Hüter der Erinnerung
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Hüter der Erinnerung – The Giver

(„The Giver“ directed by Phillip Noyce, 2014)

Hueter der Erinnerung
„Hüter der Erinnerung – The Giver“ ist seit 5. Februar auf DVD und Blu-ray erhältlich

IIn einer fernen Zukunft ist von der Gesellschaft, wie wir sie kennen, nicht mehr viel übrig. Nach diversen Katastrophen entschloss die Menschheit, durch absolute Gleichheit und strikte Reglementierung ein Leben in Frieden zu erzwingen. Jeder hat seinen festen Platz in der Gesellschaft, mit Erreichen des 16. Lebensalters erfahren die Jugendlichen, welcher Beruf ihnen von dem Ältestenrat zugedacht wurde. Während andere in der Erziehung oder der Technik eingesetzt werden, erhält Jonas (Brenton Thwaites) von der Vorsitzenden (Meryl Streep) eine ganz besondere Aufgabe: Er soll die Erinnerungen an das frühere Leben der Menschen aufnehmen und bewahren. Doch je mehr er vom bisherigen Hüter (Jeff Bridges) lernt, umso größer sind die Zweifel, ob bei der Sehnsucht nach Frieden nicht zu viel aufgegeben wurde.

Die Tribute von Panem und ihre Folgen. Nachdem die Verfilmung von Suzanne Collins’ Roman vor drei Jahren überraschend weltweit die Spitze der Kinocharts erklomm, ist kein Entkommen mehr vor dystopisch angehauchten Science-Fiction-Filmen mit jugendlichen Protagonisten: Maze Runner, Die Bestimmung und eben auch Hüter der Erinnerung. Das im Fall des Letzteren jedoch nur zum Teil ein Grund zur Freude. Jahrelang hatte Jeff Bridges versucht, den Roman von Lois Lowry zu verfilmen, war jedoch jedes Mal an der Finanzierung gescheitert. Angespornt durch den Erfolg von Panem gab es nun zwar grünes Licht, jedoch wurde im Vergleich zur Vorlage einiges geändert. Zum einen wurde das Alter der Jugendlichen von 12 auf 16 erhöht, außerdem wurde noch die obligatorische Liebesgeschichte eingebaut.

Beides ist angesichts der Zielgruppe nachvollziehbar, gleichzeitig aber auch ein wenig schade, denn was Hüter der Erinnerung insgesamt fehlt, ist eine eigene Identität. Denn auch inhaltlich geht der Film keine wirklich neuen Wege. Die Grundsatzfrage, wie viel wir für ein glückliches, leidfreies Leben opfern wollen, die wird gerade in der Literatur schon seit Jahrzehnten von Autoren gestellt. „Was ist ein Leben wert, in dem es keine Gefühle gibt?“, will dann auch Jonas wissen, als er mit Hilfe seines Mentors einen Einblick in Liebe und Schmerz erhält, erkennen muss, wie viel die Gesellschaft ihren Mitgliedern vorenthält. Die Antwort ist hier recht eindeutig, zum Ende hin auch ein wenig kitschig.

Interessanter als die altbekannten philosophischen Überlegungen ist dann auch, mit welchen Mitteln in der Zukunft der Frieden erzwungen wird. Jede Begegnung beginnt mit einer Entschuldigung, körperliche Berührungen sind untersagt, es gibt keine Besitztümer, kein Zuhause, und auch keine tatsächliche Identität. Wir erfahren nie die Namen von Jonas’ Eltern (Alexander Skarsgård, Katie Holmes), auch der Hüter und die Vorsitzende bleiben namenlos. Als Jonas’ Familie ein kleines Baby aufnimmt, darf es nicht direkt mit seinem Vornamen angesprochen werden, viele Wörter wie „Liebe“ wurden aus dem Sprachsatz entfernt.

Passend zu dem entpersonalisierten Umgang untereinander sehen auch die Häuser aus: Alles ist identisch, steril, ohne jegliche individuelle Note, dem Film gelingt es sehr gut, das Leben der Gesellschaft zu visualisieren. Das Art Design ist stimmig, auch wenn das vergleichsweise geringe Budget von 25 Millionen Dollar sich vielerorts bemerkbar macht. Der optisch beste Einfall betrifft jedoch den Einsatz von Farben. Anfang ist alles grau, gleich ob Mensch, Pflanze oder Gegenstand. Erst mit der Zeit, wenn Jonas beginnt, die Hintergründe zu verstehen und auch selbst Gefühle zu entwickeln, finden sich erste Farbtupfer in den Aufnahmen, später werden die Landschaften und Erinnerung fast schon unnatürlich lebendig und kontrastreich.

Positive Ansätze gibt es also, nur werden sie nie konsequent genug verfolgt. Einiges wird nicht übers Anfangsstadium hinaus gedacht, schnell wieder fallengelassen, das überhastete Ende entwickelt keine rechte emotionale Zugkraft. Und so ist Hüter der Erinnerung insgesamt ein Film, der zwar einige interessante Elemente mit sich bringt, aber dann doch zu austauschbar und leblos ist, um selbst wirklich in Erinnerung zu bleiben.



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Freunde dystopischer Science-Fiction-Filme mit jugendlichen Protagonisten dürfen hier einen Vertreter mit interessanten inhaltlichen und optischen Ansätzen erleben. Letzten Endes ist die Romanverfilmung „Hüter der Erinnerung“, auch durch die Änderungen zum Original, jedoch zu austauschbar und nicht konsequent genug.
6
von 10