Liebesbriefe eines Unbekannten

Liebesbriefe eines Unbekannten

(„Snails in the Rain“ directed by Yariv Mozer, 2013)

Liebesbriefe eines Unbekannten„Somebody loves me, I wonder who
I wonder who he can be
Somebody loves me, I wish I knew
Who can he be worries me“

Es ist inzwischen schon eine ganze Weile her, dass George Gershwin mit „Somebody Loves Me“ eines seiner bekanntesten Lieder komponierte. Für Boaz (Yoav Reuveni) ist der Text aber genauso aktuell wie 1924, als das Stück veröffentlicht wurde. Mit Texten kennt sich der ausgesprochen gut aussehende junge Mann auch aus, studiert er doch Linguistik an der Universität in Tel Aviv. Es sind jedoch weniger die wissenschaftlichen Schriften, die ihm in der letzten Zeit den Schlaf rauben, sondern solche sehr privater Natur: Ein unbekannter Mann schreibt ihm anonyme Briefe, in denen er Boaz seine Liebe gesteht.

Der ist daraufhin hin und hergerissen. Auf der einen Seite ist er bereits vergeben, führt eine glückliche Beziehung mit seiner Freundin Noa (Moran Rosenblatt). Ausgeschlossen, dass er daran etwas ändert. Schließlich ist der Plan längst gefasst, mit Hilfe eines Stipendiums gemeinsam nach Jerusalem zu gehen. Gleichzeitig ist er aber fasziniert von den persönlichen Bekenntnissen und sieht plötzlich in jedem Mann, dem er begegnet, seinen potenziellen Verehrer. Denn der beschreibt Boaz’ Alltag so detailliert, dass er ihn aus nächster Nähe beobachten muss.Liebesbriefe eines Unbekannten Szene 1

Vor Liebesbriefe eines Unbekannten hatte sich der israelische Regisseur Yariv Mozer bereits einen Namen als Dokumentarfilmer gemacht, für sein Spielfilmdebüt wählte er nun eine Episode aus dem Roman „Der Garten der toten Bäume“ von Yossi Avni-Levy. Und das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Wer ist der große Unbekannte? Diese Frage beschäftigt nicht nur Boaz, sondern auch den Zuschauer. Wenn der begehrte Mann bald paranoide Züge zeigt, hinter jedem unschuldigen – und meist zufälligen – Blickkontakt mehr vermutet, flirtet der Film sogar mit dem Thrillergenre.

Doch darum geht es letztendlich Mozer gar nicht, sondern um die Auswirkungen auf das Leben des Begehrten. Anfangs noch voller Leidenschaft für seine Freundin, entfremdet sich das Paar zunehmend, während Boaz versucht, seine eigenen Gefühle einzuordnen. Dass dessen Darsteller Yoav Reuveni hauptsächlich als Model sein Geld verdient und hier das erste Mal als Schauspieler in Erscheinung tritt, ist nicht zu übersehen. Andererseits passt seine doch sehr zurückhaltende Herangehensweise zu einer Figur, die nicht unbedingt mit Entscheidungsfreude glänzt: Boaz wirkt meistens seltsam teilnahmslos, wie ein Getriebener. Jemand, der nicht weiß, ob er an seinem alten Leben festhalten oder sich auf das neue einlassen will.Liebesbriefe eines Unbekannten Szene 2

Teilweise lässt sich das Zögerliche auch durch die Zeit erklären: Liebesbriefe eines Unbekannten spielt 1989, und vor 25 Jahren war der Umgang mit Homosexualität noch weniger liberal. Dass Boaz alleine schon deshalb nicht aus seiner gesellschaftlich forcierten Beziehung will, ist nachvollziehbar. Und so gelingt Mozer neben einem interessanten Drama gleichzeitig auch ein akkurates Zeitporträt, das nicht nur technisch – Boaz hört Musikkassetten, der Unbekannte tippt seine Briefe auf einer Schreibmaschine –, sondern auch gesellschaftlich die 80er Jahre wieder aufleben lässt.

Weniger geglückt sind die wiederkehrenden Rückblenden aus Boaz’ Zeit beim Militär, mit denen seine latente Neigung zum eigenen Geschlecht vorweggenommen werden soll. Das ist nicht nur etwas platt und klischeebeladen, sondern letzten Endes auch überflüssig. Der aktuellen Situation haben diese Erinnerungen jedenfalls nur wenig hinzuzufügen, der Zwiespalt und die Verwirrtheit von Boaz hätten ohne diese Präzedenzfälle vermutlich noch stärker gewirkt. Davon einmal abgesehen ist Liebesbriefe eines Unbekannten jedoch eine interessante Variation des in diesem Genre bekannten Themas rund um einen Mann, der erste gleichgeschlechtliche Erfahrungen sammelt und damit nicht wirklich umgehen kann.

Liebesbriefe eines Unbekannten erscheint am 25. April auf DVD



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Bist du’s? Oder du? Oder du? Ein bewährtes Thema um verwirrende, gleichgeschlechtliche Gefühle wird hier geschickt mit paranoiden Thrilleranleihen und einem Zeitporträt gekreuzt. Das ist manchmal etwas platt, insgesamt aber spannend und nachvollziehbar.
7
von 10