigen Einzelaufnahmen, die nicht wirklich auf den Punkt kommen, japanophile und historisch interessierte Zuschauer dürfen dennoch einen etwas anderen Blick auf das Land bekommen. Nach Deutschland hat es Tatsumi – im Gegensatz zur Autobiografie und diversen Geschichten – leider nie geschafft. Glücklicherweise ist der Film jedoch problemlos aus England oder Frankreich zu beziehen. Mangafans, die mehr über ihr Hobby erfahren möchten, sollten dies dann auch unbedingt tun – selbst wenn der Film eindeutig mit der gewohnten Ästhetik bricht, man hier auch gar nicht genau sagen kann, ob das überhaupt noch unter Anime fällt oder nicht.



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Der Animationsfilm „Tatsumi“ kombiniert autobiografische Passagen des japanischen Comickünstlers Yoshihiro Tatsumi mit fünf Adaptionen seiner Werke. Das ist zunächst verwirrend, visuell auch oft recht einfach. Lohnenswert ist der Film dennoch, sowohl für die finsteren Geschichten wie auch über die historischen Einblicke in die Gesellschaft Japans und die Entwicklung von Mangas.
7
von 10