Das letzte Einhorn
Teil 9: Das letzte Einhorn (1982)

Das letzte Einhorn

(„The Last Unicorn“ directed by Jules Bass, Arthur Rankin Jr., 1982)

Das letzte EinhornNachdem wir in den letzten beiden Ausgaben unseres fortlaufenden Animationsspecials zwei eher unbekannte Werke vorgestellt haben, ist in Teil 9 wieder ein absoluter Klassiker an der Reihe. Zumindest dürfte es kaum jemanden geben, der in den 80ern aufgewachsen ist und nicht irgendwann mit Das letzte Einhorn in Berührung kam. Und im Vergleich zu vielen Zeichentrickkollegen seiner Zeit ist die internationale Koproduktion bis heute auch problemlos erhältlich, in mehreren Formaten sogar. Die beste Voraussetzung also für eine kleine Reise in die Vergangenheit und einige unerwartete Entdeckungen.

Die macht auch das namenlose Einhorn, das zurückgezogen in einem Wald lebt und nur wenig Berührungspunkte mit der Welt der Menschen hat. Eines Tages jedoch tauchen zwei Jäger dort auf, auf der Suche nach Beute. Die finden sie zwar nicht, da die Tiere des Waldes unter dem Schutz des magischen Fabelwesens leben. Doch dafür hört es, wie die beiden behaupten, das Einhorn wäre das letzte seiner Art. Wie kann das sein? Wohin sind sie alle verschwunden? Als ein reisender Schmetterling ihr erzählt, der Rote Stier hätte sie gefangen, begibt sich das Einhorn auf die Suche nach ihnen, zuerst allein, später in Begleitung des Möchtegernzauberers Schmendrick und der Räuberbraut Molly Grue.

Das erste, was auffällt, ist der umfassende Gebrauch von Musik. Es wird nicht nur sehr oft gesungen, die Lieder sind sogar integraler Bestandteil des Films. An einigen Stellen werden Dialoge oder auch Gedanken komplett durch Gesang ersetzt. Das machte natürlich die Synchronisierung etwas komplizierter; anstatt deutsche Lieder einzuspielen, entschied man sich, die Figuren währenddessen Teile der Lyrics mitsprechen zu lassen. Das ist schon ein wenig kurios, wirklich störend ist es jedoch nicht. Wenn etwas negativ auffällt, dann ist es die Musik von Starkomponist Jimmy Webb an sich. Man sollte schon eine hohe Toleranzgrenze für schwülstigen 80er Jahre Kuschelrock haben, um den Rest des Films genießen zu können. Wenn Das letzte Einhorn in zeitgenössischen Besprechungen als kitschig bezeichnet wird, dann sicher vor allem wegen des Soundtracks.Das letzte Einhorn Szene 1

Von der Geschichte lässt sich das hingegen weniger behaupten. Peter S. Beagle, der schon an dem Drehbuch von Ralph Bakshis Herr der Ringe Zeichentrickversion mitgeschrieben hatte, adaptierte hier seinen eigenen, gleichnamigen Roman von 1968. Im Grunde ein klassisches Märchen ist Das letzte Einhorn deutlich düsterer, als man von einem Fantasyabenteuer für eine jüngere Zielgruppe erwarten durfte. Hier gibt es blutrünstige Monster, ein sprechendes Skelett und auch der Tod schaut hier häufig vorbei. Vor allem aber ist der Film oft melancholisch, streckenweise richtig traurig.

„Was ist, wenn es kein glückliches Ende gibt?“

„Es gibt nie ein glückliches Ende. Denn es endet nichts.“

Ob das Einhorn, aber auch Schmendrick und Molly Grue bis hin zum bösen Gegenspieler König Haggard, sie alle haben mit Schmerz, Einsamkeit, enttäuschten Hoffnungen oder innerer Leere zu kämpfen. Und über allem liegt eine gewisse Grundwehmut: In Beagles Welt haben die Menschen ihre Fähigkeit zum Träumen verloren, können ohne billige Taschenspielertricks magische Wesen wie das Einhorn oder auch eine Harpyie nicht einmal mehr erkennen.

Die Regisseure Jules Bass und Arthur Rankin Jr. fingen diese bedrohlich-traurige Atmosphäre in entsprechenden Bildern ein: viel Blau, viel Grau, viel Schwarz. Abgesehen vom heiteren Anfang im Wald herrscht in Das letzte Einhorn ewige Dunkelheit. Während die Hintergründe auch im Jahr 2014 so noch sehr stimmungsvoll sind, gibt es bei den Figuren aber Punktabzüge. Die Animationen sind zwischendurch schon ein bisschen arg holprig und die seltsamen Charakterdesigns mit den Knollennasen wollen auch nicht so ganz reinpassen. Dafür ist die Synchronisation sehr gelungen, im Deutschen wie im Original. Die englische Version kann übrigens mit beeindruckend vielen Stars prahlen: Mia Farrow, Alan Arkin, Jeff Bridges, Angela Lansbury und Christopher Lee (der sogar in beiden Sprachen) – eine solche illustre Sprecherreihe zu versammeln, das muss man bei einem Zeichentrick erst mal schaffen.Das letzte Einhorn Szene 2

Wer über die altersbedingten Schönheitsflecken hinwegsehen bzw. hören kann, findet deshalb auch über dreißig Jahre nach dem Kinostart und längst im Erwachsenenalter angekommen noch genug Gründe, sich verzaubern zu lassen. Für Hobbyhistoriker gehört Das letzte Einhorn sogar zum Pflichtprogramm. Wie schon bei der Zeichentrickadaption von Der Hobbit 1977 arbeiteten Bass und der Anfang dieses Jahres verstorbene Rankin Jr. mit dem Animationsstudio Topcraft zusammen. Das wiederum durfte 1984 unter der Regie von Hayao Miyazaki den Klassiker Nausicaä aus dem Tal der Winde realisieren. Und der japanische Altmeister war von dem Ergebnis so begeistert, dass er Topcraft 1985 nach dessen Bankrott aufkaufte und daraus eines der wichtigsten Animationsstudios der letzten dreißig Jahre machte: Studio Ghibli.



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Die holprigen Animationen, die gewöhnungsbedürftigen Charakterdesigns und die schwülstige Musik sind heute sicher nicht mehr jedermanns Fall. Doch das überraschend düstere und melancholische Das letzte Einhorn hat auch dreißig Jahre später nichts von seinem Zauber eingebüßt.
7
von 10